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«Dengler» und die Verschwörungen: Eine Flucht ist nicht nötig

Die Kritiker: Mit Verschwörungstheorien verzettelt sich der Fernsehfilm «Dengler» im ZDF. Sonst aber gelingt der Auftakt zur neuen Reihe außerordentlich gut.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Ronald Zehrfeld («Finsterworld») als Georg Dengler, Birgit Minichmayr («Das Parfum») als Olga, Ernst Stötzner als Prof. Bernhard Voss, Jenny Schily («Die Stille nach dem Schuss») als Finn Kommareck, André Szymanski («Im Labyrinth des Schweigens») als Schöttle, Stefan Kurt («Dreileben – Eine Minute Dunkel») als Jörg Assmuss, Rainer Bock («Das weiße Band») als Dr. Müller, Jannis Niewöhner («Rubinrot») als Jakob Dengler


Hinter den Kulissen:
Regie und Buch: Lars Kraume, nach dem gleichnamigen Roman von Wolfgang Schorlau, Musik: Christoph Kaiser und Julian Maas, Kamera: Jens Harant, Schnitt: Barbara Gies, Produktion: Bavaria Fernsehproduktion in Zusammenarbeit mit Cuckoo Clock Entertainment

Es ist der sechste Fall von BKA-Ermittler Georg Dengler, dem sich der ZDF-Fernsehfilm «Dengler – Die letzte Flucht» widmet. „Aber Moment mal“, mag so manch ein Fernsehkonsument einwenden: „Warum habe ich diesen Dengler denn dann noch nie im Zweiten Deutschen Fernsehen ermitteln sehen?“, fragt er sich dann völlig ungezwungen. Literaturfreunde werden dem Namen dagegen eher schon einmal begegnet sein. Des Rätsels Lösung ist also einfach. Es ist der sechste Roman in der Reihe von Wolfgang Schorlau, welcher auf den Titel „Die letzte Flucht“ hört. Bei der Verfilmung allerdings geht man nicht ganz chronologisch vor, sondern startet mit eben diesem sechsten Band eine neue Fernsehreihe. Schon diese Grundsituation macht klar: Ganz nah am Buch kann der Film nicht sein. Wohl ein Grund, warum sich Roman-Autor Schorlau auch als Co-Autor an der Produktion beteiligte, denn immerhin soll es „seine“ Geschichte bleiben. Dass Schorlau ein Stück Alt-68er in sich trägt, macht sich in den Romanen deutlich bemerkbar, auch in den Filmen wird es spürbar. Insgesamt sieben Bücher sind erschienen, genügend Stoff sollte es für den TV-Dengler also zunächst geben. Das zweite Drehbuch wird dieser Tage zudem bereits entwickelt.

Dass die Produktion, obschon als Fernsehfilm der Woche positioniert, alles daran setzt, eine Reihe zu werden, macht neben den vorhandenen Drehbuchgrundlagen und der bereits entstehenden Fortsetzung auch das Intro recht deutlich: Gezeigt werden Nachrichtenschnipsel, die sich offensichtlich um den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße von 2004 drehen, im schnellen Wechsel mit dem ans Bett fixierten Ermittler Dengler, der hier offensichtlich als Querkopf und Gerechtigkeitskämpfer inszeniert werden soll. Mit der Story des Neunzigminüters haben diese Bilder allerdings reichlich wenig zu tun, mit der Geschichte um die Person Georg Dengler dafür umso mehr. Spannung bringt dieses Intro aber dennoch schon gleich zum Filmauftakt mit, dafür sorgt vor allem die Musik. Den einen oder anderen Filter hätten sich die Verantwortlichen an dieser Stelle allerdings sparen können. Kleine Randnotiz: In den schnell geschnittenen Bildern taucht Otto Schily auf, der während des Anschlags von 2004 als Innenminister Stellung nahm. Im ZDF-Film spielt unterdessen Schilys Tochter Jenny die engagierte Kommissarin.

Passend zum Roman-Autoren Schorlau wird es auch an so manchem Punkt des Films alternativ. So wird gleich zu Beginn eine Art Stream of Consciousness-Sequenz gespielt, was durchaus gelingt. Zuschauer, die nicht mit den Büchern vertraut sind, werden an dieser Stelle noch im Dunkeln gelassen: Was tut Dengler? Ist er Ermittler? Stalkt er? Die Antwort: Er war einst BKA-Ermittler, mittlerweile ist er als Detektiv selbstständig. Über die exakten Gründe seines Ausscheidens wird noch nicht allzu viel verraten, klar ist aber: Beide Seiten scheinen, so das Urteil des Films, ziemlich unterschiedliche Interessen zu haben. Als Gerechtigkeitskämpfer jedenfalls sieht sich Dengler selber. Dazu allerdings passt die Story, die in «Die letzte Flucht» behandelt wird auf den ersten Blick überhaupt nicht: Der Fall um Medizinprofessor Bernhard Voss scheint eigentlich klar. Alle Indizien sprechen dafür, dass Voss eine Krankenschwester vergewaltigt hat. Doch der mutmaßliche Täter wittert eine Verschwörung dahinter, nicht einmal sein eigener Bruder steht noch auf der Seite des Arztes. Voss ist sicher: Seine Kollegen und die Pharmalobby wollen ihn ausschalten.

Doch nur mit einem Handlungsstrang gibt sich die Geschichte nicht zufrieden: Die Entführung eines Pharmalobbyisten (die aber zumindest unschwer erkennbar mit dem Fall zusammenhängt) sowie die Etablierung der Rahmenhandlung sind auch noch Aspekte der Story. So entspinnt sich ein gut funktionierendes Handlungskonstrukt, in dem der private Dengler allerdings etwas stiefmütterlich eingeführt wird. Denn falls man um die Fortsetzungen nicht wüsste, so würde man glauben gerade der Sohn des Protagonisten wurde zum Ende hin schlicht vergessen. Auch im Wissen, dass es noch mehr vom ehemaligen BKA-Ermittler zu erzählen gibt, lässt dieser Part den Zuschauer unbefriedigt zurück. Was die Entführung angeht, so werden im positiven Sinne einige Fragen aufgeworfen, denn weder wollen die Entführer Lösegeld noch ihrem Gegenüber etwas antun. Sie wollen allein die Wahrheit erfahren. Es dauert zumindest einige Momente, bis dem Zuschauer dämmert, was das alles zu bedeuten hat. Ein gutes Stück vor der eigentlichen Auflösung allerdings, sollte doch den Meisten klar sein, wie der Hase hier läuft.

Wenn nicht gerade eine kurze Erklärung des deutschen Krankensystems stattfindet, dann fordert «Die letzte Flucht» eine durchaus hohe Aufmerksamkeit. So manches Mal macht der Film es sich mit seinen Schlüssen dabei jedoch zu einfach. So bleibt der Eindruck, dass jeder aus der Pharmabranche und (immerhin nur) jeder zweite Arzt korrupt ist. Und auch den Verschwörungstheorien wird leichtfertig Tür und Tor geöffnet. Der Zuschauer soll sich empören über die gewissenlosen BKA-Oberen und über die profitgeile Gesundheitsbranche, wobei letztlich ja doch alle unter einer Decke stecken. Wenn man das Positive daran finden mag, so könnte man meinen, es überrasche zumindest Pegida-Anhänger und Aluhutträger, wenn ein solch systemkritisches Stück in einem “Systemsender“ zu sehen ist. Inhaltlich aber geht die Geschichte damit über ein stimmiges Maß an Gesellschaftskritik hinaus. Das ist schade, weil so auch schnell die oft mehr als berechtigte Kritik an Reputation verliert. Gerade, wenn zum Beispiel die Praxis der Drittmittelvergabe an Hochschulen kritisiert wird, so wird die reale Situation nämlich sehr treffend charakterisiert.

Nett, aber unauffällig ist ganz im Gegenteil dazu der Score. Optisch schwankt man zwischen bombastischem Aussehen und miesen Momenten, in einigen Sequenzen liegt die Bildsprache nämlich stark daneben, der Gesamteindruck bleibt gleichwohl ordentlich. Besser agiert die Hauptfigur. Ronald Zehrfeld kauft man den Ex-Ermittler sehr bereitwillig ab, ob er die Privatperson Dengler auch noch kann, muss sich hingegen erst in den nächsten Parts zeigen. Schwach ist dagegen in vielen Momenten einer der Episodenhauptdarsteller: Der mutmaßliche Vergewaltiger Prof. Voss wirkt häufig unglaubwürdig und eigentlich fast nie so, als sei ihm der Ernst der Lage bewusst. Dazu passt, dass das eigentliche Problem von Prof. Voss durch einen einfachen Kniff gelöst werden könnte. Seine Verschwörungsthese könnte er nämlich ganz einfach belegen, wenn er seine wissenschaftliche Arbeit nicht nur auf dem abhandengekommenen Laptop, sondern auch in der Cloud (oder wenigstens auf einem zusätzlichen USB-Stick) gespeichert hätte. Hat er nicht. Aus Sicherheitsgründen, wie er selbst erklärt. Nun gut.

Etwas zu flott kommt dann das Ende des Films. Schade, dass man der Produktion nicht ein paar Minuten mehr gegeben hat. Alles endet zu hastig und wirkt damit nicht ganz stimmig. Dazu passt, dass in diesen Momenten auch Startbild und Studio des «heute journals» gezeigt werden – aber nicht zusammenpassen. Das Logo nämlich ist beim Startbild noch veraltet, das Studio hingegen die neue „grüne Hölle“. Insofern erscheint diese Szene symptomatisch für die kleinen Unaufmerksamkeiten in den Minuten gegen Ende. Auch musste offensichtlich die Buchvorlage ein gutes Stück gekürzt werden. So spielen in der Vorlage exemplarisch die Ereignisse um Stuttgart 21 eine nicht ganz unwichtige Rolle, im Film gibt es davon allerdings nichts zu hören und zu sehen. Gut erzählt hätte es aber sicher nicht geschadet, auch das noch zu integrieren – wenn denn Zeit gewesen wäre.

Nichtsdestotrotz sehnt man sich das Ende als Zuschauer nicht herbei. Auch aus Zuschauersicht nämlich hätte der Film gerne noch ein wenig laufen dürfen. Jedenfalls ist er sehr fesselnd und spannend inszeniert. Das täuscht freilich nicht darüber hinweg, dass die Kritik nicht immer angemessen formuliert wird und sie ein bisschen zu viel Aluhut trägt. Zu befürchten steht, dass dies in weiteren Folgen um Dengler kaum anders aussieht, denn auch im Protagonisten liegt die Abwendung vom System ja. Zu Schorlau jedenfalls würde es passen, wenn es so weiter geht. Trifft diese Befürchtung nicht zu, so steht der Reihe aber sicher eine umso tollere Zukunft bevor. Denn qualitativ ist eine Flucht für Georg Dengler keineswegs nötig. Zumindest keine Flucht weg vom ZDF-Fernsehfilm. Nein, insgesamt ist die erste «Dengler»-Verfilmung mehr als gelungen – sofern man kritisch bleibt.

«Dengler – Die letzte Flucht» ist am Montag, 20. April um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.
19.04.2015 16:59 Uhr Kurz-URL: qmde.de/77641
Frederic Servatius

super
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