Ein "Wüstensohn", der Diplomatenstatus genießt, wird für Leitmeyer und Batic am Sonntagabend zum Hindernis. Ein Münchner «Tatort» ohne Prätentiöses - das hat es länger nicht mehr gegeben.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Miroslav Nemec als Ivo Batic
Udo Wachtveitl als Franz Leitmeyer
Yasin el Harrouk als Nasir
Morgane Ferru als Michaela
Samir Fuchs als Konsul Abdel Saleh
Wilson Gonzales Ochsenknecht als Henk
Ferdinand Hofer als Kalli Hammermann
Hinter der Kamera:
Produktion: Claussen + Wöbke + Putz Filmproduktion
Drehbuch: Alexander Buresch und Matthias Pacht
Regie: Rainer Kaufmann
Kamera: Klaus Eichhammer
Produzenten: Jacob Claussen und Uli PutzEin weißer Lamborghini rast durch München. Den Beamten gelingt es zwar, den Wagen durch eine Polizeisperre anzuhalten; der Zutritt zum Fahrzeug wird ihnen jedoch verwehrt, eine Verhaftung des Fahrers kommt sowieso nicht infrage. Denn neben dem Nummernschild prangen die Buchstaben „CC“ – die Abkürzung für „Corps Consulaire“. Das Auto gehört dem Konsulat des fiktiven Staates Kumar, seine Insassen genießen Diplomatenstatus.
Die Situation wird brisanter, als sich herausstellt, dass sich auf dem Beifahrersitz eine Leiche befindet. Doch erst als Konsul Abdel Saleh vor Ort ist, kommt Bewegung in die Sache: Er überredet den Fahrer zum Aussteigen und zur Kooperation mit den Behörden. Der heißt Nasir und ist der Sohn des Emirs von Kumar. Der Tote heiße Karim und sei gestern Nacht erschossen worden. Nasir habe ihn ins Krankenhaus fahren wollen, wer die Schüsse abgegeben habe, wisse er nicht. Eine weitere Befragung lehnt er ab. Zwingen können Batic und Leitmeyer ihn nicht, verhaften schon mal gar nicht und auch eine Untersuchung des Wagens lehnen Konsul und Emirsohn entschieden ab. Forget it, Ivo and Franz, it’s Diplomatenstatus!
Bis Nasir dann doch kooperiert und die beiden Polizisten zu einem Mietshaus bringt, vor dem Karim erschossen worden sein soll. Dort wohnt die Studentin Michaela Scheffner, die mit Karim im Geheimen liiert war. Nasir ist zunehmend an der Aufklärung des Verbrechens interessiert und beginnt, den deutschen Behörden zu vertrauen, auch wenn er sich mit deren rechtsstaatlicher Ermittlungsarbeit schwer tut. In Kumar werde bei der Polizei eben viel weniger geredet und viel schneller gehandelt als in Deutschland.
© BR/Heike Ulrich/Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion GmbH
Schnelle Autos, ausschweifende Partys und Drogen. Das ist das Leben des Diplomatensohns Nasir al Yasaf.
Bald stellt sich heraus, dass die Hintermänner aus dem Umfeld des kumarischen Konsulats kommen und eng mit hochrangigen Beamten des bayerischen Wirtschaftsministeriums verbandelt sind: Kumar will eine U-Bahn bauen und angebliche medizinische Geräte aus dem Freistaat importieren. Leitmeyer und Batic werden zunehmend stutzig. Doch wo sie auch zu ermitteln beginnen, heißt es schnell: Finger weg, Diplomatenstatus!
Das mit dem Diplomatenstatus haben die Autoren Alexander Buresch und Matthias Pacht wohl nicht so ganz verstanden: Denn Konsul Abdel Saleh und der Oberstaatsanwalt sprechen des Öfteren davon, dass das Konsulat, die konsularische Residenz und das Fahrzeug, mit dem Nasir durch München gerast ist, extraterritoriales Gebiet sei. Das ist natürlich
völliger Quatsch - und ein Fehler, den kein Konsul oder Oberstaatsanwalt je machen würde. Aber hacken wir auf der schlechten Recherche nicht zu lange herum. Wenn die Schlampereien nur in den Details liegen, kann man das verkraften. Sofern das große Ganze stimmt.
Und das tut es diesmal in München. Der Plot ist klug und wird angenehm schnell erzählt, die Figurenzeichnungen gelangen überraschend differenziert und nicht so grobschlächtig wie in anderen Folgen aus der jüngsten «Tatort»-Geschichte der bayerischen Landeshauptstadt. Nasir ist zwar ein stinkreicher Kotzbrocken, der kokst und pöbelt – und doch ist er zur (angenehm unprätentiösen) Selbstreflexion fähig, eine gebrochene Figur, die in all der ihr zustehenden Gesetzlosigkeit keine Freiheit findet. Michaela Scheffner ist keine devote, glupschäugige, unerfahrene Studentin in den Händen eines misogynen Arabers, sondern eine intelligente junge Frau, die zwischen die Fronten geraten ist. Batic und Leitmeyer verkommen da stellenweise fast zu zwei Comic-Relief-Hanseln, die teure arabische Teppiche in Asservatenkammern transportieren und sich in koksdurchseuchten Nachtclubs Espresso liefern lassen.
Und obwohl Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl da noch recht viel Nahbarkeit finden, stechen einem zwei andere Darsteller ins Auge: Yasin el Harrouk als Sohn des kumarischen Emirs und Morgane Ferru als Michaela Scheffner. Beide eint, dass sie in „Wüstensohn“ ihre jeweils erste TV-Rolle spielen – und beide will man schnellstmöglich wieder im Fernsehen sehen. Sowohl el Harrouk als auch Ferru überzeugen von ihrer ersten On-Screen-Minute an durch ein starkes Spiel ohne Übertreibungen, das mit den Klischees bricht, anstatt sie zu bestätigen, und das auch dort noch überzeugt, wo das Drehbuch zu sehr in vorhersehbare Muster verfällt. Denn letztlich sind es nicht all die dramaturgischen Hackenschläge durchs Diplomatengewirr, die den «Tatort» vom kommenden Sonntag interessant machen, sondern diese beiden Darsteller und ihre spannenden, klug und differenziert geführten Figuren.
Für die wandert man auch schon mal in extraterritoriales Gebiet.
Das Erste zeigt «Tatort – Der Wüstensohn» am Sonntag, den 14. September um 20.15 Uhr.