Vom Held der Sparte hinein in den öffentlich-rechtlichen Mainstream? Nach erfolgreicher Etablierung seines «Neo Magazin» soll Jan Böhmermann den nächsten Schritt gehen - und der darf bitte nicht ProSieben heißen.
Im Oktober
überraschte das ZDF mit der Ankündigung, «Neo Magazin» ab Februar 2015 ins Hauptprogramm aufnehmen zu wollen. Das Format ist auch ein gutes Jahr nach seinem Start beim Spartensender ZDFneo noch immer kein Garant für herausragende Einschaltquoten, der Moderator Jan Böhmermann eine streitbare und spezielle Person, deren Massentauglichkeit zumindest in Frage gestellt werden muss. Doch nachdem es die Mainzer bereits bei Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf schon einmal verpassten, ihrem Nachwuchs ausreichend Perspektiven zu verschaffen, ist die Beförderung auch als Fingerzeig zu verstehen: Auch bei uns muss man nicht ewig in der Sparte versauern.
Für Böhmermann wiederum kommt der Karrieresprung zu einer Zeit, in der das mediale Raunen allmählich größer wird: Schon seit Jahren erfreut sich der 33-Jährige wachsender Beliebtheit bei einer meist jungen, gebildeten und vor allem medienaffinen Konsumentengruppe, die über den Tellerrand der großen Programmstationen hinausblickt. Trotz mehrfach preisgekrönter Radio- und Fernsehformate ist es ihm jedoch nicht gelungen, einen Erfolg bei der breiten Masse zu verbuchen. In der schnelllebigen Medienwelt erarbeitet man sich so schnell den undankbaren Ruf des ewigen "Sparten-Kaspers", der für die große Karriere nicht geschaffen ist und ewig Unterhaltung für eine Minderheit kreiert.
Vor allem in dieser Hinsicht markiert das aktuelle Kalenderjahr einen Wendepunkt gegenüber der bisherigen Böhmermann-Tätigkeit. Die im August und September gezeigte Comedy-Show «Was wäre wenn» entpuppte sich für RTL zwar schnell als Quotenflop und wurde nach drei Folgen vorzeitig abgesetzt, verschaffte dem Satiriker allerdings zumindest eine gewisse Aufmerksamkeit in der breiteren Öffentlichkeit. Schon 2009 versuchte er sich mit «TV-Helden» erfolglos daran, bei Deutschlands größtem Privatsender Fuß zu fassen - damals allerdings noch als frisches und selbst in der Branche weitgehend unbekanntes Moderationstalent. Meint man es gut mit den Karriereaussichten Böhmermanns, kann man ihm das jüngste RTL-Engagement als Warnung gegenüber "seinem" ZDF auslegen, ihn doch etwas prominenter zu platzieren.
Inwiefern dieser Kritiker-Wunsch nun im Jahr 2015 umgesetzt wird, ist jedoch fraglich. Die Beförderung von «Neo Magazin» steht zwar, von einem allzu attraktiven Sendeplatz ist allerdings nicht auszugehen. Nicht einmal der 23:00-Uhr-Slot am Freitag, der auch aufgrund der inhaltlichen Nähe zur zuvor gezeigten «heute-show» naheliegend ist, gilt als wahrscheinlich. Dort soll in der Regel weiterhin der Quotenkiller «aspekte» laufen, erst um 23:45 Uhr dürfte dann Platz für die
bildundtonfabrik-Produktion sein. Schaut man auf die Quoten, die hochklassige US-Serien zu dieser Zeit einfahren, ergibt sich ein tristes Bild: Nicht einmal eine halbe Million Menschen sehen durchschnittlich zu. Auf der anderen Seite ist die Fallhöhe hier kaum vorhanden, das Format hätte also die nötige Zeit, sich zu etablieren und eine Stammzuschauerschaft aufzubauen.
Ohnehin täte man dem jungen Entertainer Unrecht, wenn man ihn auf seine Late-Night reduziert. Im WDR sorgte zuletzt die anarchische Sketch-Show «Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von...» für Aufsehen, für die er als Executive Producer und Songtexter verantwortlich zeichnet. Seine wöchentliche Radiosendung «Sanft & Sorgfältig» mit Olli Schulz hat sich zudem eine treue Fangemeinde aufgebaut und wird regelmäßig bei den meistgehörten Podcasts gelistet. Vor einigen Monaten lieferte er sich darüber hinaus einen inszenierten "Show-Krieg" mit Joko und Klaas in «Neo Paradise», die auf dem besten Weg sind, sich als größte ProSieben-Sendergesichter nach Stefan Raab zu etablieren. Zudem geht er deutschlandweit mit Bühnenprogrammen auf Tour - unter anderem mit Klaas Heufer-Umlauf, mit dem er auch bereits zwei Hörspiele verwirklichte.
Kann Jan Böhmermann auch vor großem Publikum funktionieren?
Jan Böhmermann ist also gewiss nicht davon abhängig, dass sein Sprung ins Hauptprogramm auf Anhieb gelingt. Von Kritikern und Fans gleichermaßen geschätzt kann er sich weiterer Aufträge und der Beachtung seiner Projekte mittelfristig sicher sein. Die einzige Frage, die sich nach den vielen Erfolgen der jüngeren Vergangenheit stellt, ist die, ob sein Humor und sein sarkastischer bis zynischer Umgang mit der Medienwelt kompatibel ist mit den Sehgewohnheiten des Durchschnittszuschauers. Bislang neigt man eher dazu, diese Frage zu negieren. Sollten die Skeptiker Recht behalten, wird es nach diesem turbulenten Jahr mit diversen gelungenen und nur wenigen enttäuschenden Projekten interessant zu beobachten sein, welche Lehren der Moderator daraus zieht: Die von Joko und Klaas durchgeführte Annäherung an den Mainstream oder die völlige Fokussierung auf abseitige Unterhaltung für die Minderheit.
Übrigens: Vor zwei Jahren stand Böhmermann gemeinsam mit Charlotte Roche schon einmal unmittelbar vor einer Beförderung ins Hauptprogramm, schon einmal kürte ihn Quotenmeter.de
zum Gewinner des Jahres - doch nach internen Streitigkeiten wurde das Format wenig später überraschend eingestellt. Es bleibt abzuwarten, ob es diesmal besser läuft oder der Held des Spartenfernsehens auch in zwei Jahren noch von euphorischem Lob begleitet auf den Digitalkanälen herumkrebst.