Die neue Shonda-Rhimes-Serie besticht als interessanter Genremix aus Gerichtsdrama, Soap und Murder Mystery. Über eine bezaubernde Viola Davis, junge Studenten, die über Leichen gehen – und über einen richtig starken US-Neustart.
Hinter den Kulissen
- Produktion: ABC Studios, ShondaLand
- Erfinder und Showrunner: Peter Nowalk (Exec. Prod. bei «Scandal»)
- Darsteller: Viola Davis («The Help»), Billy Brown («Hostages»), Alfred Enoch («Harry Potter»), Katie Findlay («The Carrie Diaries»), Aja Naomi King («Emily Owens, M.D.») u.a.
- Executive Producers: Shonda Rhimes, Betsy Beers, Peter Nowalk
- Regie (Pilot): Peter Nowalk
Jura gilt eigentlich als das langweiligste aller Studienfächer. Nicht so, wenn man Professor Annalise Keating als Dozentin hat: „Ich weiß nicht, welche schrecklichen Dinge Sie in Ihrem Leben veranstaltet haben. Aber Ihr Karma ist offensichtlich sehr unausgeglichen, wenn Sie meinem Kurs zugeteilt wurden“, begrüßt sie ihre Studierenden in der ersten Stunde. „Ich werde Ihnen nicht beibringen, wie man Recht studiert oder theoretisiert, sondern wie man es praktiziert – in einem Gerichtssaal, wie ein echter Anwalt.“ Rote Lederjacke, Kurzhaarschnitt, streng, auf den Punkt: Keating ist eine dieser Professorinnen, die an einer Universität berüchtigt sind, gefürchtet und verehrt. Der Titel ihres Kurses: How to Get Away with Murder.
Genauso heißt die neue US-Serie, die am Donnerstagabend fulminant vor über 14 Millionen Zuschauern gestartet ist – zurecht, um ein positives Urteil vorwegzunehmen. Die Pilotepisode erzählt vom Semesterbeginn an der Middleton Law School und von besagtem Kurs, an dem angehende Anwälte lernen sollen, ihre Klienten von einem Mord reinzuwaschen. Wes Gibbins ist Erstsemester, und er ahnt nicht, auf was er sich einlässt, wenn er Keatings Kurs besucht. Alle anderen scheinen vorbereitet, beantworten die Fragen der Professorin punktgenau. Als Wes aufgerufen wird und er nichts beitragen kann, lehrt ihm Keating eine Lektion – die besondere Beziehung der beiden ist etabliert.
Keatings Studenten lernen an einem echten Mordfall, in dem ein Unternehmer vergiftet wurde. Die zukünftigen Anwälte hören die vermeintlichen Täter an und ermitteln auf eigene Faust, wenn auch nicht immer mit legalen Methoden. Wer gute Arbeit leistet und ein glaubhaftes Szenario entwickelt, um die Klientin von den Mordvorwürfen zu entlasten, der erhält Keatings Belohnung: einen Job in ihrer Anwaltskanzlei. Auch Wes wird dabei sein, dazu vier andere engagierte Studenten.
Diese fünf sind Teil des übergeordneten Narrativs, das «How to Get Away with Murder» bestimmen wird. In einem zweiten Handlungsstrang erzählt der Pilot, was drei Monate nach Semesterbeginn geschieht: Die fünf jungen Mitarbeiter von Keating haben am Rande einer Campus-Party die Absicht, einen toten Körper verschwinden zu lassen. Es ist Nacht, und niemand darf das Opfer (das am Ende der ersten Episode enthüllt wird) erkennen. Was die Gruppe veranstaltet hat, ob sie wirklich für den Mord verantwortlich ist, was überhaupt geschah, ob Keating geheim involviert ist – eine Antwort erhält der Zuschauer darauf nicht. Der Serientitel bekommt an dieser Stelle eine perfide, ganz andere Bedeutung. Nun können die Studenten zeigen, was sie bisher gelernt haben.
Dieser Wechsel der Zeitebenen kreiert nicht nur Spannung durch einen Mordfall, er charakterisiert auch die Protagonisten, mit denen wir es zu tun haben werden: mit fünf Menschen, die moralisch fragwürdig handeln, manchmal selbstverliebt, manchmal naiv sind. Zu Semesterbeginn agieren diese Studenten bereits mit unlauteren Methoden, zu diesem Zeitpunkt noch einzeln und auf eigene Faust. Drei Monate später erscheinen sie als vermeintliche Mörder noch zwielichtiger. Professorin Keating ermutigt ihre Zöglinge, mit unlauteren Methoden vorzugehen – denn wer sich ins Rampenlicht ermittelt, erhält ihre begehrten Jobs. Auch Keating selbst tut fast alles, um im Gerichtssaal zu siegen.
Es sind diese Charaktere, die «How to get Away with Murder» so sehenswert machen. Denn ansonsten enthält der Pilot einen mehr oder weniger klischeehaften, bedingt spannenden Mordfall, den es aufzuklären gilt. Zahlreiche Szenen spielen sich auch im Gerichtsaal ab; sie sind die schwächsten des Pilotfilms. Interessanter wird es, wenn die Figuren Spielfläche erhalten: Wes Gibbins, der in seinem kleinen Appartement über dem Fall grübelt, während seine Nachbarin die Musik aufdreht. Der seine toughe Professorin bei einer Affäre erwischt, die ihm später offenbart, dass ihr Privatleben zerrüttet ist. Wenn Studentin Rebecca in der Damentoilette spioniert oder wenn Kommilitone Connor in einem Club flirtet, um an geheime Informationen zu kommen. Und wenn sie alle darüber streiten, wie sie die Leiche verschwinden lassen sollen.
Der Genremix geht im Pilotfilm komplett auf, es ist Murder Mystery, es ist Drama, es ist eine Anwaltsserie mit klassischen Szenen im Gericht und auch eine Soap Opera. Das Tempo gefällt, schnelle Schnitte, eine mitreißende Eröffnungssequenz, beeindruckende Aufnahmen, manche Szenen eine wirkliche Augenweide – vor allem aber: tolle Schauspieler. Besonders die 2011 Oscar-nominierte Viola Davis («The Help») als ambivalente Professorin Annalise Keating ist ein Hingucker, auch wenn ihre Figur bisher leicht klischeehaft angelegt ist.
Die fünf Studenten, die zum Hauptcast gehören, sind ebenfalls sehenswert, darunter besonders Alfred Enoch als Wes Gibbins. Der aus den «Harry Potter»-Filmen als Dean Thomas bekannte Schauspieler bringt nicht nur Witz in die Pilotfolge, er spielt den naiven, aber strebsamen Erstsemester zurückhaltend sympathisch. Alle anderen Charaktere bleiben (noch) blass und wenig ausgearbeitet. Sie erscheinen allerdings nicht so langweilig, dass man nicht weitere Geschichten von ihnen sehen möchte. Von Wes Gibbins. Und von Annelise Keating. «How to Get Away with Murder» ist ein richtig guter Neustart dieser jungen US-Season. Und dank Erfolgsproduzentin Shonda Rhimes («Grey’s Anatomy», «Scandal») dürfen wir berechtigte Hoffnungen haben, dass die Qualität mindestens gehalten wird. Und dass uns diese Serie ziemlich lange begleitet.
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