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Die Kritiker: «Zorn – Vom Lieben und Sterben»

Nicht nur der Hauptdarsteller für den zweiten Fall der Reihe ist neu, auch die Herangehensweise an die neue Episode ist eine gänzlich andere. Wie wirkten sich die Änderungen auf die Reihe aus?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
tephan Luca, Axel Ranisch, Saskia Rosendahl, Alice Dwyer, Merlin Rose, Katharina Nesytowa, Christoph Grunert, Janosch Lencer, Jens Münchow, Tom Quaas, Peter Sodann und Annekathrin Bürger

Hinter der Kamera:
Drehbuch: Stephan Ludwig; Regie: Mark Schlichter; Kamera: Markus Hausen; Szenenbild: Björn Nowak; Kostüm: Gioia Raspé; Schnitt: Katja Dringenberg; Produktionsstudio: filmkombinat Nordost GmbH
Der Beginn von «Zorn – Vom Lieben und Sterben» gibt sich gleich alle Mühe das Bild des demotivierten „Bad Ass“-Hauptkommissars Zorn aufrecht zu erhalten. Speckige Lederjacke, Sonnenbrille trotz wolkenbehangenem Himmel und die Zigarette im Mundwinkel, steuert Claudius Zorn sein Auto lässig mit einer Hand. „Alter!“, versucht sich der 42-jährige Beamte im Jugendjargon, als ein Radfahrer die Fahrbahn kreuzt. Was der ungepflegte Draufgänger zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass selbiger das erste Mordopfer seines neuen Falls wird. Wenige Minuten später suchen Zorn und sein nach einer Messerattacke wieder genesener Kollege Schröder den Fundort von Björn Groths Leiche auf, der in ein eingespanntes Drahtseil raste, das ihm die Kehle durchschnitt. Als Zorn widerwillig dessen Mutter die traurige Nachricht überbringt, ahnt diese den Verantwortlichen für die Tat in der Clique des Toten.

Diese besteht aus Udo, Martha, Max und Eric, die jeden Tag zusammen verbringen und meist im örtlichen Schwimmbad anzutreffen sind. Zorn hat Probleme damit, den wenig kooperativen und vorlauten Teenagern brauchbare Aussagen zu entlocken, da stirbt auch schon der nächste der Gruppe, der auf dem Sprungturm des Schwimmbads mit Benzin übergossen und verbrannt wird. Nicht nur innerhalb der Clique ermitteln Zorn und sein pausbäckiger Kollege Schröder, auch Pastor Giese gerät ins Visier der Ermittler, bei dem die Jugendlichen viel Zeit verbrachten. Bald wird klar, dass die Jugendlichen eine gemeinsame, dunkle Vergangenheit teilen, deren Entdeckung sowohl Zorn als auch den sonst so besonnenen Kommissar Schröder an ihre Grenzen bringen…

„Hast dich irgendwie verändert“, erkennt Schröder am Anfang des neuen Falls. Auch trotz Sonnenbrille wird besagte erste große Veränderung gegenüber dem ersten Fall der «Zorn»-Reihe in der Neubesetzung der Hauptrolle ersichtlich. Aus terminlichen Gründen verabschiedete sich Mišel Matičević aus der MDR-Produktion, stattdessen castete man Stephan Luca, der ein gänzlich anderes Erscheinungsbild an den Tag legt. Harmonierten die harten Gesichtszüge Matičevićs noch mit dessen raubeiniger Rolle, verpflichteten die Verantwortlichen mit Stephan Luca, der vielen Filmemachern wohl als Blaupause für den Schönling in Romantic Comedies dient und vor allem in diesem Genre seine Sporen verdiente. Die Neuverpflichtung wirkt sich nicht unwesentlich auf die Reihe aus, war Matičević doch der unbestritten verdientere Schauspieler, während der Charakter Claudius Zorn durch das gute Aussehen Lucas etwas an Authentizität verliert. Ein Fehlgriff ist der neue Hauptdarsteller, der beispielsweise bereits in «Wolff – Kampf im Revier» als Ermittler auftrat, aber nicht - das Buch musste jedoch dementsprechend angepasst werden, sodass der schmuddelige Kommissar nun auch bei den Frauen besser ankommt, während der „Erstlings-Zorn“ sich dem weiblichen Geschlecht recht unsicher näherte. Mit dem attraktiveren, selbstsichereren Zorn gehen dem Protagonisten also auch ein paar Facetten ab.

Hat sich der erste Fall vor allem noch darauf konzentriert, dass, wie so oft, sonderbare Ermittlerpaar um Claudius Zorn und Schröder (Axel Ranisch) einzuführen und vor allem die harte und starke Seite des grimmigen Einzelgängers Zorn zu beleuchten, gewinnt die zweite Episode durch die Darstellung seiner ebenfalls zahlreich vorhandenen Schwächen hinter der Rockstar-Fassade an Tiefe. Zorn wird von Jugendlichen vermöbelt, fürchtet sich auf dem Zehn-Meter-Brett und wird, wie Kollege Schröder auch, vom aufwühlenden Fall an die Grenze seiner nervlichen Belastbarkeit gebracht, was bei ihm ungeahnt empathische Züge offenbart. Schröder, der fast schon verdächtig höfliche und strebsame Muster-Polizist mit der weichen Stimme gibt seinem „Chef“ erstmals Widerworte. „Ich bin der gutmütige Trottel und du gibst Anweisungen“, konfrontiert er den baffen Zorn, der Schröder gerade eine Aufgabe zuteilen wollte, die drohte ein altes Trauma Schröders wieder ins Gedächtnis des sensiblen Beamten zu rufen. Die Parallelen zwischen Schröders Vergangenheit und dem neuen Fall reißen alte Wunden auf, setzen Schröder sichtlich zu und verleihen dem Charakter damit die Tiefe, die seine Rolle im Rahmen des ersten Falls fast gänzlich vermissen ließ, als das strebsame Pummelchen noch wirkte wie ein wandelndes Klischee.

Generell tut «Zorn – Vom Lieben und Sterben» gut daran, sich von den humoristischen Fehlschlägen der ersten Episode zu distanzieren. Laue Gags und eine grausame Delivery untergruben zu großen Teilen die Ernsthaftigkeit des Reihen-Debüts. Die neue, sehr düstere Ausgabe, die auch vor expliziteren Szenen und einigen Leichen nicht zurückschreckt, wirkt sich sehr positiv auf die Stimmung der Reihe aus und rechtfertigt obendrein den Weltschmerz, mit dem Claudius Zorn schon im ersten Fall grimmig durch die Welt schritt. Ganz ohne Humor wollte Autor Stephan Ludwig, auf dessen Erfolgs-Romanen die Fernsehreihe basiert, dann aber doch nicht auskommen. Dieser sorgt mit einigen gestelzten und gestolperten Dialogen wieder für etwas Substanzverlust. Etwa wenn die Bedienung eines Restaurants Zorn und Schröder nach ‚Knabbergebäck fragt: „Knabbergebäck?“, horcht Schröder nach. „Sehr wohl, wir haben Knabbergebäck.“ – „Chef, möchtest du Knabbergebäck?“-„Ich? Ne, ich will kein Knabbergebäck.“ – „Danke, wir wollen nicht knabbern.“ - „Dann also kein Knabbergebäck." Und irgendwo dreht sich Fips Asmussen beschämt vom Bildschirm weg.

Während die erste Hälfte des 90-Minüters eher als konventioneller Krimi daherkommt, nachdem der erste Fall noch mit viel Ironie experimentierte, damit die düstere Aufmachung konterkarierte und letztlich scheiterte, kippt „Vom Lieben und Sterben“ inhaltlich nach 45 Minuten und offenbart eine Tragik, die der Reihe gut zu Gesicht steht. Noch immer ist die Polizeiarbeit des Ermittlerteams jedoch realitätsfern und leidet unter der Sozialphobie der Hauptrolle, was der Reihe nach den ersten Gehversuchen jedoch kaum noch anzulasten ist und schlichtweg Teil der Prämisse bleibt. Viel mehr stört die Entwicklung der Geschichte, die grausame Erkenntnisse zu Tage fördert, es aber nicht schafft, diese konsequent fortzuspinnen und in die Auflösung des Falls münden zu lassen. Stattdessen begründet der Mörder seine Tat letzten Endes damit, dass seine Opfer „einfach gestört“ hätten. „Das ist alles?“, fragt Zorn ungläubig und erkennt damit selbst das psychologisch wenig sinnvolle Motiv des Täters, das den Sehgenuss deutlich trübt.

Regisseur Mark Schlichter verzichtet auf Experimente, wenig Wert legt die Episode auf einen Score, der der Reihe künftig noch mehr Atmosphäre verleihen könnte. Nach dem enttäuschenden ersten Fall hat Stephan Ludwig nun den richtigen Weg gefunden, die Degeto-Reihe attraktiver und stimmiger zu gestalten. Zwar spielen nicht alle Jungdarsteller überzeugend auf, während die Nebengeschichte zu Zorns Beziehung wie ein Füller wirkt und dem Fall keinen Mehrwert bringt und auch der lange Zeit interessante Fall letztendlich etwas in den fehlenden Ideen bezüglich den Hintergründen der Tat versandet. Dafür verleiht letzterer den Charakteren Zorn und Schröder nun endlich eine Tiefe und bietet einen Einblick in ihr Seelenleben. Letztendlich steht «Zorn – Vom Lieben und Sterben» storytechnisch auf leicht wackligen Beinen, dafür aber auf einem fruchtbaren Boden für eine sehenswerte Fortführung der Reihe, die vielleicht ja mit dem abgedrehten dritten Teil „Wo kein Licht“ vollends überzeugt.

Das Erste strahlt «Zorn - Vom Lieben und Sterben» am Donnerstag, dem 16. April, um 20.15 Uhr aus.
15.04.2015 20:20 Uhr Kurz-URL: qmde.de/77595
Timo Nöthling

super
schade

77 %
23 %

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