"Das Muli" heißt die Premierenfolge der neuen «Tatort»-Reihe aus Berlin. Unsere Vorab-Kritik:
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Meret Becker als Nina Rubin
Mark Waschke als Robert Karow
Emma Bading als Johanna Michels
Theo Trebs als Ronny Michels
Hinter der Kamera:
Produktion: Eikon Media GmbH
Drehbuch: Stefan Kolditz
Regie: Stephan Wagner
Kamera: Thomas Benesch
Produzent: Ernst Ludwig GanzertWenn einem gar nichts mehr einfällt, kann man immer noch den Spielort zur Hauptfigur erheben.
So klang das zumindest, als die neue «Tatort»-Reihe aus der Hauptstadt angekündigt wurde, in der Meret Becker und Mark Waschke – neben Berlin, natürlich – die Hauptrollen übernehmen.
Nun eilt dem Lokalkolorit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine gewisse Reputation voraus. Schließlich muss er seit Jahren als Argumentationshilfe herhalten, um dem Vorabend ein bisschen Relevanz abzuringen. Und viel zu oft ist er bei einem Stoff als Alleinstellungsmerkmal verkauft worden, weil keine anderen Alleinstellungsmerkmale vorhanden gewesen sind. Ohnehin: Was verbirgt sich meist schon groß dahinter: Spielt ein Film im Südwesten, wird geschwäbelt, in Nordrhein-Westfalen wird an Currywurstbuden geflucht, in München in weiß-blau-gescheckten Zelten Bier getrunken und in Berlin der Fernsehturm als Insert benutzt.
Doch wo eine Geschichte spielt, ist erst einmal zweitrangig. Wichtig ist, dass sie für sich genommen funktioniert. Ganz egal, ob in München, Berlin oder Wetter an der Ruhr.
Glücklicherweise hat man in der Premierenfolge des neuen Berliner «Tatorts» darauf verzichtet, den Spielort allzu penetrant als „dritte Hauptfigur“ hochzustilisieren und den beiden wirklichen Hauptfiguren die Bühne überlassen: Die heißen Nina Rubin und Robert Karow und arbeiten beim LKA in der Mordkommission. Rubin seit sechs Jahren, Karow seit ein paar Stunden.
Gut möglich, dass man während der Stoffentwicklung ein wenig nach Dortmund geschielt hat: Denn auch in Berlin soll sich durch die ersten vier Folgen ein roter Faden ziehen: Karows ehemaliger Kollege aus dem Drogendezernat ist unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen. Akten wurden gefälscht, mehrere Obduktionen vorgenommen – und Rubin ist sich nicht ganz sicher, ob vielleicht sogar Karow etwas mit dem Dahinscheiden seines Partners zu tun hat. Die Auflösung wird noch eine Weile auf sich warten lassen.
Ähnlich wie in der Vorzeige-«Tatort»-Stadt in Nordrhein-Westfalen zeigt man auch in der ersten neuen Folge aus Berlin ziemlich viel Elend, Obdachlosigkeit, Perspektivlosigkeit, viel Grau in Grau, abgefuckte Gegenden, trostlose Lebensläufe – und als Randnotiz auch die ewige Peinlichkeit des nie fertig werdenden Flughafens. Doch was in Dortmund Ausgangspunkt zu berechtigter und intelligenter Sozialkritik ist, bleibt in Berlin, zumindest in der Premiere, bloß Kulisse. Das Potential des dritten Hauptdarstellers als Spielort, an dem sich gesellschaftliche Friktionen entladen können, bleibt insofern noch weitgehend ungenutzt.
rbb/Frédéric Batier
Auf der Indoor-Müllhalde wird die Leiche gefunden. Einige Spurensicherer, darunter (Daniel Krauss, li.) und die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker, vorne re.) und Robert Karow (Mark Waschke, 2. v. li.) sondieren die Lage.
Also müssen es die anderen beiden Hauptfiguren richten: Zumindest Nina Rubin gelingt das auch: Sie führt ein relativ kompliziertes Privatleben mit Mann, zwei Kindern und Liebhaber, durchgeraveten Nächten und einer engen emotionalen Bindung an ihre Familie. Ähnliche Konstellationen werden in der öffentlich-rechtlichen Fiction in schöner Regelmäßigkeit hoffnungslos vergeigt; „Das Muli“ zeigt, wie man es richtig macht: authentisch, ehrlich, nahbar, voller Widersprüche, aber ohne Ungereimtheiten. Und mit einer tollen Meret Becker, die die emotionale Zerrissenheit ihrer Figur nie fahrig-belanglos anlegt, sondern in all ihrer Komplexität fassbar macht.
Neben Rubin wirkt ihr Kollege Karow deutlich uninteressanter. Im Vergleich zur überlegten, korrekten, aber auch emotionalen Rubin ist er ein fatalistischer Draufgänger. Bei ihm knarzt es noch im Klischeegebälk: „Wer is’n das?“, fragt er ob der unsicheren jungen Frau, die ihm Kaffee bringen soll. „Die Hospitantin. Lassen Sie die Finger von ihr.“ [i]Watch out, we got a badass over here.[i] Als er dem Hospitantenmäuschen später aufträgt, Unmengen Flugmanifeste zu sichten, fragt sie pflichtbewusst: „Brauch ich dafür nicht eigentlich nen Beschluss?“ „Sie wollen zur Mordkommission?“, fragt Karow da spöttisch, nur um gleich den Macker zu markieren: „So wird das aber nichts!“ Lektion Nummer eins: Beschlüsse und rechtsstaatliche Verfahren haben bei der Mordkommission nicht zu interessieren. Wir sind die Guten. Wir dürfen das. Immer.
Solche Dummheiten hätte „Das Muli“ gar nicht nötig gehabt. Denn der Stoff der Auftaktfolge wird ansonsten solide erzählt, wenngleich man die dramaturgische Raffinesse vermisst, mit der ähnliche Geschichten schon anderswo zu sehen waren: Eine finstere Drogenschmugglerbande heuert junge Frauen an, in Acapulco Urlaub zu machen und mit allerhand Heroinpäckchen im Magen nach zwei Wochen Sommersonnensause wieder ins kalte Europa zu fliegen: Bis die Sache schief geht: Zurück in Deutschland kippt eine Anfang-Zwanzigerin in der konspirativen Wohnung um, die skrupellosen Männer schneiden ihr den Bauch auf und lassen sie elend in der Badewanne verrecken. Die dreizehnjährige Johanna, die ebenfalls Unmengen Drogen im Leib hat, ergreift panisch die Flucht – wenn die Polizei sie nicht rechtzeitig findet und sich eines der Päckchen in ihrem Körper öffnet, ist sie tot. Wenn die Schmuggler sie finden, ebenso.
Sympathien mit einer 13-Jährigen hat man freilich schnell aufgebaut. Der neue Berliner «Tatort» setzt damit bei seiner Premiere auf eine sichere Bank, um den Zuschauer emotional in den Fall zu involvieren: Gelungen ist, dass diese Figur nicht zur unbedarften Heulsuse degradiert wird, um billige Sympathien mitzunehmen, sondern charakterlich interessant ist – und von Emma Bading sehr glaubwürdig verkörpert wird.
Diese erste «Tatort»-Folge des Berliner Reboots zeigt zweifellos Potential: Vor allem in Meret Becker und ihrer spannenden Figur Nina Rubin. „Das Muli“ macht – mit Abstrichen – einen durchdachten, stimmigen Eindruck und scheint richtigerweise den Anspruch zu haben, nicht in der Beliebigkeit zu versumpfen wie viele andere Städte. Ein lobenswerter Ansatz, der in Teilen auch schon gelungen ist. Doch an der Spitze will man die Neuen (noch?) ebenso wenig verorten: In Dortmund, Wiesbaden und Österreich sitzen Geschichten und Figuren besser, werden radikaler und mitreißender erzählt. Da muss die Hauptstadt noch aufholen.
Das Erste zeigt «Tatort – Das Muli» am Sonntag, den 22. März um 20.15 Uhr.
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20.03.2015 13:15 Uhr 1