«Mein Sohn Helen» ist eine etwas vereinfachende, aber behutsame und kurzweilige Auseinandersetzung mit dem Thema Transgender.
Cast und Crew
- Regie: Gregor Schnitzler
- Darsteller: Heino Ferch, Jannik Schümann, Winnie Böwe, Zoe Moore, Kyra Kahre, Timur Bartels, Özgür Karadeniz, Thilo Prothmann, Sanne Schnapp
- Drehbuch: Sarah Schnier
- Kamera: Jutta Pohlmann
- Musik: Maurus Ronner
- Szenenbild: Myrna Drews
- Kostüm: Gabriela Reumer
- Schnitt: Ollie Lanvermann
Witwer Tobias Wilke (Heino Ferch) liebt seinen Sohn Finn (Jannik Schümann) über alles – jedoch ist er wegen des Jungen immer wieder ratlos: Obwohl er sich bereits in der Pubertät befindet, ist von einer Sturm-und-Drang-Phase kaum etwas zu spüren. Er ist kreuzbrav, trinkt nicht einmal Alkohol und lässt es mit den Mädchen ganz, ganz ruhig angehen. Über all das kann Tobias gerade noch hinwegsehen. Als er Finn jedoch nach dessen einjährigen Auslandsaufenthalt am Flughafen abholt, fällt der Vater aus allen Wolken: Finn trägt Frauenkleidung und verkündet seelenruhig sowie voller Überzeugung „Ich lebe jetzt als Mädchen!“ Nach und nach enthüllt Helen, wie Finn nun genannt werden möchte, dass sie bereits seit Jahren eine Hormonbehandlung durchläuft und dies mit ihrer verstorbenen Mutter offen diskutieren konnte – sich aber vor der möglichen Reaktion des Vaters fürchtete. Gourmetkoch Tobias ist doppelt geschockt: Erstens, weil er die neue Identität seines Kindes nicht ungefragt akzeptieren mag, und zweitens, weil er von der Geheimniskrämerei schockiert ist …
Der Film eröffnet und endet mit einem – wortwörtlichen – Drahtseilakt. Inhaltlich begeht er zudem durchgehend einen sprichwörtlichen Drahtseilakt: Regisseur Gregor Schnitzler und Drehbuchautorin Sarah Schnier bemühen sich, einen massentauglichen, primetimeaffinen, öffentlich-rechtlichen Film zu verwirklichen, der seinem Thema dennoch gerecht wird. All zu schnell ließe sich dies als feige bezeichnen, als verwässernde Herangehensweise. Allerdings wäre dies eine ungerechte Betrachtungsweise: Transgender ist ein wichtiges Thema, das in der breiten Öffentlichkeit bisher leider nicht ausreichend behandelt wurde. Teile des öffentlich-rechtlichen Zielpublikums könnten daher von einer zu komplexen Thematisierung überfordert werden. Wie «Mein Sohn Helen» anreißt, müssen einige Menschen erst schrittweise an Transgender herangeführt werden, damit sie deren Sorgen begreifen können. Und diese ARD-Degeto-Produktion will als solcher erster, kleiner Schritt verstanden werden. Daher dürfen Zuschauer, die Vorwissen mitbringen, «Mein Sohn Helen» nicht voreilig aufgrund seiner Simplizität abtun.
Gleichwohl sollte der Tragikomödie «Mein Sohn Helen» kein Blankoschein ausgestellt werden, bloß weil sie als Einführung in ihre inhaltlichen Aspekte dienen will. So ist bedauerlich, dass Helens Selbsterkenntnis zwar als gegeben präsentiert wird, jedoch nur sehr grobe Angaben gemacht werden, wie sie sich vor dem Tod ihrer Mutter zur Hormonbehandlung durchringen musste. Somit fehlt der Charakterisierung ein interessantes Puzzleteil, genauso wie die abschließenden 15 Minuten extrem hektisch sind und mehrere Wendepunkte, die eine nähere Beleuchtung verdient hätten, zügig abhaken.
Dessen ungeachtet stellt «Mein Sohn Helen» eine respektable Leistung dar. Denn selbst wenn der Fernsehfilm zu Beginn und zum Schluss ins Wanken gerät, hält er durchweg seine Balance, was längst nicht jede sozialrelevante TV-Produktion von sich behaupten kann. So geht er trotz einiger Vereinfachungen sehr behutsam mit seinen Figuren um. Das Drehbuch verwechselt beispielsweise nicht Ahnungslosigkeit mit Intoleranz und verdammt daher nicht direkt sämtliche Figuren, die sich von Finns Umwandlung überrascht zeigen – genauso wenig gibt das Skript unaufgeklärten Figuren aufgrund ihres Unwissens einen Freibrief, sondern übt berechtigte Kritik. Auch Helen, die dank des klischeefreien, vielschichtigen Spiels von Jannik Schümann eine berührende Identifikationsfigur abgibt, wird mehrdimensional gezeichnet – und anders, als vergleichbare ARD-Produktionen erlaubt es «Mein Sohn Helen» gelegentlich, mit seiner Protagonistin zu lachen. Dass das Drehbuch Helen dabei stets respektvoll behandelt, ist zwar selbst heutzutage nicht als gegeben anzusehen, aber glücklicherweise ist es der Fall.
Tonal hat «Mein Sohn Helen» genügend dramatische Tiefs, um Fernsehenden, die bisher keine Berührungspunkte mit dem Thema hatten, den Ernst der Sache zu vermitteln, gleichfalls sind genügend lichte Momente vorhanden, um eine optimistische Aussage zu treffen: Die Filmemacher gaben vorab in Pressegesprächen zu Protokoll, dass sie Betroffenen Mut machen wollen, sich zu outen. Und dazu bräuchte es eine Geschichte, die von Toleranz und Fortschritt spricht – eine interessante These, auch wenn das simple Aufgebot an Nebenfiguren im Vergleich zu anderen Transgender-Verarbeitungen wie «Transparent» lasch wirkt und empfindlichere Betroffene triggern könnte. Zum Ausgleich gibt es aber noch Heino Ferch, der die schleichende Entwicklung seiner Vaterrolle zu einem toleranten Erziehungsberechtigten glaubwürdig zum Besten gibt. Wie genügend Dokumentationen und Reportagen zeigen, reagieren längst nicht alle Eltern so wie Filmvater Tobias. Aber ohne Filme wie «Mein Sohn Helen» würde die breite Öffentlichkeit noch länger auf der Stelle treten. Kurzum: «Mein Sohn Helen» mag nicht die Transgender-Tragikomödie sein, die sich einige Fernsehende erträumt hätten. Wichtiger ist jedoch, dass sie nicht die Transgender-Tragikomödie ist, die geneigte Zuschauer frustriert aufschreien lässt.
«Mein Sohn Helen» ist am 24. April 2015 um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.