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Die Kino-Kritiker: «Still Alice – Mein Leben ohne Gestern»

Gefühlvoll, schmerzlich, brillant: Julianne Moore begeistert in «Still Alice – Mein Leben ohne Gestern» als Frau, die in der Blüte ihres Lebens an Alzheimer erkrankt.

Cast und Crew

  • Regie: Richard Glatzer, Wash Westmoreland
  • Produktion: James Brown, Pamela Koffler, Lex Lutzus
  • Drehbuch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland; basierend auf dem Roman von Lisa Genova
  • Darsteller: Julianne Moore, Alec Baldwin, Kristen Stewart, Kate Bosworth, Hunter Parrish
  • Musik: Ilan Eshkeri
  • Kamera: Denis Lenoir
  • Schnitt: Nicolas Chaudeurge
Die Produktionsgeschichte des Oscar-gekrönten Dramas «Still Alice – Mein Leben ohne Gestern» hat selber das Zeug zu einem Film, der ganz nach einem Academy-Award-Anwärter klingt: Im Dezember 2011 wurde dem Regie-Duo Wash Westmoreland & Richard Glatzer angeboten, den Roman «Still Alice» zu adaptieren. Das Thema traf bei den Lebensgefährten einen Nerv – einen all zu schmerzlichen, genauer gesagt. Die Geschichte einer geachteten, eloquenten Linguistikprofessorin, die in der Blüte ihres Lebens mit der Diagnose einer besonderen Form von Alzheimer konfrontiert wird, erinnerte sie arg an ihre eigenen Erfahrungen. Nur wenige Monate zuvor war Richard Glatzer aufgrund plötzlich aufkommender Artikulationsschwierigkeiten bei einem Neurologen, wo er erfuhr, dass er an der Nervenkrankheit ALS leidet.

Die Art und Weise, wie der Roman Alices Ohnmächtigkeit dem Schicksal gegenüber behandelt und wie er das Gefühl einfängt, mitten im Leben durch eine rasch voranschreitende Erkrankung aus der Bahhn geworfen zu werden, begeisterte die Regisseure. Aber sie fürchteten, eine Verfilmung des Buchs könnte zu viel für sie sein. Von der Persönlichkeit der Titelfigur inspiriert, sagten sie zu, dem raschen Voranschreiten von Glatzers Krankheitsbild zum Trotz. Kurz vor Beginn der Produktionsvorbereitungen musste er schlicht das Autofahren aufgeben, am Set schließlich konnte er kaum noch Arme und Hände bewegen und sich nur noch mittels eine Sprachanwendung verständigen – wobei er nur in bestimmten Sitzpositionen fähig war, mit einem einzelnen Finger sein Tablet zu bedienen.

Obwohl in «Still Alice» die von Julianne Moore brillant dargebotene Protagonistin nicht etwa die Kontrolle über ihren Körper verliert, sondern nach und nach Opfer eines abstumpfenden Geistes wird, haben beide Schicksale durchaus Parallelen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Glatzer und Westmoreland ein einfühlsames, authentisch wirkendes Werk erschufen. Schließlich erfuhr einer von ihnen den Identitätsverlust und die nachlassende Fähigkeit, sich selbst zu kontrollieren, am eigenen Leib, während die andere Hälfte dieses Duos nur zu gut weiß, wie sich jemand fühlt, der das Erblassen eines geliebten Menschen mit ansehen muss.

Vielleicht vermögen es Westmoreland & Glatzer es auch gerade daher, die Geschichte so umzusetzen, dass sie gleichermaßen sensibel erzählt wird, wie sie schonungslos ehrlich daherkommt. Weder suhlt sich «Still Alice – Mein Leben ohne Gestern» in erschreckend-desolaten Momenten, die Unbequemlichkeit mit effektivem Filmemachen verwechseln, noch beschönigt diese Romanadaption die Krankheit derart wie Til Schweiger in seiner seichten Tragikomödie «Honig im Kopf». Ebenso wenig verlassen sich die Regisseure auf eine große, grelle audiovisuelle Trickkiste, um das Leiden der eingangs so beneidenswerten, begabten Dr. Alice Howland nachfühlbar zu machen. Allein rare, hektische Handkamerafahrten in Mitten dieser sonst eher statisch gefilmten Produktion und wiederholte, längere Auf- und Abblenden, durch die ein Großteil des Bilds verschwommene Formen annimmt, dienen gelegentlich als ästhetischer Kniff.

Diese versetzen das Publikum tatsächlich ohne weitere Umstände in den desorientierten Geisteszustand der Protagonistin, allerdings ist es unbestritten Julianne Moores Performance, der sämtliche Aufmerksamkeit gilt. Zu keinem Zeitpunkt erlaubt es sich «Still Alice», durch inszenatorische Mittel von dieser brillanten Darbietung abzulenken, die gänzlich auf Theatralik verzichtet. Dennoch hat diese behutsame, mehrschichtige Skizzierung eines erodierenden Verstands eine ungeheure Gewalt und hallt unfassbar lange nach. Dies liegt auch in der immensen Bandbreite begründet, die Moore scheinbar mühelos bedient. Als starke, moderne Frau, die so lange wie ihr möglich an allem festklammert, was ihr Autonomie erlaubt, geht sie unter die Haut; wenn sie trotz großer Willenskraft die ersten Rückschläge in diesem nicht zu gewinnenden Kampf hinnehmen muss, ist sie kaum wiederzuerkennen. Und wann immer in späteren Filmpassagen ihr altes Ich aufblitzt, hebt Moore mittels unaufdringlich-effizienter Mimik für wenige Augenblicke dankbarerweise den Tonfall dieser Gänsehaut erzeugenden Story.

Ja, es ist schmerzvoll, zunächst mit anzusehen, wie Alice ihre Verzweiflung zu verbergen versucht, weil sie erkennt, was mit ihr geschieht, und dann nach und nach zu bemerken, dass sie diese Fähigkeit zur Selbstreflexion verloren hat. Dennoch ist «Still Alice» keine deprimierende Tragödie – sie beinhaltet auch behutsame Hoffnungsschimmer, die aber anders als in «Honig im Kopf» keine Ammenmärchen darstellen. Gehen bei Schweiger wegen einer Vielzahl von erfreulichen Krankheitsaspekten die Schattenseiten gen Schluss fast unter, brechen hier vereinzelte Lichtblicke das grau-graue Bild auf, ohne irgendwas zu verharmlosen. So zeigt «Still Alice», das nach Schicksalsschlägen Rückhalt zuweilen von unerwarteter Seite kommt: Kristen Stewart ist zu Beginn Alices „missratenes“ Kind – eine Einzelgängerin, die ganz anders tickt als ihre restliche Familie. Ihre Figur taut aber kontinuierlich auf, was die «Twilight»-Mimin in ihrer darstellerisch bislang womöglich anspruchsvollsten Leinwanddarbietung schrittweise, empfindsam und mit leisen Zwischenklängen skizziert.

Dieser Film der Gegenwart, in dem die modernen Kommunikationstechniken für Alice hauptsächlich Hilfsmittel sind, aber vereinzelt auch eine Gefahrenquelle darstellen, hat jedoch auch manch kleinere Schwächen. So haben die Ensemblemitglieder neben Moore und Stewart zu wenig zu tun und eines der Mutter-Tochter-Gespräche fasst das Geschehen auffällig konkret zusammen – die sonst so reale Sprache des Films wird da kurzzeitig zu gewollter Kino-Sprache. Bei all den Stärken von «Still Alice – Mein Leben ohne Gestern» sind diese Negativpunkte aber leicht zu vernachlässigen. So gefühlvoll, so echt, so beeindruckend wurde Alzheimer im Kino bislang nicht geschildert!

«Still Alice – Mein Leben ohne Gestern» ist ab dem 5. März 2015 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
03.03.2015 12:12 Uhr Kurz-URL: qmde.de/76673
Sidney Schering

super
schade


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