Schon wieder ein Provinz-Krimi? Mehr als das. Quotenmeter.de erklärt, warum sich das Einschalten des Krimis auf ungewohntem Sendeplatz lohnt.
Cast & Crew
- Darsteller: Aljoscha Stadelmann, Julia Koschitz, Christoph Bach, Anna Schudt, Godehard Giese, Hinnerk Schönemann, Anna Drexler, Moritz Führmann
- Regie: Stephan Wagner
- Drehbuch: Holger Karsten Schmidt
- Kamera: Thomas Benesch
- Szenenbild: Söhnke Noé
- Musik: Ali N. Askin
- Schnitt: Susanne Odelitz
- Produktionsfirma: H & V Entertainment
Sankt Andreasberg im Harz. Per se nicht der spannendste Schauplatz, um einen Krimi aufzuziehen, kennt und liebt der Stammzuschauer des Ersten doch die Städtekrimis des «Tatort». Während zur besten Sendezeit am Sonntag weiterhin in den Klein- und Großstädten Deutschlands ermittelt wird, experimentiert die ARD dieser Tage mit einem Samstags-Krimi, der seine Zelte im tiefsten Niedersachsen aufschlägt. Dort bringt Dorfpolizist Frank Koops (Aljoscha Stadelmann) einen Tag nach dem anderen hinter sich, durch Ereignisreichtum zeichnet sich der Ort nicht aus. Koops, der seinen Dienst vorwiegend in Gesellschaft von Bekannten und in örtlichen Wirtschaften verbringt, sieht sich trotzdem als Cowboy des Dorfes, auch wenn ihm mit der Waffe wohl jedes Mitglied im örtlichen Schützenverein den Rang abläuft. Seine Fähigkeiten muss der Gesetzeshüter unter Beweis stellen, als die Dorfschönheit Vanessa Riemann (Anna Drexler) erschossen am Fuße des Berges gefunden wird.
Als das Auto der LKA-Beamten Miriam Nohe (Julia Koschitz) auf der Durchreise von einem Erdrutsch beschädigt wird und sie daher erst einmal in St. Andreasberg verweilen muss, schließt sie sich dem Dorfpolizisten an, der zunächst etwas unbeholfen versucht, sie von seinen Qualitäten als Mordermittler zu überzeugen. Erschossen hat Riemann ein undurchsichtiges Paar (Anna Schudt und Christoph Bach), das sich mit einem Rucksack voller Geld durch die Wälder des Harz machte. Riemann klaute ihnen den Rucksack, um ihre Familie von Geldnöten zu befreien, erlag aber später den Schusswunden des Paares. Vor ihrem Tod rief sie noch ihren Bruder Marco (Godehard Giese) an, der zusammen mit seinem Bruder Patrick (Hinnerk Schönemann) alles daran setzt, die Mörder ihrer geliebten Schwester aufzuspüren. Während der Verdacht der Geschwister rasch auf das Paar um Thomas Bartkowiak und Nicola Zimmermann fällt, vermuten letztere ihr Geld bei den Riemanns. Beide Parteien müssen einander konfrontieren, um ihre Ziele zu erreichen, während Frank Koops trotz fehlender Erfahrung bemerkenswertes Ermittlungsgeschick beweist und sich Miriam Nohe annähert…
Einige Zuschauer von «Harter Brocken» vermuten sich zu Beginn des 90-Minüters wohl in einem bedächtigen Heimatkrimi. Frank Koops‘ Schussübungen mit den Dorfkumpels werden mit Trommeln und Flötenspiel unterlegt, die den Fernsehenden schon nach dem nächsten Pfadfinderfähnlein suchen lassen, dass mit Sicherheit gleich um die Ecke kommen muss. Sollte dies der Fall sein, dann trauen die Zuschauer Autor Holger Karsten Schmidt und Regisseur Stephan Wagner zu wenig zu, nicht umsonst wurden die beiden 2013 mit dem Grimme-Preis für «Der Fall Jakob von Metzler» und 2014 für die WDR-Produktion «Mord in Eberswalde» ausgezeichnet. Rasch nach dieser gemächlichen Einführung und dem Kameraflug über den Harz nimmt «Harter Brocken» an Fahrt auf und bildet eine Verfolgungsjagd durch den Wald zwischen einem schießwütigen Pärchen und einer opportunistischen Fremdenführerin ab, welche sich kurzerhand den Rucksack der beiden schnappt, der nicht weniger als 1,4 Millionen Euro beinhaltet.
Dem Zuschauer gewähren Schmidt und Wagner über den ganzen Fall hinweg einen detaillierten Einblick in die Situationen der einzelnen Parteien. Da ist Frank Koops, herrlich stoffelig und sympathisch gespielt von Aljoscha Stadelmann, der neben der LKA-Frau Miriam Nohe zur Höchstform aufläuft und mit seinen Vermutungen oft goldrichtig liegt, auch wenn er Schlüsse hier und da nur zieht weil er „es mal irgendwo gelesen“ hat. Seinen subtilen Humor entfaltet der Fall vor allem in den Interaktionen zwischen Koops und Nohe. Der Dorfpolizist wirkt im Umgang mit seiner Kollegin unbeholfen, letztere begleitet ihn bei seinen Ermittlungen vorwiegend schmunzelnd und beobachtend. Vor allem Koops abergläubisches Verhältnis zum Harz ringt der zierlichen Beamten einige Lächler ab. „Der Berg“, heißt es zeitweise in nahezu jedem zweiten Satz von Koops mythisch, habe Vanessa Riemann „freigegeben“. Dabei weiß der Dorf-Cowboy: „Der Harz spricht immer ein Wörtchen mit.“
Die wirklich spannenden Szenen des Krimis finden sich jedoch im Aufeinandertreffen zwischen den Brüdern Riemann und dem flüchtigen Pärchen wieder. Aufgrund des Wissens um die Situation ahnt der Zuschauer, dass es irgendwann zur Konfrontation kommen muss. Ein geschickter Kniff des Drehbuchs, das damit auf andere Art und Weise Spannung aufzubauen weiß als bei den meisten Genrevertretern, im Rahmen derer die Fernsehenden zum Miträtseln um die Täterschaft angeregt werden. Das war es auch schon an Figuren. «Harter Brocken» überzeugt als Sechs-Personen-Krimi, als Katz- und Maus-Spiel, das davon lebt Spannung zu erzeugen, indem es Zuschauer zum Grübeln über den Ausgang der (scheinbar) bestens beleuchteten Situation anregt. Mit neuen Erkenntnissen und Einblicken wechseln beim Zuschauer auch die Präferenzen für die Akteure und es offenbaren sich moralische Fragwürdigkeiten sowie bislang unbemerkte Facetten. Verbrecher zeigen ihre menschliche Seite, einst Unschuldige ihre Abgründe. Die Besetzung lässt kaum Wünsche offen, mussten sich die Verantwortlichen im Wesentlichen doch nur darauf fokussieren, passende Mimen für die sechs Hauptrollen zu verpflichten, die ihre Figuren jeweils ausgezeichnet ausfüllen.
Ganz ohne Längen kommt «Harter Brocken» jedoch nicht aus. Der Fall thematisiert einige Harzer Eigenarten, die wahrscheinlich der Mythenbildung um den Ort des Geschehens dienen sollen, unter anderem die zur Zeit des Falls stattfindende Walpurgisnacht. Letztendlich wird jedoch nicht klar, in welcher Art und Weise die Ausführungen zur Qualität des Krimis beitragen sollen. Die Zeit hätte man geschickter in die Ermittlungen Frank Koops‘ investiert, dem nach einer Stunde doch sehr plötzlich ein Licht auf geht, das maßgeblich zur Auflösung des Falls beiträgt, nachdem Versuche, dem Fall durch ruhigere Momente mehr Tiefe zu verleihen, an mehreren Stellen nicht fruchteten.
Bis dahin gestaltet sich das Erzähltempo vorwiegend gemächlich, was sich vor allem positiv auf die Atmosphäre auswirkt. So richtig Stimmung will bei den Annäherungen zwischen Koops und Nohe aber nicht aufkommen, was allerdings vom gewitzten Plot-Twist und der actionreichen Auflösung wieder etwas relativiert wird. Auch der ungewöhnliche, aber eindringliche Score von Ali N. Askin entschädigt für manche Szene, die die Spannung, etwa zugunsten von halbherziger Romantik, wieder etwas drosselt. Eine gelungene Abwechslung also am Samstagabend im Ersten: «Harter Brocken» ist ein reduzierter, lakonischer Krimi, der aufgrund seiner situationalen Dynamiken zwischen den Protagonisten punktet, die durch eine smart konstruierte Ausgangsposition erzeugt werden.
Das Erste zeigt «Harter Brocken» am Samstag, 7. März 2015 um 20.15 Uhr.