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Phänomen Twitter: Das 'digitale Rudelgucken'

Twitter wird als Begleitmedium für das Fernsehen unverzichtbar. Im Gespräch mit Quotenmeter.de spricht Twitter Deutschlands Head of TV Michael Kollatschny über die Zusammenarbeit mit den Sendern.

Zur Person: Michael Kollatschny

Bei Twitter Deutschland arbeitet Michael Kollatschny seit dem 1. August 2014 als Head of TV Partnerships. Zuvor war Kollatschny bei den Produktionsfirmen creaTV, Brainpool TV tätig. 2007 gründete er die Kollareuth Media GmbH, danach arbeitete er als freier Producer für Formate wie «Elton vs. Simon - Die Show». Seit Januar 2013 arbeitete er als Head of Reality & Docu bei Endemol, ehe er zu Twitter wechselte.
Mittlerweile haben sich die Besucher der großen Nachrichtenseiten an die Artikel am Montagmorgen gewöhnt. Darin fassen die verschiedenen Informationsmedien die Gedanken der «Tatort»-Zuschauer zusammen und bilden die bemerkenswertesten Kommentare der Fernsehenden in einem Beitrag ab. Darüber prankt die Überschrift „Twitter-Schau“, denn die maximal 140 Zeichen, aus denen eine Bemerkung zum neuesten Kriminalfall im Ersten besteht, stammt aus dem titelgebenden sozialen Netzwerk, das immer öfter dazu dient, Fernsehinhalte Revue passieren zu lassen. Betrachtet man die Uhrzeit der «Tatort»-Tweets, fällt auf, dass die meisten Nachrichten noch während der Ausstrahlung des Krimis abgesendet werden, die Zuseher Twitter also nutzen, um den Krimi zu diskutieren und zu kommentieren. Twitter wird zum virtuellen Wohnzimmer der Fernsehenden, in dem sie ihre Gedanken zu den Sendungen mit der Community teilen können, ähnlich wie mit Freunden einen gemeinsamen Fernsehabend zu verbringen. Public Viewing ohne in engen und voluminösen Menschenmassen zu stecken, sondern sitzend auf der eigenen Couch.

Mittlerweile sind bereits über 50 Prozent der Twitter-Mobilnutzer während dem Fernsehen im sozialen Netzwerk unterwegs, heutzutage gehört das Smartphone als zweiter Bildschirm neben dem Fernseher zum Seherlebnis dazu. Im Dialog mit Quotenmeter.de betont Twitter Deutschlands Head of TV Michael Kollatschny: „“Wir sehen, dass Twitter weltweit zum Social Soundtrack geworden ist. Gerade das “digitale Rudelgucken” gewinnt auch in Deutschland an Bedeutung. Aktuelle Zahlen: 56% unserer deutschen mobile-User nutzen Twitter, während sie TV schauen. Twitter ist damit für viele zum digitalen Lagerfeuer geworden! Je größer die Konversation auf Twitter rund um TV-Inhalte wird, desto mehr profitieren Zuschauer, TV-Sender und natürlich auch Twitter.”

Nicht nur für die Zuschauer gewinnt Twitter also als begleitendes Medium zu Fernsehübertragungen an Bedeutung. Auch die Sender selbst erhoffen sich vom sozialen Netzwerk profitieren zu können und fordern unter dem Stichwort „Social TV“ ihre Zuschauer immer öfter auf, unter dem formatseigenen Hashtag zu diskutieren. Kurios, dass ausgerechnet das «Tatort»-Twittern zum Kult wurde, sehen doch prozentual wesentlich mehr ältere Menschen die Krimireihe als die twitteraffine Jugend. Doch Twitter steht auch für ein eigenes Ökosystem, in dem sich Dinge verselbstständigen können und sich auch gegen eine allgemeine Logik entwickeln. Fernsehsender arbeiten daran, die Online-Plattform in ihre Richtung zu drängen. Es werden Apps entwickelt, über die sich Twitter-Nutzer über eine Sendung unterhalten können, wodurch sich die Sender einen Hype erhoffen. Tatsächlich sind vor allem Formate für eine junge Zielgruppe stark auf Twitter vertreten, zu den Vorreitern gehören «Circus Halligalli» (Foto), «The Voice» «Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» und «Germany’s Next Topmodel».

Am bemerkenswertesten sind für Michael Kollatschny die Twitter-Reaktionen auf die großen Live-Events. „Hier fallen mir natürlich sofort die Oscars, der ESC und auch die WM ein - Twitter hat sich längst als DAS globale Konversationstool etabliert. Auf nationaler Ebene bleibe ich großer Joko & Klaas-Fan und freue mich, wenn Twitter organisch in Abläufe integriert wird. Das ist beispielsweise bei einem Gastauftritt von James Blunt geschehen. Er steht wegen seiner Musik oft, auch bei Twitter, in der Kritik und reagiert auf seine Weise. Das kann so Basis eines unterhaltsamen Startalks sein. Zuschauertweets zum Finale von «How I met your mother» auf ProSieben sind ein weiteres Beispiel für die Einbindung in fiktionalen Content. Ich sehe bei meinen Kollegen in anderen Ländern, wie experimentierfreudig und erfolgreich mit Twitter zusammengearbeitet wird und glaube fest daran, dass auch wir in Deutschland auf dem richtigen Weg sind.” Über die Vermarktung der einzelnen Formate auf Twitter, fügt er an: „Ich bin der festen Überzeugung, dass es wichtiger denn je ist, Formate als Marke aufzubauen. Twitter kann dabei behilflich sein, eine Verbindung zwischen Produzent, Sender, Cast und Zuschauer herstellen und somit die Chance erhöhen, zum Talk of the Town zu werden und den Zuschauer enger an sein Programm zu binden“, beurteilt Kollatschny den Vorteil von Twitter für die Fernsehsender. „Das Publikum in Echtzeit zu lesen und zu verstehen ist wie eine nationale, ehrliche und sehr schnelle Marktforschung. Als TV-Sender kann ich außerdem an dieser Diskussion um mein Produkt teilhaben, daraus wertvolle Schlüsse ziehen und es gegebenenfalls anpassen.”

Zwar schaffen es die Sender noch nicht, die Twitter-Gemeinde und ihr Verhalten zu kontrollieren, der Einfluss des Online-Angebots zeichnet sich jedoch bereits an vielen Stellen ab. Als der Rapper Prince Kay One auf RTL II in «Prinzessin gesucht» (Foto) auf vor wenigen Wochen erstmals auf Brautschau ging, schauten nur enttäuschende 5,3 Prozent der 14- bis 49-Jährigen zu. Twitter lief während der ersten der beiden Ausstrahlungen des Dating-Formats jedoch heiß und die Zuschauer wollten ihre Ansichten zur Sendung unbedingt der Community mitteilen. Zwar waren nur die wenigsten der Tweets dem Format und seinem Protagonisten gegenüber positiv eingestellt, dafür erlangte «Prinzessin gesucht» über Nacht die Aufmerksamkeit, die sich RTL II erhoffte. Eine Woche später verbesserte sich die Liebessuche in der Zielgruppe um fast drei Prozent und lief nicht nur beim jungen Publikum, sondern auch insgesamt deutlich über dem Senderschnitt des Grünwalder Senders. Darüber dass der Quotenzuwachs tatsächlich durch die zahlreichen Erwähnungen auf Twitter zustande kam, kann sich RTL II allerdings nicht sicher sein. Immerhin fand Nielsen in den USA bereits eine Korrelation zwischen einer stark frequentierten Tweet-Zahl und der Zuschauerreichweite. Doch der Wissenschaftler weiß: Korrelation ist nicht gleich Kausalität.

Angesprochen auf den Twitter-Hype um das RTL II-Format mit Kay One, erklärt Kollatschny: “Ich denke da an «Stromberg». Natürlich kann eine Community Einfluss auf die Bekanntheit eines Formats haben. Wenn es dann auch noch polarisiert und die Diskussion vom Sender aktiv gesteuert wird, dann erhöht man das Potenzial eines Formats sicher.” Deshalb versuchen die Sender im intensiven Dialog mit Twitter zu bleiben. Die Zusammenarbeit zwischen Twitter und den TV-Sendern sieht Michael Kollatschny als „sehr offen“. „Ich spüre ganz klar, dass die Senderkollegen bestrebt sind, ihre Formate aufzuwerten und aus der Masse herausstechen zu lassen. Wir entwickeln so mit einem gemeinsamen Ziel. Schulungen zu neuen Tools oder internationalen Twitter-Integrationen, inhaltliche Brainstormings und vertrauensvolles Miteinander sind unabdingbar.”

Dennoch legten die Sender ihr Verständnis vom Fernsehen als statisches Medium schon vor langer Zeit ab. Der Zuschauer wird in die Ausstrahlungen integriert und zur Interaktion aufgefordert, eigene Ressorts werden senderintern entwickelt, nur um sich mit Verbreitungswegen und Social TV zu beschäftigen. Darin liegt aber auch eine der großen Ängste der Sender, die einen Kontrollverlust fürchten. Die Art und Weise, wie Sender mitunter bei der interaktiven Vermarktung ihrer Übertragungen vorgehen, führt zu oft nicht zum gewünschten Ergebnis, das zeigte die jüngere Vergangenheit, in der vor allem Formate baden gingen, die explizit das interaktive Seherlebnis betonten. Zugleich ist aber auch klar: Ein Hashtag macht noch keinen Hit.

Solange die Sender noch nicht über die nötigen Strategien verfügen, ihre Formate über Social TV im Allgemeinen und Twitter im Speziellen mit höchster Effektivität zu bewerben, kann Twitter aber immerhin als Feedback für die Senderverantwortlichen dienen. Neben den Vorteilen in Sachen Interaktivität und Spannung, die mit Twitter vernetzte Fernsehausstrahlungen für den Zuschauer haben kann, haben die Fernsehschaffenden die Möglichkeit durch Twitter viel über den Zuschauer zu lernen. Denn die Twitter-Community ist vor allem eins: Ehrlich. Dennoch ist das deutsche Twitter immer noch dabei das aufzuholen, was in den USA oder dem Vereinigten Königreich bereits Gang und Gäbe ist und Fernsehsender müssen zusehen, dass sie diese Entwicklung mitgehen. Darüber hinaus können die Erfolge interaktiver Fernsehformate im Ausland wie so oft als Vorbild für deutsche Produktionen dienen.

Auch Michael Kollatschny wird weiter versuchen Twitter und die Fernsehsender enger zu verzahnen, um eine Win-Win-Situation zu schaffen. Darüber, wie sein voriger Arbeitgeber Endemol seine Tätigkeit bei Twitter beeinflusst, führt er aus: „In 16 Jahren TV habe ich immer wieder erlebt, dass Online und klassisches TV Berührungsängste haben. Sei es mangelndes Verständnis füreinander, sei es die zu einseitige Ausbildung der jeweiligen Kollegen. Schnell wirft man im Formatpitch mit “Social-Media-Konzepten” um sich, weiß die aber nicht wirklich umzusetzen. Dann lässt man es eben lieber, vor allem, wenn es auch noch Geld kostet. Als TV-Mann bilde ich mir ein, TV-Macher und ihre Probleme zu kennen und ihre Sprache zu sprechen. Wenn ich also ziemlich früh mit dem Produzenten oder Sender in die Formatentwicklung einsteigen kann, kann das organischer zusammenwachsen, was längst zusammen gehört!”

Gerade auf den Werbemarkt wird Twitter schon bald einen größeren Einfluss ausüben. Ab Ende des Jahres werden erstmals die „GFK Twitter TV Ratings“ erhoben, die nicht nur die Anzahl der Tweets erheben, sondern auch die Reichweite. Das bietet Werbekunden neue Möglichkeiten medienübergreifende Kampagnen zu planen und sich die potentesten Sendezeiten dafür herauszusuchen.
25.10.2014 11:03 Uhr Kurz-URL: qmde.de/74017
Timo Nöthling

super
schade

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