Es kann einfach nicht genug Jahresrückblicke geben! Dieser lenkt den Blick auf kuriose, vergessene oder nennenswerte Zahlen, Ereignisse und Daten der vergangenen zwölf Kinomonate.
Januar: Die Ganovenposse «American Hustle» wird massiv gehypt, unter anderem aufgrund einer beeindruckenden Golden-Globe-Statistik. Mit sieben Nennungen teilt sich David O. Russells Hochglanzproduktion den ersten Rang des Nominiertenspiegels mit «12 Years a Slave», mit drei Ehrungen führt sie zudem die Siegerstatistik an. Der Film gewinnt somit an Bedeutung bei Oscar-Prognosen, zudem wittern viele auch auf deutschem Boden einen großen Kinoerfolg. Doch die Seifenblase platzt in den Folgemonaten: Mit 10 Oscar-Nominierungen, aber null Siegen, erweist sich «American Hustle» als große Luftnummer. Mit 648.738 Besuchern schlägt sich der Streifen in den deutschen Kinos eher durchwachsen. Ende des Jahres gerät «American Hustle» dann in die Negativschlagzeilen: Es wird enthüllt, dass Amy Adams und Jennifer Lawrence jeweils eine siebenprozentige Gewinnbeteiligung erhielten. Jeremy Renner, der im Film eine wesentlich kleinere Rolle spielt, bekam dagegen neun Prozent zugesprochen. Tja, Hollywood und die Gleichberechtigung …
Februar: Berlinalezeit! Der Goldene Bär geht an den chinesischen Thriller «Feuerwerk am helllichten Tage», der Große Preis der Jury dagegen an «Grand Budpest Hotel». Während ersterer Film auf dem Festival klar die Gemüter spaltet (Kritiker loben ihn einhellig, zahlende Festivalbesucher reagieren durchmischt), mausert sich Wes Andersons Heist-Movie mit 985.188 Besuchern zu einem Überraschungserfolg – so populär war nie zuvor ein Film des Texaners.
März: Am 2. März bringt Ellen DeGeneres Twitter zum Zusammenbruch. Während der Academy-Award-Verleihung schlägt sie dem Auditorium vor, gemeinsam ein Selfie zu schießen. Daraufhin schnappt sich Bradley Cooper das Smartphone der Moderatorin und schießt ein Selbstporträt mit Ellen, Angelina Jolie, Brad Pitt, Meryl Streep, Julia Roberts, Jennifer Lawrence, Lupita Nyong'o, Kevin Spacey, Jared Leto, Peter Nyong'o und Channing Tatum im Hintergrund. Was im Rummel um das Foto untergeht: Die Aktion ist mit Product Placement verbunden. Ellen nutzt während der Show nicht ihr privates Smartphone, sondern ein von Samsung gesponsertes. Laut dem 'Wall Street Journal' war das Selfie dennoch eine redaktionelle Idee der Oscar-Veranstalter und kein bloßer Werbegag. Aufgrund des Werbedeals mit Samsung wurde lediglich darauf geachtet, ein entsprechendes Smartphone zu benutzen.
April: Enttäuschung auf hohem Niveau: Sony Pictures bringt «The Amazing Spider-Man 2 – Rise of Electro» in die Kinos, nachdem bereits eine Vielzahl an Fortsetzungen und Ablegern des Superheldenstreifens beschlossen wurden. Die Hoffnungen des Studios, ein riesiges Franchise aufzubauen, werden durch die Einspielergebnisse zerstört. In den USA wie auch in Deutschland unterbietet der Film alle vorhergegangenen Spider-Man-Kinoabenteuer. Und dies sogar recht deutlich: In den USA liegen 204,15 Millionen Dollar Einspiel zwischen dem einträglichsten Film des Spinnenhelden und «Amazing Spider-Man 2», hierzulande gehen 4,08 Millionen Menschen weniger in die Lichtspielhäuser als beim größten Hit von Peter Parker.
Mai: Sie mögen zwar eine eingeschworene Fangemeinde haben und als Kult gelten. Die Kinokassen bringen sie aber nicht mit hoher Verlässlichkeit zum Klingeln – die Muppets. Die Puppen stürmen mit «Muppets Most Wanted» in die Kinos, kommen in Deutschland aber nur auf enttäuschende 167.546 Kinogänger.
Juni: Die Fußball-Weltmeisterschaft legt in Deutschland den Kinobetrieb lahm. Nur ein Film lässt weiterhin zahlreiche Bundesbürger vor der Leinwand Platz nehmen: Die Jugendbuchadaption «Das Schicksal ist ein mieser Verräter». Von fast ausnahmslos hervorragenden Kritiken begleitet schlägt das Romantik- und Krebsdrama 1,14 Millionen Eintrittskarten los. Fast würde es für die Top 25 der Jahrescharts reichen. Wäre da nicht der nur minimal erfolgreichere Superheldenfilm «X-Men – Zukunft ist Vergangenheit».
Juli: In den USA bereits im Juni gestartet, im Juli dann auch in Deutschland das große 3D-Spektakel schlechthin: Michael Bays «Transformers: Ära des Untergangs». Im Gegensatz zu den ersten drei Filmen über die Riesenroboteraliens steuert nicht Linkin Park, sondern Imagine Dragons den Titelsong bei. Der Score bietet längst nicht so viel Neues: Komponist Steve Jablonsky verpasst der Materialschlacht eine Klangtapete, die sich wie ein „Best of“ der vergangenen vier Blockbusterjahre anhört. Die einen sagen, ein Film wie dieser hätte auch keineswegs was Originelles verdient. Andere, wie der Autor dieser Zeilen, fanden Teil vier als einzigen Part der Reihe spaßig und hätten ihm daher eine frischere akustische Begleitung gewünscht. Oder ist der Sounddiebstahl Teil des „Michael Bay dreht unbeabsichtigt eine Selbstparodie“-Reizes?
August: Mit Robin Williams verliert die Filmwelt am 11. August eines ihrer größten Originale. Doch nicht nur der vor allem für seine tragikomischen Rollen gefeierte Schauspieler geht von uns. Zu den weiteren Verlusten des Sommermonats zählt die Leinwandlegende Lauren Bacall, die das American Film Institute zu den 25 größten weiblichen Filmstars der Geschichte wählte. Die Filmpartnerin solcher Größen wie Humphrey Bogart und Kirk Douglas wurde nie müde: Noch 2012 drehte die damals 88-Jährige mit «Farben der Liebe» einen Film mit ihr in der Hauptrolle.
September: Böse Ironie? Am 25. September startet mit «Who Am I – Kein System ist sicher» eine stylische, wenngleich inhaltlich nicht vollends ausgegorene, deutsche Filmproduktion, die durchaus Sympathie für Teile der Hackerszene aufzeigt. Der Vertrieb dieses Projekts? Sony Pictures.
Oktober: David Fincher meldet sich zurück. Erneut mit einer Bestsellerverfilmung im Gepäck, wieder einmal überschlagen sich die Kritiken mit Lob. Und abermals mit Fug und Recht. Was in den Wochen und Monaten nach Kinostart von «Gone Girl» dennoch nicht ausreichend in den Fokus der Diskussion gestellt wird, ist die brillante Hintergrundmusik des Duos Trent Reznor & Atticus Ross. Dadurch inspiriert, dass Regisseur David Fincher als beruhigend gedachte Wartezimmermusik aufgrund ihrer forcierten Gemütsruhe ungeheuerlich aufreibend findet, kreierten die Komponisten einen subtilen Albtraumscore. Und so prallen ätherische Easy-Listening-Klänge, die aus einer Dauerwerbesendung oder einem Spa geklaut sein könnten, auf leichte Dissonanzen, beängstigend auffällige Repetitionen und dunkel gestimmte Synthiesounds. Jedoch lauert nicht immer die Gefahr einer bröckelnden Fassade – stellenweise schmeißen Reznor und Ross den Zuschauer in die Klangwelt eines kompromisslosen 80er-Slashers. Hinzu kommen vorsichtig eingesetzte, melancholische Streicher (ein Novum für das Komponistenduo) und fertig ist sie: Die kongeniale Begleitmusik zu einer sich zerstörenden Ehe.
November: Hacker verschaffen sich Zugang zu internen Daten des Filmverleihs Sony Pictures. Bis Ende Dezember werden von den Hackern in regelmäßigen Abständen pikanter (digital ausgetauschter) Bürotratsch, Pseudonyme von Hollywoodstars, Wirtschaftsdaten und komplette Filme ins Netz gestellt. Früh kommt die These auf, es sei eine Attacke des nordkoreanischen Regimes, um gegen die Veröffentlichung der Nordkorea-Satire «The Interview» vorzugehen. Nachdem im Dezember sogar Terrordrohungen Sony erreichen, kippt das Studio den Film. Ein Entschluss, der auf
wenig Verständnis stößt.
Dezember: 101 deutsche Kinos nehmen am 4. Dezember den Episodenfilm «Dritte Person» mit Liam Neeson, Adrien Brody, Olivi Wilde, James Franco und Mila Kunis in ihr Programm auf. Und kaum jemanden interessiert es. Mit einem 1.627 Personen schweren ersten Wochenende zählt das Drama zu den erfolglosesten Kinostarts des Jahrzehnts. Damit der Film wenigstens ein bisschen Publicity erhält, nimmt Kinokolumnist Sidney Schering ihn in seinen Jahresrückblick auf. Und der wird gerade in diesem Moment von jemandem gelesen … Und vielleicht erreicht der Bericht über den Misserfolg von «Dritte Person» mehr Menschen als der Film selbst. Vielleicht ist es aber auch gar kein Film. Sondern Manuel Neuer?