Die Oscars sind mehr als nur eine Würdigung guter Filme. Die prestigeträchtige Preisverleihung ist auch eine von Hollywoods wichtigsten PR-Maschinen – und daher wird mit allerhand Tricks um jede Stimme gekämpft.
#Themenwoche Oscar
In der Nacht auf Montag werden in Amerika die begehrten Oscars verliehen. Quotenmeter.de stimmt Sie mit einer Themenwoche so umfassend wie kaum ein anderes Online-Magazin auf die Verleihung ein. Wir starten am Mittwoch mit einer Vorab-Kritik zu "Into the Wood", der auf drei Preise hoffen darf. Am Donnerstag befassen wir uns mit dem fünf Mal nominierten "Whiplash" und unsere Antje Wessels widmet sich den besten fremdsprachigen Filmen. Am Freitag blickt Sidney Schering auf die Machenschaften hinter den Oscar-Kampagnen. "American Sniper" hofft unter anderem auf einen Titel als "bester Film". Wie gut er ist, sagt Antje Wessels am Samstag. Und eine Prognose auf die Sieger der Verleiher wagen wir am Sonntag. Nach der großen Show sind Sie bei Quotenmeter.de natürlich auch schnell und aktuell informiert!Eigentlich ist es nur zu verständlich: Über 5.700 Mitglieder sind Teil der Academy of Motion Picture Arts & Sciences, viele von ihnen sind weiterhin aktiv in der Filmbranche tätig. Allein bei den 87. Oscars qualifizierten sich 323 Filme in der Sparte 'Bester Film' und den meisten anderen Kategorien. Zudem wurden 114 Original-Filmmusiken und 79 Original-Filmsongs für die kommenden Academy Awards zur Nominierung eingereicht. Nein, es wundert nicht, dass bei den Oscars nicht einfach nur für die besten Leistungen des Filmjahres abgestimmt wird, ganz ohne Bürokratie, PR-Arbeit, Werbekampagnen und sonstigem Schnickschnack. Dass fast 6.000 tätige und ehemalige Filmschaffende innerhalb eines knappen Zeitraums Unmengen von Produktionen aufmerksam und kritisch begutachten, und dies ganz allein im stillen Kämmerlein, ist eine utopische Vorstellung.
Die Oscars sind davon abhängig, dass die Studios aktiv werden und die ihrer Meinung nach besten Werke aussieben, sie in (Print- und Online-)Branchenmagazinen bewerben, sie als Screener an Academy-Mitglieder senden und sie nochmal speziell für Oscar-Stimmberechtigte zurück ins Kino holen. Selbst die wenigsten Filmkritiker schaffen es, 323 neu veröffentlichte Kinoproduktionen im Jahr zu sehen – und die haben im Gegensatz zu Medienschaffenden längst nicht so viele berufliche Pflichten, die über das Sehen, Analysieren und Bewerten von Filmen hinausreichen
Und wenn schon Oscar-Kampagnen gestartet werden, so wundert es nicht, dass die Teams hinter ausgewählten Werken sich besonders ins Zeug legen: Statistisch gesehen generiert ein Film, der eine Oscar-Nominierung erhält, allein in den Staaten 12,7 Millionen Dollar zusätzlich gegenüber Projekten, ohne eine solche Würdigung. Wenn der Oscar für den besten Film winkt, sind es noch einmal 3 Millionen extra, so Branchenstatistiker Stephen Follows. Schauspieler, die als bester Hauptdarsteller gekürt werden, können daraufhin im Schnitt 3,9 Millionen Dollar auf ihre Gagenforderungen drauflegen; 'beste Hauptdarstellerin'-Gewinnerinnen hingegen nur eine halbe Millionen Dollar – ungerecht, trotzdem bedeutet die Trophäe einen Bonus.
Zudem wäre da natürlich der nicht in wirtschaftlichen Zahlen ausdrückbare Wert dessen, dass für eine kurze Zeit Hollywood wieder in sämtlichen journalistischen Medien thematisiert wird, mehrere Hundert Millionen Menschen weltweit die Berichterstattung verfolgen und im Laufe der großen Gala einige Industriemitglieder den Eingang in cineastische Geschichtsbücher finden. Da kann man schonmal durchschnittlich 10 Millionen Dollar für eine Kampagne ausgeben.
Saubere Kampagnen – und ihr Versagen
Einer der wichtigsten Eckpfeiler einer Oscar-Kampagne: Ein Film muss erst einmal an die Leute herangebracht werden! Zwar können Academy-Mitglieder in den meisten Kategorien abstimmen, ohne einen Nachweis zu erbringen, die durch sie nominierten oder gewählten Filme überhaupt gesehen zu haben. Doch wie Leitartikel in den führenden Hollywood-Publikationen zeigen, sind die meisten AMPAS-Stimmberechtigten ehrliche Häute und wählen nur ihnen bekannte Produktionen. Deswegen ließen die Studios dieses Jahr bis zu 290.000 Dollar für DVD-Kopien springen, die an Academy-Mitglieder und die Stimmberechtigten anderer, wichtiger Filmpreise geschickt wurden. Knapp 12.000 Dollar gingen im Schnitt außerdem für digitale, gesicherte Kopien oder Streams drauf. Darüber hinaus kosten Kinovorführungen, die Teil einer Oscar-Kampagne sind, jeweils zwischen 100.000 Dollar (Nominierungszeitraum) und 60.000 Dollar (Abstimmungszeitraum).
Was geschieht, wenn ein Studio an ausgerechnet diesen Kostenpunkten spart (oder sparen muss), zeigt das von Kritikern gefeierte Drama «Selma» über die von Martin Luther King organisierten, friedlichen Proteste für ein gleichberechtigtes US-Wahlrecht. Der US-Verleih Paramount Pictures schickte vor Beendigung des Nominierungszeitraums für die bedeutendsten Branchenpreise nur
ungewöhnlich wenige Screener heraus, und dies zudem sehr spät. So gingen Mitglieder der Regie-, Produktions- und Schauspielergewerkschaft komplett leer aus, während viele Academy-Mitglieder beklagten, dass ihre an die Geschäftsaddresse geschickten Screener erst dort ankamen, als sie ihre Büros bereits über die Feiertage geschlossen hatten.
Paramount-Sprecher verteidigten ihr Vorgehen damit, dass «Selma» nicht rechtzeitig fertiggestellt wurde, um den üblichen DVD-Produktionsprozess zu durchlaufen, weshalb man sich darauf konzentrierte, in den Showbiz-Metropolen Los Angeles und New York Kinovorführungen für Academy-Mitglieder zu ermöglichen. Diese waren vor dem 25. Dezember 2014 (als der Film in wenigen, ausgewählten Städten startete) auch die einzige Möglichkeit, «Selma» zu sehen – abgesehen halt von den wenigen DVDs, die an ihrem angestammten Platz landeten. Aber auch diese Kinoaktionen liefen offenbar nicht ab wie geplant – eine Vorführung etwa
fand unmittelbar vor einem Screening des namhaft besetzten Musicals «Into the Woods» statt, welches prompt doppelt so viele Besucher aufwies. Das Ende vom Lied: «Selma» wurde trotz enormen Hypes jener, die ihn gesehen hatten, nur in zwei Kategorien für den Oscar nominiert – bester Film und bester Song. Es gibt Stimmen, die einen Rassismus-Bias der Academy vermuten, doch ist das im Jahr nach «12 Years a Slave», der eine normale Oscar-Kampagne fuhr und letztlich drei Awards gewann, wirklich die naheliegendste Antwort? Oder liegt es sehr wohl daran, dass kaum jemand rechtzeitig in den Filmgenuss kam?
Weitere Kampagnenelemente: Die Kreativen, die Provokanten und die Schmutzigen
Selbstredend beschränken sich Oscar-Kampagnen nicht allein darauf, Filme aufzuführen und zu verschicken. Was sich Studios abseits dessen einfallen lassen, variiert allerdings enorm. Eine simple, aber effiziente Methode: Den Film unentwegt zum Thema machen, indem man die Filmemacher auf Tour schickt. Bestes Beispiel in dieser Saison ist «Boyhood». Seit der Weltpremiere auf dem Sundance Film Festival ist Linklater praktisch ununterbrochen auf den Bühnen der Filmwelt anzutreffen. Er ist bei Vorführungen zugegen, er kommentiert in Interviews, Leitartikeln und auf Q&A-Veranstaltungen für die Fachpresse, wie sein 12-Jahre-Projekt zustande kam, was die größten Herausforderungen waren, wie viel Improvisation in dem Werk steckt, und so weiter …
Studios, die mit ihren Filmen im Oscar-Rennen mitmischen wollen, heuern üblicherweise auch taffe, erfahrene PR-Berater an, die im Schnitt 10.000 bis 15.000 Dollar pro Produktion erhalten – inklusive satter Boni im Erfolgsfalle. Bei solch einem Gehalt muss natürlich noch mehr geboten werden, als die recht triviale Idee hinter dem obigen «Boyhood»-Konzept. So ist es Usus, die Fachpresse mit allerlei Merchandisingprodukten auf ausgewählte Filme aufmerksam zu machen. In der Vergangenheit trieb dies originelle und kuriose Blüten wie die Lieferung von «There Will Be Blood»-Milkshakes oder «The Descendants»-Ukulelen, dieses Jahr mussten Paketträger in Hollywood
unter anderem personalisierte LEGO-Figuren, «Birdman»-Actionfiguren, «Drachenzähmen leicht gemacht 2»-Wodka und gigantische «Chef»-Messer austragen.
Eine favorisierte Taktik der Weinstein Company ist derweil die Politisierung ihrer Filme. So schaltete das Studio Printanzeigen und in Los Angeles sogar überdimensionale Outdoor-Banner zu «The Imitation Game», die darauf aufmerksam machen sollen, dass Mathematiker Alan Turing posthum weiterhin keine Ehrungen für seine enormen Verdienste an der Menschheit erhielt. Für Turing wurde posthum einzig eine königliche Begnadigung ausgesprochen – zu Lebzeiten musste er eine chemische Kastration über sich ergehen lassen, weil er homosexuell war, was in Nachkriegszeiten im Vereinigten Königreich noch unter Strafe stand. Produzent Harvey Weinstein beteuert, dass solche Aktionen Selbstläufer seien, weil er häufig relevante Filme produziert und er davon beeindruckt ist, welch politischen Einfluss sie in der Vergangenheit hatten. Gegenüber 'Deadline Hollywood' sagt er, dass er hofft, durch «The Imitation Game» auch posthume Begnadigungen für die 49.000 weiteren Homosexuellen zu erlangen, die im Vereinigten Königreich verurteilt wurden – auch
wenn er zugibt, sich über Oscars ebenfalls zu freuen.
Aufgrund seiner aggressiven Publicityaktionen steht Weinstein auch regelmäßig im Verdacht, hinter Schmierkampagnen gegen Konkurrenzproduktionen zu stehen. Im 'Deadine Hollywood'-Interview schwört er aber: „Ich habe so etwas noch nie getan! […] Wir geben stets unser Bestes, um Leute auf unsere Filme aufmerksam zu machen, und wenn das bedeutet, dass wir den Drehbuchautoren vor die Wirtschaftskammer von Peoria treten lassen, damit er dort eine Rede halten kann. […] Kämpfe ich darum, dass unsere Filme in den Himmel gelobt werden? Jede Wette! Würde ich dich dafür sogar um 4 Uhr nachts aus dem Bett klingeln? Garantiert. Aber ich sage niemals, dass dieser und jener ein Fiesling ist oder dass irgendein Film inkorrekt ist!“
Dessen ungeachtet wurden diverse Filme dieses Jahr, wie nahezu jede Oscar-Saison, Opfer von Meinungs- und Leitartikeln, die zufälligerweise kurz vor und während der Oscar-Abstimmungsphase kein gutes Haar an ihnen lassen. Den medienwirksamten Gegenwind fing sich ausgerechnet das Drama «Selma» ein, welches ja schon von seiner eigenen Kampagne im Stich gelassen wurde: Über das Weihnachtswochenende 2014 hinweg veröffentlichten zahlreiche Zeitungen und deren Onlineausgaben Features, in denen ein Historiker und ein ehemaliger Angestellter des Weißen Hauses «Selma» als unverantwortlichen, hetzerischen Film zeichneten, der den US-Präsidenten Lyndon Johnson zu diffamieren versuche. Am Montag darauf kannten Filmjournalisten kein anderes Thema, als die dadurch hochgekochte Kontroverse – und an eben diesem Tag startete die Nominierungsphase für die Academy Awards.
Dessen ungachtet gelten strenge Regeln, was im Rahmen einer (als solche erkenntlichen) Oscar-Kampagne gestattet ist und was nicht. Über 20 DIN-A-4-Seiten lang sind die Ausführungen der Academy, und deren Einhaltung wird auch streng überwacht. So wurde bei den 86. Academy Awards der Song „Alone Yet Not Alone“ nach seiner Nominierung disqualifiziert, weil dessen Komponist unlautere Eigenpromo betrieben hat.
In diesem Sinne: Viel Spaß bei den Oscars!