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Gefährliche Machtzirkel vor lauschigem Freejazz

Vom «Polizeiruf 110: Smoke on the Water» aus München ist nur wenig Konventionelles zu erwarten. Vielmehr setzt der Kriminalfall auf viele Schichten und eine verspielte Inszenierung.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Matthias Brandt («Eine verhängnisvolle Nacht») , Ken Duken («Inglorious Basterds»), Marek Harloff («Unsere Mütter, unsere Väter»), Judith Bohle («Es werde Stadt!, 50 Jahre Grimme Preis in Marl»), Anja Schiffel («Letzte Spur Berlin») u.v.m.

Hinter der Kamera:
Regie: Dominik Graf, Drehbuch: Günter Schütter, Kamera. Hendrik A. Kley, Szenenbild: Gabi Pohl, Schnitt: Susanne Hartmann, Tonmeister: Peter Preuss, Aufnahmeleitung: Andrea Nickel, Produzenten: Andreas Bareiss, Andreas Bareiss Pictures & TV60Filmproduktion GmbH

Schon gleich zu Beginn merkt der geneigte «Polizeiruf 110»-Zuschauer, dass ihn beim neuesten Fall aus München nicht das übliche Whodunnit erwartet. Schon nach etwa sieben Minuten ist der vermeintliche Mörder einer jungen Journalistin geständig. Der Saxophonist Mischa Eigner bekennt sich zu der Tat, doch die Lebensgefährtin des Opfers und Kommissar Hanns von Meuffels haben den Verdacht, dass es so einfach nicht ist. So taucht Matthias Brandt in seiner bewährten Rolle als Münchner Kommissar in einen Fall ein, der sich als waschechter Verschwörungsthriller anstatt als konventioneller Krimi einer ARD-Reihe entpuppen soll. Die ermordete Journalistin war scheinbar an einem Polit-Skandal dran, dessen Ausgangspunkt die Verbier-Werke zu sein scheinen, die für die Rüstungsindustrie eine hochmoderne Satelliten-Technologie entwickelt haben.

Im Gründer dieser Werke, Dr. Joachim von Cadenbach, findet von Meuffels einen alten Bekannten wieder. Beide aus adligem Hause besuchten sie das örtliche Internat Bernegg, das Anlaufpunkt der Adligen und Reichen war. Auch wenn bereits nach etwa der Hälfte der Laufzeit der Journalistinnen-Mörder feststeht, fängt der Fall dort erst richtig an Fahrt aufzunehmen, denn mächtige Personen versuchen zu verhindern, dass die Recherchen des Mordopfers ans Licht kommen.

Nicht nur der Inhalt des «Polizeiruf 110: Smoke on the Water» offenbart den Anspruch des Regisseurs Dominik Graf und des Drehbuchautoren Günter Schütter, die bereits zum vierten Mal für einen «Polizeiruf» zusammenarbeiten. Und zum vierten Fall geht das Duo den Fall erneut ganz anders an als die üblichen Produktionen für ARD-Krimireihen. Close-Ups auf den durch Scheinwerfer bunt gefärbten Saxophonspieler Mischa Eigner leiten in den «Polizeiruf» ein und offenbaren im Kontrast zum höchst konventionellen und allgemein gehaltenen Intro der Krimi-Reihe die experimentelle Natur von „Smoke on the Water“. Close-Ups sollen auch im weiteren Verlauf existenzieller Bestandteil des Falls sein und dienen nicht zuletzt dem Verwirrspiel, wenn die Kamera in etlichen Szenen bedeutungsschwanger auf Objekte hereinzoomt, die letztlich doch nicht wesentlich zur Aufklärung des Falls beitragen.

Der Zuschauer weiß nicht, was ihn erwarten wird, auch nicht, wenn Dominik Graf beim Heimweg von Meuffels kurze Flashforwards auf das dramatische Ende des Falls einstreut, die in farblich invertierten Standbildern enden und die Vorkommnisse am Schluss der Episode andeuten. Harte Schnitte und Rückblenden wechseln sich mit Ruhemomenten ab, Verhöre werden mit blutigen Bildern vom Tatort verschnitten - ein Stilmittel, das auch in weiteren Szenen dem Narrativ gut tun wird. Der Fall gibt sein Tempo auf komplexe Art und Weise vor, jedoch werden nur wenige Zuschauer Gefahr laufen, die Orientierung zu verlieren. Neben der routinierten Darstellung Matthias Brandts macht vor allem direkt zu Beginn Marek Harloff als geständiger, aber verunsicherter Saxophonist Lust auf mehr. Sein Free Jazz zieht sich später als Score durch den ganzen Fall und offenbart die Variabilität des Blasinstruments. Neben Pauken und Trommeln, die einigen wenig spektakulären Szenen eine gewisse Dramatik verleihen, sorgt das Saxophon über den ganzen Fall verteilt immer wieder für die unterschiedlichsten Stimmungen, seien es Melancholie, Romantik, Hektik oder ein allgemeines Noir-Flair von „Smoke on the Water“.

Wer beim Stichwort Romantik an den vergangenen Fall aus München zurückdenkt und vermutet, auch diese Episode gehe wieder auf das Privatleben von Meuffels ein, der irrt. Der langjährige Ermittler weiß, Distanz ist die Voraussetzung für fundierte Wahrnehmungen, widmet sich ganz seinem Fall und steht der aufzudeckenden Verschwörung näher als es ihm vielleicht lieb ist. In seinem alten Bekannten Joachim von Cadenbach sehen einige Aktivisten immerhin nicht weniger als das Zugpferd des Militarismus. Ken Duken verkörpert den charismatischen Politiker, der durch sein junges Alter und seinen traditionsreichen Namen eine Ausnahmestellung in der EU-Politik innehat. Doch auch anlässlich des Zusammentreffens der alten Bekannten liefert der «Polizeiruf 110: Smoke on the Water» keine Anekdoten aus der gemeinsamen Internatszeit oder etwa Comic Reliefs. Vielmehr versucht der 90-Minüter, von Cadenbach als Menschen zu porträtieren, der seine Macht und Popularität schamlos ausnutzt und insbesondere wenn es um seine Familie geht nicht davor zurückschreckt, Grenzen zu überschreiten. Schließlich führen alle Wege ins Bernegger Internat, das Brutstätte für Machtgier und Verschwörungen zu sein scheint. Als Sidekick wider Willen steht von Meuffel die Freundin des Opfers, Corry, bei. In den Szenen mit ihrer Darstellerin Judith Böle offenbart sich trotz des Distanzappells von Meuffels eine emotionale Nähe und eine wunderbare Chemie zwischen den beiden Protagonisten.

Diese düstere, an vielen Stellen brutale und explizite Machart, wirft die Frage auf, ob sich die neue Münchner Ausgabe wirklich für einen Sendeplatz um 20.15 Uhr eignet, gerade die Endszene erinnert an nervenaufreibende Thriller wie «Funny Games». Darüber hinaus schafft es die Laufzeit von 90 Minuten nicht, der Geschichte vollständig gerecht zu werden. Subtil bleibt der Fall trotzdem, während in schlechteren Fällen einer Krimi-Reihe etwa Charaktere holzhammerartig durch die Bemerkungen einer anderen Figur erklärt werden. Die vielschichtige Handlung muss gegen Ende doch sehr verengt in die verbleibende Filmzeit gepresst werden - nicht unwahrscheinlich, dass im Schnitt einige Abstriche gemacht werden mussten. So wirkt „Smoke on the Water“ besonders im letzten Drittel hektisch und übernimmt sich teilweise beim Versuch, Günter Schütters Idee ausreichend zu beleuchten. Abhilfe schafft wohl der „Director’s Cut“, der über 12 Minuten mehr Laufzeit verfügt, dem Fernsehpublikum allerdings erst einmal vorenthalten bleibt.

Das Erste zeigt «Polizeiruf 110: Smoke on the Water» am Sonntag, 19. Oktober, um 20.15 Uhr.
17.10.2014 11:02 Uhr Kurz-URL: qmde.de/73811
Timo Nöthling

super
schade

46 %
54 %

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Funny Games Polizeiruf Polizeiruf 110 Polizeiruf 110: Smoke on the Water Polizeiruf 110: Smoke on the Water Smoke on the Water

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