Wenn Schauspieler schauspielern, indem sie spielerisch eigene Erfahrungen zur Schau stellen ...
Einer der großen Favoriten, die Oscar-Experten derzeit für die nächste Academy-Award-Verleihung handeln, ist «Birdman». Darin spielt der frühere «Batman»-Darsteller Michael Keaton einen gealterten Mimen, der einst vor allem aufgrund seiner Superheldenstreifen großen Ruhm genoss, mittlerweile aber vor allem nur in kleineren Rollen auf sich aufmerksam macht. Und schon jetzt, obwohl nur wenige Kritiker und Filmfestivalbesucher bislang die Gelegenheit hatten, «Birdman» zu bestaunen, kommen mir zahllose Unkenrufe zu Ohren: „Keaton spielt einfach nur sich selber, der hat keine Oscar-Nominierung verdient!“
Ganz abgesehen davon, dass es unsinnig ist, Filme zu kritisieren, ohne sie gesehen zu haben, reißt dieses Statement eine ganz andere Diskussion an: Welchen Wert hat Metacasting? Offensichtlich ist es leicht, Besetzungen, die aufgrund realer Assoziationen mit einer Schauspielerin oder einem Schauspieler gewählt wurden, als anspruchslos abzustempeln. Ein weiteres Beispiel für solche Reaktionen: Obwohl «Under the Skin» sehr gut besprochen wird, konnte ich nach meiner Sichtung auf dem Fantasy Film Fest auch gehässige Kommentare vernehmen. „DAS soll die beste Rolle von Johansson sein? Pfff, klar! Eine geile Frau, die jeder knallen will, spielt eine geile Frau, die jeder knallen will. Uuuuh … Wie schwer!“
Meinem Tonfall ist es gewiss bereits anzumerken: Ich halte wenig von dieser abschätzigen Meinung. Selbstredend gibt es Fälle, in denen Metacasting kaum mehr ist als ein rascher Gag – man denke an David Duchovny als Verschwörungstheoretiker in «Zoolander». Doch bei größeren Rolle stellt das Metacasting im Regelfall nur einen Teilaspekt dar. Würde sich Scarlett Johansson in «Under the Skin» auf ihrem Image als Sexidol ausruhen, würde Jonathan Glazers Regiearbeit auseinanderfallen. Da die Aktrice aber auch eine wundervolle Darbietung abgibt und mit ihrer Mimik eine anfänglich eiskalte Figur erschafft, die nach und nach Neugier, Eigensinn und Verletzlichkeit entwickelt, ist das Metacasting vornehmlich für zwei Dinge gut: Es sorgt für Aufsehen und es unterstreicht die Themen des Films; es betont, wie nah am wahren Leben der Film trotz seiner surrealen und übernatürlichen Aspekte ist.
Ähnliches gilt für das Metacasting, das Steven Soderbergh so gerne betreibt. Channing Tatum ist ein Schauspieler, der mitunter sehr magere Leistungen abliefert. Ab und an gelingen ihm aber auch ansehnliche Performances, darunter im von seinem Leben inspirierten Drama «Magic Mike». Das Wissen um Tatums Anfänge als Erotiktänzer macht einige der Gags im Film spitzzüngiger und intensiviert seine Dramatik, jedoch funktioniert «Magic Mike» auch ohne diese Information. So verhält es sich auch bei «The Girlfriend Experience» mit Sasha Grey – dass eine Pornodarstellerin eine Hostess spielt, macht im Alleingang keine sehenswerte Kinoproduktion. Jedoch kann es ein interessantes Drama aufgrund des Metaaspekts noch reizvoller machen.
Würde Metacasting auf Anhieb gute Schauspielleistungen provozieren, wären sämtliche Fake-Dokus preisverdächtig – schließlich spielen darin sehr oft Laien Rollen, die ihrem realen Ich nahe sind. Bekanntlich sind die meisten derartigen Sendungen aber Schrott. Wenn ein talentierter Schauspieler eine gute Rolle erhält, die sein wahres Ich kommentiert, kann in den Händen des richtigen Regisseurs dagegen ganz Großes entstehen. Robert Downey junior lässt grüßen – seine Art, einen partyversessenen, alkoholliebenden Millionär zu verkörpern, brachte uns dank seiner ganz realen Erfahrungen immerhin die großartige Kinoversion von Tony Stark alias Iron Man. Und welcher Metacasting-Nörgler möchte sich schon mit einem Genie, Milliardär, Playboy und Philanthropen anlegen?