RTL muss sein Nachmittagsprogramm umbauen – und scheitert derzeit auf breiter Front. Jetzt rächt sich die fehlende Nachhaltigkeit. Ein Kommentar.
Es wird ein Leben nach Scripted-Reality geben. Auch bei RTL, obwohl der Laden gerade
an allen Ecken auseinanderfällt.
Weniger Krawall sollte es am Nachmittag sein, weniger Geschrei und Gekeife, alles irgendwie netter, einen Tacken lebensnaher und vielleicht auch ein bisschen exotischer als außer Kontrolle geratene Teenie-Mütter, maßlos überstilisierte Konflikte über auseinanderfallende Familien und schlecht erzählte Eifersüchteleien. «My Life in…», gewissermaßen der Versuch, Scripted-Reality weg vom Assi-Touch zu bringen, lief dann aber so unterirdisch, dass man in Köln nach zwei Tagen den Stecker zog und fortan weiter auf die lauten «Verdachtsfälle» setzt, die wiederum schon lange nicht mehr so gute Werte einfahren wie zu Boom-Zeiten.
Eine verfahrene Situation für RTL: Die Skandalschraube scheint im Scripted-Bereich so weit gedreht wie möglich. Und da Scripted-Reality zu einem beträchtlichen Anteil vom Skandal lebt, scheint der Zenit überschritten zu sein. Ob sich ein weiterer Soap-Hybrid im «Berlin – Tag und Nacht»-Stil etablieren lassen wird, wie RTL das mit seinen «Berlin Models» wohl für den Spätherbst plant, ist unter diesen Gesichtspunkten äußerst fraglich. Ein ehemaliger Boom-Sektor am Scheideweg: Quo vadis, Scripted-Reality? Wird dieses eigenartige Genre den Weg aller Krawall-Formate gehen und irgendwann ganz verschwinden?
Da bräuchte RTL für den Nachmittag zunächst einmal handfeste Alternativen. Die aber fehlen. Talk-Shows haben sich überholt, Gerichtsshows erst recht, eine tägliche Serie (abseits von Scripted-Reality natürlich) wäre verlockend, aber wahrscheinlich viel zu teuer und hoch riskant obendrein. Und die aktuellen Versuche einer Aufweichung beziehungsweise Umdeutung von Scripted-Reality und eines Schlenkers zu einem Dating-Format wie «Bei Anruf Liebe» sind auch nicht von Erfolg gekrönt.
Der Marktführer in spe bedient nachmittags eine andere Programmfarbe: Sitcoms.
Sitcoms.
Und noch mehr Sitcoms.
Stundenlang.
Die hat RTL nun so gar nicht im Portfolio.
Ein schwacher Trost: Auch ProSieben wird irgendwann mit denselben Problemen zu kämpfen haben, die RTL derzeit das Leben schwer machen. Nämlich dann, wenn der Nachmittagszuschauer alle Folgen von «Big Bang Theory» und «How I Met Your Mother» mitsprechen kann. Dann wird man auch in München vor den Trümmern eines einst erfolgreichen, boomenden Line-ups stehen, das in seiner horrenden Überdosierung aber nie auf Nachhaltigkeit ausgerichtet war. Ein Schelm, wer da an Scripted-Reality denkt.