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«Gomorrha»: Wenn bei der Mafia der Lack ab ist

Dreh den Swag ab: Die italienische Krimiserie «Gomorrha» glänzt dadurch, dass sie der Mafia sämtlichen Glanz raubt.

Cast und Crew

Vor der Kamera:
Walter Lippa («La vita che corre») als Carlucciello ò Pescivendol, Salvatore Esposito («Il principio del terzo escluso - Tertium non datur») als Genny Savastano, Fortunato Cerlino («Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra») als Pietro Savastano, Marco D'Amore («Ein ruhiges Leben») als Ciro di Marzio, Fabio de Caro («Totore») als Malammore


Hinter der Kamera:
Regie: Stefano Sollima, Claudio Cupellini und Francesca Comencini, Drehbuch: Leonardo Fasoli, Roberto Saviano, Stefano Bises und weitere, Produktion: Gina Gardini, Domenico Procacci und Riccardo Tozzi, Schnitt: Patrizio Marone, Kamera: Paolo Carnera und Michele D'Attanasio
Der wachsende Erfolg von Qualitätsserien inspiriert Fernsehmacher zunehmend dazu, Kinofilme in serieller Form neu zu interpretieren. Ob das Footballdrama «Friday Night Lights», der schwarzhumorige Krimi «Fargo» oder Robert Rodriguez' Mystery-Pulp «From Dusk Till Dawn»: Die Budgets von Fernsehserien steigen kontinuierlich, und so können sich die TV-Produktionen immer selbstbewusster mit ihren Kinopendants messen lassen. Die Idee, Erzählungen vom Kino auf die heimische Mattscheibe zu bringen, hat derzeit aber nicht nur in den Vereinigten Staaten Hochkonjunktur. Auch in Europa finden TV-Produzenten Gefallen an diesem Trend.

Jüngstes Beispiel: Das italienische Kriminaldrama «Gomorrha», das nun bei Sky anläuft, ist eine Neuinterpretation des gleichnamigen Kinofilms des Regisseurs Matteo Garrone. Dieser basiert wiederum auf einer Romanvorlage von Roberto Saviano und gewann 2008 in Cannes den Großen Preis der Jury. Blickte der Kinofilm in fünf Handlungssträngen auf das Leben in Neapel und auf die dort vorherrschenden Machtstrukturen sowie Gewaltverbrechen, konzentriert sich die von den Produktionshäusern Sky Italia, Fandango, Cattleya, LA7 und Beta Film produzierte Serie stärker auf das Mafiasyndikat Camorra sowie dessen Einfluss auf das Problemviertel Scampia.

Im Zentrum des Geschehens steht der 30-jährige Ciro (Marco D'Amore), der sich als rechte Hand des Mafiapaten Savastano (Fortunato Cerlino) über Wasser hält. Seine Aufgaben für den mächtigen Camorra-Clan: Brandstiftung, Körperverletzung, Mord. Lange Zeit sah Ciro keinen Anlass zum Zweifel an seiner Tätigkeit, doch dies ändert sich schlagartig, als sein Mentor Attilio (Antonio Milo) bei einer Schießerei ums Leben kommt. Seiner neu gewonnenen Nachdenklichkeit kann Ciro aber nicht all zu lang frönen, denn kurz nachdem Pietros Sohn Genny (Salvatore Esposito) eine Fehde mit dem Conte-Clan anzettelt, wird Pietro während einer Polizeikontrolle verhaftet. Nun sind Ciro, Genny und Pietros Frau Imma Savastano (Maria Pia Calzone) die Ranghöchsten im Camorra-Clan und halten das Schicksal ihrer Organisation in der Hand …

Der mehrfach ausgezeichnete «Gomorrha»-Kinofilm verstand sich als künstlerisches Destillat der Themen aus Robert Savianos Bestseller – die Serie dagegen nutzt ihre Gesamtlauflänge, um in aller Breite sämtlichen Motiven der Buchvorlage gerecht zu werden. Dennoch ist sie keine klassische, direkte Adaption des Sensationsbuchs, das auf jahrelanger, minutiöser Recherchearbeit basiert. Die Geschichte, die in der Dramaserie erzählt wird, wurde speziell für das Format geschrieben – sie nährt sich aber aus wahren Schilderungen des Mafiaclans Camorra, die Saviano in seinem Roman niederschrieb.

Und so versucht die Pay-TV-Serie, das Beste aus beiden Welten zu vereinen: Sie erzählt das sich über zwölf Folgen erstreckende, dramaturgisch ausgetüftelte Schicksal eines Mafia-Handlangers, der die interne Erfolgsleiter hinauf stolpert, während er erste Zweifel an seiner Arbeit hegt. Gleichwohl wird die fiktionale, charaktergesteuerte Handlung von einem unmittelbaren Blick auf die italienische Mafia durchzogen, der nicht nur den Schleier des Geheimnisvollen zu lüften versucht. «Gomorrha» schickt sich thematisch auch an, die Mafia durch diese authentische Darstellung mit anderen Milieus zu vergleichen.

Am deutlichsten wird die Entmystifizierung, die «Gomorrha» betreibt, durch die gewählten Originalschauplätze, Kostüme und Setausstattung: Die Mafiosi in dieser von einer desolaten Atmosphäre geprägten Serie leben nicht in prachtvollen Villen, sondern in verkommenen Sozialbauten. Diese sind so grausig eingerichtet, dass sie glatt die hässlichsten Buden aus diversen Nachmittagsdokusoaps im direkten Vergleich geschmackvoll erscheinen lassen. Da hängt der goldene Prachtleuchter über dem zugemüllten Kacheltisch und der Riesen-LCD-Fernseher neben einem morschen Schrank voller Uraltkitsch. Und die Mafiosi selbst sind genauso unglamourös gestylt: Weder tragen sie den «Scarface»-Chic zur Schau, noch exzentrische „Pimp“-Outfits. Stattdessen könnten sie sich mit ihren Grabbeltisch-Klamotten inklusive vereinzelter Prunk-Accessoires nahtlos in die Statistenriege drittklassiger Rapvideos einreihen.

Einige der Camorra-Clanmitglieder sowie manche ihrer Konkurrenten werden in der Serie zudem auch hinsichtlich ihrer Kompetenzen so beschrieben, dass man sie eher in einem Musikclip vermuten würde. Mehrmals sind die Handlanger verängstigter als ihre Opfer, Heulkrämpfe gehören für sie zur Tagesnorm und es ist nicht die Treue zu „la familia“, die sie in der Unterwelt festhält, sondern die reine Unfähigkeit, ein eigenes Leben aufzubauen. Und dennoch gelingt es «Gomorrha», neue Furcht vor dem organisierten Verbrechen zu schüren. Denn die wenigen Meisterganoven, die sich in diesen weit vernetzten Clans befinden, sind extrem ausgebufft. Die Schurken in dieser Serie sind skrupelloser und in ihrer Weltsicht abgedrehter, als es selbst die härtesten Mafiafilme andeuten. Darüber hinaus kommt dann ein sozialer Abgleich nach oben ins Spiel: Die besten Dialoge der Serie wecken Erinnerungen an typische Unternehmensfloskeln, zeichnen ein Bild, das die Leitung einer Mafiaorganisation mit der eines Weltkonzerns vergleicht.

Kurzum: Mafiabosse sind, so stellt es dieses interessante Kriminaldrama dar, eine brandgefährliche Mixtur aus einem rüpelnden, im sozialen Brennpunkt lebenden Kleingangster und einem raffgierigen, weitsichtigen Konzernleiter. Diese komplexe, im Laufe der Serie immer detaillierter ausgeführte Darstellung der Mafia ist das große Alleinstellungsmerkmal von «Gomorrha». Anderweitig wird dieses außergewöhnliche Projekt seinen hohen Ambitionen nicht durchgehend gerecht: Der Versuch, mittels eines Profischauspieler und Laien mischenden Ensembles mehr Authentizität zu erzeugen, geht nicht immer auf, denn manche der Nebendarsteller brechen mit ihrem engagierten, aber sichtbar bemühten Spiel die Illusion. Und die Musikuntermalung, sei es Originalscore oder Popmusik, trägt ihre Intentionen stellenweise zu überdeutlich vor. Außerdem sind die Dialogsequenzen in den ersten paar Episoden noch etwas ungeschliffen, was sich auf das erzählerische Tempo auswirkt.

Dennoch ist dieses Projekt ein echtes Serienhighlight, das beweist, was auf dem europäischen Fictionmarkt möglich ist. Starke Bilder, faszinierende Figuren und eine dichte Atmosphäre machen «Gomorrha» zu einer klaren Einschaltempfehlung für alle Anhänger guter Ganovensagen.

«Gomorrha» ist ab dem 10. Oktober 2014 immer freitags um 21 Uhr bei Sky Atlantic HD zu sehen.
08.10.2014 13:55 Uhr Kurz-URL: qmde.de/73625
Sidney Schering

super
schade


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Tags

Fargo Friday Night Lights From Dusk Till Dawn Gomorrha Scarface

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