Regisseur Ned Benson hat mit seinem Liebesdrama ein ganz besonderes Filmerlebnis geschaffen, dessen volle Entfaltung wie keine andere von der richtigen Schnittfassung abhängig ist. Hierzulande entschied man sich leider für die konventionellste, was schade ist. Ist ein Kinogang dennoch lohnenswert?
Filmfacts: «Das Verschwinden der Eleanor Rigby»
- Kinostart: 27. November 2014
- Genre: Drama
- FSK: 6
- Laufzeit: 123 Min.
- Kamera: Christopher Blauvelt
- Musik: Son Lux
- Buch und Regie: Ned Benson
- Darsteller: James McAvoy, Jessica Chastain, Viola Davis, Nina Arianda, Bill Hader, Isabelle Huppert, William Hurt
- OT: The Disappearance of Eleanor Rigby: Them (USA 2014)
Kurzfilmregisseur Ned Benson hat sich für sein erstes, großes Leinwandprojekt etwas ganz Außergewöhnliches vorgenommen. Sein die Gefühle eines Ehepaares sezierendes Beziehungsdrama «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» entstand in insgesamt drei verschiedenen Fassungen. Während die relativ simpel gestrickte Geschichte eigentlich bloß vom Auseinanderbrechen einer einstigen Bilderbuchliebe erzählt, lassen es unterschiedliche Betrachtungsweisen auf das Geschehen zu, dass mit „Him“, „Her“ und „Them“ drei grundverschiedene Filme entstehen konnten. Wie es die Titel bereits ankündigen, schildert „Him“ die Trennung aus der Sicht des Mannes, „Her“ aus dem Blickwinkel der Frau und „Them“ lässt „Him“ und „Her“ miteinander verschmelzen. Bei seiner Weltpremiere auf den Filmfestspielen in Cannes entschied sich Benson dafür, «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» in seinen Einzelfragmenten vorzuführen – und erntete dafür frenetischen Applaus und ein herausragendes Kritikerfeedback. Lange Zeit war nicht klar, in welcher Fassung das zweistündige Drama in Deutschland erscheinen würde. Nun steht fest: Um wenigstens einen Hauch gängiger Sehgewohnheiten zu bedienen, fiel die Wahl hierzulande darauf, mit „Them“ die konventionellste Schnittform respektive den sogenannten Director’s Cut in ausgewählte Programmkinos zu bringen. Um es vorwegzunehmen: Das ist schade. Nicht nur, dass man somit den einfachsten aller möglichen Schritte gewählt hat, auch das ganze Ausmaß dieses ambitionierten Projekts ist so allenfalls noch zu erahnen. Selbst Ned Benson selbst sprach sich bislang nicht für „Them“ als vollkommenste Fassung seines Werks aus, sodass es wenig wundert, dass «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» in der uns hier präsentierten Form seine volle Faszination überhaupt nicht entfalten kann. Was man bekommt, ist einzig und allein ein stark gespieltes Drama mit unübersehbaren, dramaturgischen Schwächen.
Jede Liebe schreibt ihre eigene Geschichte. So auch die von Eleanor (Jessica Chastain) und Connor (James McAvoy); eine Liebe, dazu geschaffen, kleine und große Katastrophen des Alltags zu überdauern. Bis zu dem Tag, als ihre Beziehung unerwartet auf eine harte Probe gestellt wird. Einstmals ein Traumpaar, reagieren beide vollkommen unterschiedlich auf das drohende Auseinanderbrechen ihres Glücks: Eleanor zieht sich immer mehr zurück, bis sie schließlich ganz verschwindet. Zurück bleibt ein verzweifelter Connor, der die Scherben ihrer Ehe aufzusammeln versucht. Von ihren Freunden und Familien gedrängt und von der eigenen Rat- und Rastlosigkeit getrieben folgen beide neuen Lebensentwürfen, um schlussendlich zu erkennen, dass das Schicksal für ihre Liebesgeschichte ein anderes Ende bereithält als erwartet.
Der Reiz daran, die Ereignisse aus «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» getrennt voneinander aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen, liegt nicht bloß in der vollends unterschiedlichen Umgangsweise der Protagonisten mit einem schweren Schicksalsschlag. Es ist obendrein das Spiel mit den sich stetig aufbauenden Wissensvorsprüngen, die das Geschehen für den Zuschauer spannend gestaltet. Schaut man sich erst die Geschichte des Ehemannes an, um die Situation durch die vollkommen gegensätzliche Sichtweise der Frau fast ad absurdum zu führen, erlebt das Publikum zwei in Gänze für sich stehende Tragödien von vollends unterschiedlichem (Unterhaltungs-)Wert. In „Them“ folgt auf eine Szene aus der Perspektive von Eleanor sogleich eine weitere, die Connors Handeln in den Mittelpunkt rückt. Das Entstehen dramatischer Fallhöhen gestaltet sich somit als äußerst schwierig. Eine Spannung bleibt automatisch aus: Etwaig aufkommende Fragen über die Gefühle des jeweils anderen werden schon wenige Minuten später beantwortet. Und auch das dem Film seinen Namen gebende „Verschwinden“ von Eleanor Rigby ist schlicht keines, da der Zuschauer stets über den Verbleib der Figur Bescheid weiß. Darüber hinaus bekommt man auch für die immer wieder erwähnte Entfernung beider Protagonisten voneinander kaum ein Gespür. Nicht nur, dass sich die Zeitverläufe innerhalb des Films schwer einschätzen lassen; viel zu oft laufen sich Jessica Chastain und James McAvoy in ihren Rollen zufällig über den Weg. So wird der erste, richtige Kontakt beider Figuren nicht etwa zur längst überfälligen Erlösung, wie es sich bei der gesonderten Betrachtung von „Him“ und „Her“ einstellen würde. Stattdessen gestaltet sich dieser wie jede andere, emotionale Filmszene auch.
Nichtsdestotrotz wird «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» von zwei Hauptdarstellern getragen, denen auch eine eher missratene Schnittfassung ihres hier dargebotenen Charakterstücks nichts anhaben kann. James McAvoy, der mit «Drecksau» und «Trance» zuletzt in wesentlich derberen Rollen zu sehen war, kehrt in «Eleanor Rigby» eine einfühlsame, zerbrechliche Seite hervor, die nicht nur ihm gut zu Gesicht steht, sondern auch perfekt als direkter Gegenpol zu Jessica Chastain funktioniert. Anders als es der erste, visuelle Eindruck des zu Beginn der Story noch toll harmonierenden Paares verspricht, gibt Chastain («Interstellar») in ihrer Rolle die Harte, während McAvoy ganz klar als der Zarte angelegt ist. Dass diese charakterlichen Unterschiede nicht erst aus dem von Beginn an geheimnisumwitterten Schicksalsschlag resultieren, zeigt bereits der Prolog, in welchem sich Eleanor in einem Restaurant dazu entschließt, dieses aufgrund von Geldmangel flüchtig zu verlassen, während ihr Mann mit einer konventionelleren Lösung des Problems liebäugelt. Es ist durchweg spannend, dem sich anziehenden und sofort wieder abstoßenden Paar zuzusehen. Zwischen Chastains und McAvoys Rollen knistert es spürbar. Doch ausgerechnet die teils sperrigen Dialoge schieben der überaus natürlichen Chemie zwischen den beiden Darstellern einen Riegel vor. Am besten funktionieren die zwei dann, wenn man ihnen vor der Kamera freien Lauf lässt.
Jessica Chastain und James McAvoy sind es auch, dank derer «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» trotz der in „Them“ fehlenden Innovation zu einem fast einzigartigen Erlebnis wird. Viel zu selten befassen sich Liebesfilme der Traumfabrik punktuell mit dem Zerbrechen einer Beziehung. Zuletzt tat dies Derek Cianfrance in seinem Drama «Blue Valentine» und zog damit beachtlich viel Aufmerksamkeit auf sich. Auch Ned Benson deutet die positiven Gefühle zwischen seinen Hauptfiguren nur an und konzentriert sich ansonsten darauf, all die Leinwandemotionen seiner Protagonisten in die Ausarbeitung des zwischenmenschlichen Dramas zu legen. Die Kunst von Chastain und McAvoy liegt darin, die tiefe Verbundenheit ihrer Charaktere auch ohne viel physikalische Liebe spürbar zu machen. Da schmerzt die Erkenntnis beim Zusehen umso mehr, dass sich hier ein Traumpaar voneinander entfernt, das dies eigentlich gar nicht nötig hätte. Das macht «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» trotz des Fehlens überbordender Gesten zu einer wahren Ode an die Liebe und all ihrem Leid.
Fazit: Indem man sich dazu entschloss, «Das Verschwinden der Eleanor Rigby» hierzulande bloß in der zusammengeschnittenen Fassung in die Kinos zu bringen, bleibt dem Zuschauer der Blick auf ein experimentelles, andersartiges Filmprojekt verwehrt. Vor allem aufgrund der beeindruckenden Darstellerleistungen bleibt das Drama dennoch den Kauf einer Kinokarte wert.
«Das Verschwinden der Eleanor Rigby» ist ab dem 27. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.