Arte und der SWR ließen zwei deutsch-französische Filme zum Thema Kernenergie produzieren. Den ersten, «Tag der Wahrheit», zeigt die ARD am Mittwoch. Unsere Vorab-Kritik:
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Vicky Krieps als Ira Tröster
Florian Lukas als Kollwein
Benjamin Sadler als Jean-Luc
Patrick Hastert als Erich Dubois
Ercan Durmaz als Frederyk Ohnhaus
Nico Rogner als Daniel Seigner
Hary Prinz als Angermann
Hinter der Kamera:
Produktion: Kordes & Kordes Film GmbH und Dor Film
Drehbuch: Johannes Betz
Regie: Anna Justice
Kamera: Adrian Cranage„In Vielfalt geeint“, lautet der Wahlspruch der Europäischen Union. Ein Satz, der auch den europäischen Integrationsprozess der letzten Jahrzehnte gut beschreibt. Auch wenn es bei der Einigung manchmal knirschen kann. Doch gerade da, wo es knirscht, entsteht fruchtbarer Boden für die künstlerische Betrachtung, die dann wieder Diskussionsanstoß und –grundlage für die weiterführenden Debatten in Deutschland, Frankreich und Europa ist.
Sieht man richtigerweise in der deutsch-französischen Partnerschaft einen Eckpfeiler der europäischen Integration, sind divergierende Ansichten von Deutschen und Franzosen (trotz all ihrer zahlreichen Ähnlichkeiten) besonders interessant. Ein plastisches Beispiel aus dem politischen Tagesgeschäft ist ebenso schnell ausgemacht: die Atomkraft.
Während in Deutschland seit dem Bau der ersten Meiler in der Bundesrepublik eine große Skepsis hinsichtlich ihrer Sicherheit besteht, ist die Vorteilhaftigkeit wie die Notwendigkeit der Kernkraft in Frankreich seit jeher weitgehend politischer Konsens. Während sich in den Tagen nach Fukushima rechts des Rheins die Hysterie breitmachte und rasch die Energiewende eingeleitet wurde, war man in Frankreich deutlich gelassener. Und während in Deutschland in einigen Jahren die letzten AKWs vom Netz genommen werden, soll in der Bretagne 2016 ein neuer den Betrieb aufnehmen.
Das sind kulturelle und politische Differenzen, die zahlreiche Betrachtungsmöglichkeiten für das „Tandem“ genannte Projekt von Arte und dem SWR eröffnen, in dessen Rahmen zwei verschiedene Filme zum Thema Kernenergie produziert wurden, deren erster, «Der Tag der Wahrheit» am 14. Januar ausgestrahlt wird:
Der Stoff spielt im Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz, im fiktiven AKW Haut-Rhin (das jedoch einige Ähnlichkeiten zum real existierenden, in der Nähe liegenden Meiler Fessenheim aufweist), wo sich der ehemalige Schichtleiter David Kollwein im Kontrollraum verschanzt und daraufhin den äußeren Kühlkreislauf des Reaktors unterbricht. Wirft er ihn nicht innerhalb von drei Stunden wieder an, sagt er der Polizei, wird es zur Kernschmelze kommen: Hunderte Quadratkilometer mitten in Europa wären dann für Generationen radioaktiv verseucht. Seine Forderung: Der französische Energieminister, der Geschäftsführer der Betreiberfirma und der zuständige Strahlenschutzexperte Bernard Feyermann sollen öffentlich in den abendlichen Hauptnachrichten zu den Vertuschungen der zahlreichen Unfälle stehen, die sich im angeblich sicheren Kernkraftwerk Haut-Rhin ereignet haben.
Womit Kollwein nicht gerechnet hatte: Feyermann ist zu dem Zeitpunkt schon tot. Wahrscheinlich hat er sich erschossen, meinen die beiden beteiligten Ermittler, die deutsche Staatsanwältin Marie Hofmann (gespielt von der Luxemburgerin Vicky Krieps) und der französische Polizist Jean-Luc Laboetie (gespielt vom Deutschen Benjamin Sadler). Vieles deutet jedoch daraufhin, dass Feyermann vor seinem Ableben ein Geständnis ablegen wollte. Doch die Speicherkarte, mit der er dieses aufgezeichnet haben soll, ist spurlos verschwunden. Währenddessen stoßen Hofmann und Laboetie auf eine sehr persönliche Motivation, die Kollwein für seine Tat haben könnte.
Ohne allzu viel vorwegzunehmen, lässt sich schon früh absehen, dass «Tag der Wahrheit» eher der „deutschen“ Seite der Kernkraftdebatte, der der Bedenkenträger, Warner und Schwarzmaler, recht gibt. Das mag vielleicht ein bisschen tendenziös wirken, gerade vor dem Hintergrund einer betont integrativen deutsch-französischen Koproduktion. Dramaturgisch entwickelt sich das Alptraumszenario dennoch im Rahmen der Möglichkeiten glaubhaft. Eine der größten Gefahren für Atommeiler sind nämlich Leute wie Kollwein. Das sagt er sogar selbst.
Und obwohl der Film im Vergleich zu anderen gut gemachten deutschen Polit- und Gesellschaftsdramen wenig aus der Masse hervorsticht, wird er doch einige Zeit im Gedächtnis bleiben. Nicht nur, weil das Thema Atomkraft nicht so schnell aus den Medien verschwinden wird und «Tag der Wahrheit» einen entsprechenden Diskussionsanstoß beisteuert. Sondern auch, weil er filmisch überzeugt und sich nicht – typisch deutsch – didaktisch am Konsens entlanghangelt, sondern die politisch wertenden Inhalte dramatisiert, statt dialogisiert. Weil er zeigt, statt mühselig zu suggerieren, und die Handlung für sich sprechen lässt, anstatt sie unsinnig mit Soundbites und Klischees zu unterfüttern. Mit all ihren manchmal vorkommenden Ungereimtheiten und Diskrepanzen zu den (hoffentlich anderen) realen Zuständen.
Wem das nicht gefällt, dem sei gesagt: Nächste Woche wird’s an gleicher Stelle lustiger. Und französischer.
Das Erste zeigt «Tag der Wahrheit» am Mittwoch, den 14. Januar um 20.15 Uhr.