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Kümmert-Rücktritt: Haben die Veranstalter korrekt reagiert?

Eklat bei «Unser Song für Österreich»: Der Gewinner des «ESC»-Vorentscheids nimmt die Wahl nicht an und spontan wurde die Zweitplatzierte Ann Sophie zur deutschen Eurovision-Interpretin erkoren. Haben die Verantwortlichen korrekt gehandelt?

Pro von Manuel Nunez Sanchez


Das ebenso Reizvolle wie Gefährliche an Live-Shows aller Art ist deren Unvorhersehbarkeit, wie man am Donnerstagabend am Ende von «Unser Song für Österreich» eindrucksvoll zu sehen bekam. Ausgerechnet im Moment der größten Spannung und des überschwänglichsten Jubels eine dermaßen große Abfuhr des Sieger-Acts zu bekommen, wie sie nicht nur Moderatorin Barbara Schöneberger, sondern das gesamte für die «ESC»-Organisation verantwortliche Team des Norddeutschen Rundfunks erfahren hat, dürfte so mit die größtmögliche Katastrophe gewesen sein. Wie die Moderatorin in dieser Ausnahmesituation bestmöglich hätte reagieren können, wird in den kommenden Tagen, vielleicht sogar Wochen, die deutsche Berichterstattung rund um den «Eurovision Song Contest» prägen. Schöneberger hat sich für die Variante "The Show must go on" entschieden - gewiss diskutabel, aber gewiss auch nicht die schlechteste Wahl, die sie in diesem Moment der allumfassenden Ratlosigkeit hätte treffen können.

Um die Entscheidung der Moderatorin nachvollziehen zu können, ist es wohl nötig, sich in ihre Situation hinein zu versetzen: Binnen weniger Sekunden schlug die Stimmung in der hannoveraner Lanxess Arena von großer Euphorie ob des Sieges des stimmlich grandios performenden Blues-Sängers Andreas Kümmert in laute Buhrufe über, als sich dieser weigerte, Deutschland in Wien zu vertreten. Schöneberger hatte also letztlich die Wahl, umgehend selbst Tatsachen zu schaffen und der Bitte des Siegers Folge zu leisten, der Zweitplatzierten Ann Sophie das Ticket nach Österreich zu übergeben - oder die Show in völliges Chaos enden zu lassen. Hätte sie es in diesem Moment ihrer Co-Moderatorin Janin Reinhardt gleich getan und versucht, die Kandidaten mit ebenso substanzlosen wie deplatzierten Fragen der Marke "Was sagst du jetzt dazu?" zu penetrieren, hätte man ihr (zurecht) fehlende Souveränität und Spontaneität vorgeworfen. Sie hätte sieben andere Künstler ratlos zurückgelassen, die der Stimmgewalts Kümmerts unterlegen waren. Und vor allem hätte sie den deutschen Vorentscheid vor einem völlig aufgebrachten und enttäuschten Publikum abmoderieren müssen, dem die Verantwortlichen eine klare Entscheidung versprochen hatten, live den beim Song Contest auftretenden Künstler vorzustellen.

In Momenten wie diesen gibt es keine befriedigende Lösung, da der demokratisch gewählte Akteur die Wahl des "Volkes" nicht annimmt und man deshalb auf einen Notnagel zurückgreifen muss. Allerdings hätte es auch keinen alternativen Weg gegeben, diesen "Coitus Interruptus" abzuwenden. Eine Vertagung der Entscheidung hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit dasselbe Ergebnis zutage befördert, das nun immerhin bereits feststeht. Der unwahrscheinliche alternative Weg, dass Kümmert einen Rückzieher vom Rückzieher macht, hätte ebenso ein Geschmäckle gehabt und den «ESC»-Fans gewiss nicht den Eindruck vermittelt, dass der Künstler sein Land im Mai mit vollem Eifer vertritt. So steht nun zumindest eine klare Entscheidung und es gibt Planungssicherheit für alle Beteiligten. Ohne die klare Kante von Schöneberger wären die nächsten Tage und Wochen von einem medialen Wettstreit um die abenteuerlichste Vorstellung davon geprägt gewesen, wie der NDR nun vorzugehen hat - was letztlich vor allem den Künstlern nicht gerecht geworden wäre.

Die Hintergründe von Kümmert sind unklar und es ist durchaus möglich, dass er im Nachhinein mit seiner Entscheidung hadert. Das allerdings hätte er sich dann alleine selbst zuzuschreiben und eine tagelange Hängepartie um dieses Thema hätte der zweitplatzierten Ann Sophie noch mehr das Gefühl vermittelt, nicht mehr als das fünfte Rad am deutschen Vorentscheid-Wagen zu sein, mit dem man sich halt im Notfall zu arrangieren hat. Und das wäre nun wahrlich mehr als unfair der jungen Sängerin gegenüber.


Contra von Sidney Schering


Im Laufe des Vorentscheids wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass der «Voice of Germany»-Gewinner Andreas Kümmert derzeit an einer Grippe erkrankt und daher zumindest geistig nicht so wirklich vor Ort ist. Als der sich zumeist von seiner bescheidenen Seite zeigende, dennoch auch als impulsiv geltende Blues- und Rocksänger, dann auch noch als Sieger des «Eurovision Song Contest»-Vorentscheids ausgerufen wurde, darf man wohl eins annehmen: Der Musiker wird in diesem Moment ordentlich unter Schock gestanden haben. Das war auch seiner nervös vorgetragenen, mehrmals abgebrochenen Reaktion zu entnehmen, als er meinte, dem Publikumsvoting widersprechen und den Titel an Ann Sophie übertragen zu wollen.

Dass Menschen fähig sind, Dinge zu sagen, die sie später bereuen, wurde kurz darauf sogar von Moderatorin Barbara Schöneberger in Betracht gezogen – wenngleich leicht verquer: „Naja, wenn wir dir diese Entscheidung jetzt ausreden, und du das in drei Tagen wieder bereust, stehen wir auch dumm da“, argumentierte die Moderatorin, die in diesem Moment keinen beneidenswerten Job zu erledigen hatte. Und schon wurde die Zweitplatzierte zur Gewinnerin erklärt, was ihr sichtbar unangenehm war. Womit sowohl ihr als auch Kümmert, sowie dem Konzept des «ESC»-Vorentscheids ein Bärendienst erwiesen wurde. Und ein Zurück gibt es nun auch nicht mehr, ganz egal, was geschieht, wenn alle Beteiligten erstmal wieder ganz bei Sinnen sind. Ein unsinniges Kuddelmuddel, also.

Wie man hätte reagieren sollen? Nun, Schöneberger hatte es zugegebenermaßen ungeheuerlich schwer, ein vernünftiges Ende der Show einzuleiten. Statt aber – gewiss im Namen der Regie – Ann Sophie den Titel zu schenken, hätte man sie provisorisch erstmal nur bitten können, zum Abschluss des Abends ihren Titel vorzutragen. Mit dem Hinweis, dass man in den kommenden Tagen in aller Ruhe eine Entscheidung zu treffen gedenkt. Was, wenn Kümmert bereits im Laufe der Nacht, sobald das Adrenalin nachlässt und vielleicht auch das Fieber, sein Gerede auf der Bühne bereut? Dann könnte er sich entschuldigen und verdient nach Wien fahren, um im Namen der Zuschauer für Deutschland anzutreten. Wenn er in fünf bis sieben Tagen an seinem spontanen Entschluss festhält? Dann kann man Ann Sophie noch immer – ganz korrekt – zur Gewinnerin küren. Und dies rational ergründen, gerne auch ehrwürdig zelebrieren. So unkoordiniert wie es ablief, wird dieser Abend garantiert keine angenehme Karriereerinnerung für die 24-Jährige. Und das muss wahrlich nicht sein, denn sollte sie in Wien nicht in der oberen Hälfte des Rankings landen, werden die medialen Wölfe eh schon über sie herfallen. Mit einer «Eurovision Song Contest»-Teilnahme ist eh eine grausame Fallhöhe verbunden, nun muss man nicht auch noch ein Vorentscheid-Trauma gestatten. Geschweige denn, wie im Fall Kümmert, einem Künstler die Möglichkeit rauben, das zu revidieren, was er auf der Bühne im Affekt so alles gesagt hat.

Ihre Meinung: Haben die Verantwortlichen richtig reagiert?
Ja, die schnelle Entscheidung Schönebergers war so genau richtig.
64,1%
Nein, man hätte die Entscheidung vertagen sollen.
35,9%
06.03.2015 12:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/76758
Manuel Nunez Sanchez & Sidney Schering

super
schade

61 %
39 %

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Tags

ESC Eurovision Song Contest Unser Song für Österreich Voice of Germany

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Es gibt 12 Kommentare zum Artikel
Sentinel2003
07.03.2015 01:49 Uhr 10




Wie lange bitte hätte man ihm denn Zeit geben sollen, sich das noch einmal zu überlegen?? Ne Woche oder wie lange?? Wenn er schon einmal mit solch einer kuriosen Entscheidung "aufgefallen" ist, dann hätte er sich auch nicht im Mai für Wien entschieden...
Säqirjënn
07.03.2015 14:41 Uhr 11
z.B. eine Woche. Aber wenn er von sich aus schon am nächsten Tag eine Erklärung abgeben hätte, wäre es auch ok gewesen. Ich finde es schade, dass es keine weitere Stellungnahme von ihm gibt.
Apollon
09.03.2015 16:58 Uhr 12


Naja, der Vergleich mit dem Sport hinkt meiner Meinung nach gewaltig. Denn im Sport kann man ganz eindeutig eine Leistung mit einer anderen vergleichen. Hier gibt es nicht die subjektive Frage, ob der zweitplatzierte dann wirklich besser war als Platz 3, 4, 5 usw. Die Leistung im Sport spricht für sich.



Beim ESC-Vorentscheid ist die Platzierung rein subjektiv, da sie nur aufgrund eines Zuschauervotings zustande kommt. Und bei diesem Voting entfielen rund 80 % der Stimmen eben NICHT auf die Zweitplatzierte.

Hätte man diese 80 % der Stimmen auf einen der anderen Teilnehmer müssen verteilen, ist noch lange nicht gesagt, dass die Zweitplatzierte auch wirklich die Erstplatzierte geworden wäre.



Da kann man schon verstehen, wenn das Publikum aufgrund der Entscheidung rätselt, ob das rechtens ist. Denn immerhin 80 % der Leute wollten eben nicht die Zweitplatzierte zum ESC schicken.



Also so eine vorschnelle (und meiner persönlichen Meinung nach falsche) Entscheidung gutzuheißen und Meinungen dagegen auch noch als "Mist" zu betiteln, während man gleichzeitig eine sportliche Leistung als wackeligen Vergleich heranzieht, ist schon etwas unverschämt.
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