Disneys neustes Realfilm-Remake eines Zeichentrick-Märchenklassikers lädt mit ehrlichem Tonfall und fabelhafter Optik zum Träumen ein.
Filmfacts «Cinderella»
- Regie: Kenneth Branagh
- Produktion: Simon Kinberg, David Barron, Allison Shearmur
- Drehbuch: Aline Brosh McKenna, Chris Weitz
- Darsteller: Lily James, Richard Madden, Cate Blanchett, Stellan Skarsgård, Holliday Grainger, Derek Jacobi, Helena Bonham Carter
- Musik: Patrick Doyle
- Kamera: Haris Zambarloukos
- Schnitt: Martin Walsh
- Kostüme: Sandy Powell
- Laufzeit: 112 Minuten
- FSK: ab 0 Jahren
Märchen sind einer der tragenden Pfeiler der Walt Disney Company. Schon der erste Langfilm des Unterhaltungsgiganten, «Schneewittchen und die sieben Zwerge», brachte eine altbekannte Mär auf ikonische Weise in die Kinos. Seither packt Disney in unregelmäßigen Abständen weitere animierte Märchenadaptionen an, und sie alle sind im Pantheon der respektiertesten Trickfilme vorzufinden. In jüngster Vergangenheit hat der Konzern zudem einen Narren daran gefressen, Märchen, die bereits in animierter Form Teil des Disney-Kanons sind, neu als Realfilm umzusetzen. Rein kommerziell machte sich dieser Trend bislang bezahlt, während diese „Realmakes“ aus künstlerischer Sicht bislang eine bescheidene Bilanz aufweisen.
Gelang es Tim Burton 2010, seinem Milliardenhit
«Alice im Wunderland» trotz allerhand dürftiger Momente zumindest einige clevere Aspekte zu verleihen, stellt die 2014 gestartete «Dornröschen»-Neuinterpretation
«Maleficent – Die dunkle Fee» eine inkohärente, mittelschwere Katastrophe dar. Robert Strombergs ungelenke Regiearbeit spülte dessen ungeachtet über 750 Millionen Dollar in die Kassen – keine niedrige Hürde, die «Cinderella» zu überbieten hat. Verdient hätte es der von Kenneth Branagh auf Zelluloid gebannte Kostümfilm allerdings, denn die 95-Millionen-Dollar-Produktion des «Thor»-Regisseurs weiß im Gegensatz zu den genannten Kassenschlagern, die Magie des Pate stehenden Disney-Zeichentrickklassikers einzufangen und gleichwohl eine eigene Identität zu entwickeln.
Im Gegensatz zum unvergesslichen Zeichentrickfilm der Regisseure Clyde Geronimi, Wilfred Jackson und Hamilton Luske blickt diese «Cinderella»-Adaption ausführlich auf das Leben der Titelfigur, bevor es aufgrund ihrer garstigen Stiefmutter zur reinen Tortur wurde: Gemeinsam mit ihrer fürsorglichen Mutter (Haley Atwell) und ihrem gutmütigen Vater (Ben Chaplin) führt die kleine Ella ein unbeschwertes Dasein – bis ihre Mutter überraschend schwer erkrankt und letztlich stirbt. Jahre später findet der Witwer in Lady Tremaine (Cate Blanchett) eine neue Liebe. Die oberflächliche, herrische Frau hat aber wenig für Ella übrig; sie gibt allein auf sich selbst und ihre leiblichen Töchter Anastasia und Drizella (Holliday Grainger und Sophie McShera) acht. Als dann Ellas Vater während einer Geschäftsreise spurlos verschwindet, entwickelt sich Tremaine endgültig zu einer gefühlskalten, befehlshaberischen Natter, die ihre Stieftochter ohne Unterlass tyrannisiert. Zum Hausmädchen erniedrigt und nur noch unter dem beißenden Spitznamen Cinderella bekannt, glaubt die gute Seele, in einem Albtraum gefangen zu sein. Doch dann geht die frohe Botschaft durchs Land, dass der nach einer Gattin suchende Prinz (Richard Madden) einen festlichen Ball gibt. Eine gute Fee (Helena Bonham Carter) sorgt letztlich dafür, dass Ella dort ordentlich Eindruck schindet …
In den Walt Disney Animation Studios galt jahrzehntelang die Maxime: In der Kürze liegt die Würze. Dies macht sich auch bei der dreifach Oscar-nominierten Zeichentrickversion von «Cinderella» bemerkbar, die mit gerade einmal 74 Minuten Laufzeit auskommt. Derart knapp fasst sich Branaghs Realfilm nicht, mit 112 Minuten übertrifft er sogar Burtons Reise ins Wunderland und Strombergs tonal schizophrene «Dornröschen»-Umdeutung. Ganz so lang hätte die Erzählung nicht ausfallen müssen: Bis die von Cate Blanchett mit denkwürdiger Garstigkeit verkörperte Stiefmutter in die Story Einzug erhält, findet das Skript von Aline Brosh McKenna und Chris Weitz keinen souveränen, narrativen Fluss. Ab diesem Wendepunkt sitzt der Erzählrhythmus zwar bis zum Schluss, jedoch fallen dafür die zahlreichen Wiederholungen von Ellas Lebensmotto „Sei immer mutig und gütig!“ mit der Zeit ziemlich störend auf.
Von diesen Faktoren abgesehen nutzt Disneys neuer «Cinderella»-Film seine längere Laufzeit sinnig. Hauptsächlich dienen die zusätzlichen Filmminuten dazu, den Figuren stärkere Konturen zu verleihen. So wird Ellas Widerwillen, sich gegen ihre unerträglichen Stiefschwestern und deren sadistische Mutter aufzulehnen, fundiert begründet. Ebenso gibt es mehr Einblicke in das Palastleben, ferner wird Lady Tremaine deutlich ausdifferenzierter dargestellt als in den meisten Verarbeitungen der Aschenputtel-Erzählung. Zwar bleibt dank der wundervoll fiesen Cate Blanchett stets außer Frage, dass Tremaine sich ihrer Stieftochter gegenüber durch und durch unschicklich verhält, jedoch geben McKenna & Weitz ihr eine plausible, nachvollziehbare Motivation. Somit erhält die zweifache Academy-Award-Preisträgerin die Gelegenheit, sich sowohl in genussvoller Thetralik zu üben, als auch mit leiseren Momenten Akzente zu setzen.
Es ist auch Blanchetts Rolle, die ein Gros der Sequenzen trägt, in denen «Cinderella» gleichermaßen aufgeweckt wie tänzerisch die eingeschränkten Möglichkeiten thematisiert, die Frauen jahrhundertelang in ihrer Lebensgestaltung hatten: Dass in vielen Märchen Frauen durch einen Prinzen errettet werden, muss nämlich nicht zwangsweise als patriarchale Erzähldynamik aufgefasst, sondern kann auch als Abbildung der Realität vergangener Zeiten verstanden werden. Da bezahlte Arbeit für das weibliche Geschlecht zumeist ein Tabu war, mussten Frauen in der Wahl ihrer Gemahlen taktieren und Initiative ergreifen, wenn sie ihr Schicksal verbessern wollten. Dies kommentiert Branaghs Film mit gebotener Haltung, ohne dabei von der eskapistischen – und vor allem genderneutralen – Märchenstimmung abzulenken. Und ob nun Frau oder Mann: Der Traum davon, durch eine bedingungslose Liebe sein Elend hinter sich zu lassen, ist ungebrochen nachfühlbar. Erst recht in diesem visuellen Prachtwerk, das sich durch Branaghs ehrliche, direkte Inszenierung klar von modernen Hollywood-Blockbustern abhebt.
Kenneth Branagh verzichtet genauso sehr auf das Auffangnetz der Ironie, wie er jeglichem Zynismus entsagt und sich gegen den Trend stellt, alles rau und grimmig zu zeichnen. Dieser Ansatz wäre aufgrund moderner Sehgewohnheiten zum Scheitern verurteilt, wäre Branaghs Film nicht von Anfang bis Ende von einer klar erkennbaren Ehrfurcht gegenüber der Märchenvorlage durchzogen. Branagh ist mit Passion dabei, was sich etwa in den farbenfrohen, minutiös geplanten und prunkvollen Bildern zeigt, die er und Kameramann Haris Zambarloukos auf die Leinwand zaubern. Entgegen der heutigen Hollywood-Norm wurden gar analoge Kameras verwendet, um ein zeitloses Feeling zu kreieren und sich des Weiteren vor dem handgemachten Zeichentrickfilm zu verneigen. Aus eben jenem lieh Branagh mehrere ikonische Bilder, die er allerdings nicht 1:1 kopiert, sondern behutsam variiert – wie etwa die magische Entstehung des Ballkleids, mit dem Ella alle Blicke auf sich zieht.
Generell sind die Verwandlungsszenen am Disney-Klassiker orientiert, aber zugleich originell genug, um nicht bloß eine blanke Hommage darzustellen. Mit rasantem Slapstick und einer ansteckend-amüsierten Helena Bonham Carter als gute, aber konfuse Fee gehören die wenigen übernatürlichen Passagen sogleich zu den Höhepunkten des Films. Knapp dahinter reiht sich bereits der prächtige Ball des Prinzen ein, der dank der fabelhaften, von Sandy Powell («Aviator») gestalteten Kostüme eine echte Augenweide ist. Den Look des Disney-Films lässt Powell wohlgemerkt weitestgehend hinter sich, ähnlich wie auch Komponist Patrick Doyle primär sein eigenes Ding dreht – dies aber erfolgreich: Die Musik ist zeitlos und träumerisch, wenngleich längst nicht so eingängig wie die aus dem Disney-Evergreen.
Obwohl ihre tierischen Freunde – die nur sehr begrenzte Laufzeit erhalten, dann aber zuckersüß daherkommen – klar an den 50er-Jahre-Film angelehnt sind, lässt sich auch Hauptdarstellerin Lily James kaum spürbar vom Zeichentrickklassiker beeinflussen. Die «Downton Abbey»-Mimin verleiht aber auch ohne solche Schützenhilfe der Titelheldin ein sympathisches, selten kitschiges Naturell – wenngleich sie sich nicht dermaßen in ihrer Figur verliert wie ihre Ensemblekolleginnen. Die Herren der Schöpfung zu guter Letzt tun effizient ihren Dienst, ohne sonderlich aufzufallen. Richard Madden darf als Prinz gut aussehen, Stellan Skarsgård als Großherzog schmierig sein und Nonso Anozie als Kapitän der Palastwache ein paar geschliffene Wortwitze abliefern. Es sind halt die Damen, die in «Cinderella» im Zentrum stehen – ihre Sorgen, ihre Träume und ihre märchenhafte Garderobe.
Fazit: Trotz kleiner Längen: «Cinderella» ist um ein Vielfaches besser als «Maleficent – Die dunkle Fee» und Tim Burtons «Alice im Wunderland». Die Optik ist fabulös, Cate Blanchett ist eine Wucht und Kenneth Branaghs Inszenierung beweist, dass Märchen auch heutzutage in nüchterner, ehrlicher Form funktionieren.
«Cinderella» ist ab dem 12. März 2015 in zahlreichen deutschen Kinos zu sehen.