In seiner neuen Komödie «Doktorspiele» versucht sich Regisseur Marco Petry an einer noch viel derberen Version des Publikumslieblings «Fack ju Göhte», mengt eine große Portion «American Pie» bei und hofft dann darauf, dass das Ganze zündet.
Filmfacts: «Doktorspiele»
- Kinostart: 28. August 2014
- Genre: Komödie
- FSK: 12
- Laufzeit: 96 Min.
- Kamera: Jo Heim
- Musik: Peter Horn, Andrej Melita
- Buch: Jan Ehlert, Marco Petry
- Regie: Marco Petry
- Darsteller: Merlin Ronse, Christiane Paul, Oliver Korittke, Jannis Niewöhner, Lisa Vicari, Max von der Groeben
- OT: Doktorspiele (D 2014)
Der erfolgreichste Film des vergangenen Kinojahres war «Fack ju Göhte», eine Brachialkomödie, die einen ungeschönten Blick hinter die modernen Umgangsformen der Jugend von heute liefert. Regisseur Bora Dagtekin, der nach dem Millionen-Erfolg rasch eine Fortsetzung bestätigte, verzichtete dabei jedoch auf oberflächliche Skizzierung und versüßte dem Publikum das Vergnügen mit dem Charme bodenständiger Pennälerkomödien, einer Prise Romantik und liebenswürdigen Figuren. Dem ebenfalls gern an deutschen Bildungseinrichtungen drehenden Marco Petry («Schule», «Die Klasse von ‘99») schienen die im Minutentakt von sich gegebenen Vulgaritäten dabei vornehmlich im Gedächtnis geblieben zu sein. Anders ließe es sich kaum erklären, weshalb sich die Dialoge sämtlicher Charaktere in seinem vielfach verschobenen Projekt «Doktorspiele» auf Schwanzgags und Beleidigungen beschränken, die sich - im wahrsten Sinne des Wortes - ganz tief unterhalb der Gürtellinie abspielen. Ohne den persönlichen Backround und das Timing eines «Fack ju Göhte» aufzubauen und in Ermangelung fulminanter Darstellerleistungen wie die einer Jella Haase alias Chantal ist Petrys Beitrag zum modernen Jugendkino nicht mehr als eine lieblose Stereotypenparade, dargeboten von einer Handvoll Unsympathlingen.
Der schüchterne Andi (Merlin Rose) ist in Katja (Ella-Maria Gollmer) verliebt, doch die macht Bobby (Jannis Niewöhner) schöne Augen. Und nachdem Andi den gut bestückten Bobby unter der Dusche gesehen hat, sieht er seine Chancen bei Katja rasant schwinden. Denn aus den Pornos seines Kumpels Harry (Max von der Groeben) weiß er, dass nur die Größe zählt. Andi aber schleppt seit einem "Doktorspiel" in seiner Kindheit ein "Sooo klein!"-Schniepeltrauma mit sich herum. Dann taucht ausgerechnet die Verursacherin seiner Selbstzweifel, seine süße Sandkastenfreundin Lilli (Lisa Vicari), nach zehn Jahren auf und bringt alles durcheinander. Als Katja plötzlich auch noch Interesse an Andi zeigt, ist das Gefühlschaos aus Sex und Liebe perfekt…
Die deutsche Jugend raucht, trinkt und gibt sich immer früher dem Geschlechtsverkehr hin. So oder so ähnlich versuchen es uns Tag für Tag die Medien weiszumachen und die Teenie-Komödie «Doktorspiele», die ursprünglich bereits im März dieses Jahres in die deutschen Kinos kommen sollte, unterstreicht diese Behauptung mit zynischem Genuss. Auch wenn es fraglich ist, dass Filmemacher Marco Petry tatsächlich mit diesem Hintergedanken an die 31 Tage andauernden Dreharbeiten heranging, so ist das Ergebnis ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich bemühen, das Image der heranwachsenden Generation aufzupolieren. Zwar erweist sich der Plot um den mit Komplexen gesegneten Andi als hoffnungsvoller Grundstein einer Geschichte um Toleranz und das Erwachsenwerden, doch die Inszenierung, insbesondere die Herausarbeitung diverser Dialoge, lässt «Doktorspiele» in einem wenig glanzvollen Licht erstrahlen. Gemeinsam mit Drehbuchautor Jan Ehlert («Blutzbrüdaz») schrieb Petry ein Drehbuch, dessen Berechenbarkeit unter all den Pöbeleien und Fäkalwörtern noch das geringste Problem ist. Anders als im vielzitierten «Fack ju Göhte», dessen Sprüche sich hierzulande gar einen gewissen Kultstatus erarbeiten konnten, nutzt „Doktorspiele“ seinen brachialen Wortschatz nicht zum Hervorheben verschiedener Konflikte oder dem Aufbau dramatischer Fallhöhen, sondern lässt schlicht und ergreifend überhaupt keine Daseinsberechtigung erkennen. Merlin Rose («Feuchtgebiete»), Max von der Groeben («Das Leben ist nichts für Feiglinge») und Jannis Niewöhner («Saphirblau») werfen sich nach Lust und Laune allerhand unverblümtes Vokabular an den Kopf. Während sich unter den drei Darstellern so immerhin eine nett anzusehende Bromance-Dynamik entwickelt, mühen sich die Damen in unerträglichem Overacting (Lisa Vicari in der Rolle der Zicke Lilli gibt eine unsägliche Darstellung zum Besten, die allenfalls am Schultheater der achten Klasse angebracht wäre). Einzig Ella-Marie Gollmer («Vorstadtkrokodile 3») gefällt als zum Liebhaben niedliches Love Interest von Andi.
Hat man sich an den deftigen Wortschatz der Teenies gewöhnt, treten die anderen Schwächen von «Doktorspiele» aus seinem Schatten. Neben der Story, deren Ausgang im Detail auch für weniger Genre-erfahrenes Publikum stets zehn Minuten vor jeder Szene zu erraten ist, verärgern vor allem die um Effekt bemühten Logiklöcher. Wenn etwa eine Szene in Andis Bad dazu dient, den Teenie beim Masturbieren zu erwischen, lässt der Regisseur seinen Protagonisten zusammenhanglos auf dem Rand der Badewanne stehen; bloß, damit dieser schließlich den Badezimmerschrank von der Wand reißt und die Familie durch den Lärm auf ihn aufmerksam wird. Derart grobmotorisch und von komödiantischem Timing überfordert, verhält es sich mit allem, was Petry wohl unter dem Oberbegriff „Humor“ versteht. Ungeachtet dessen, dass manch ein Gag im Bereich des Slapstick tatsächlich funktioniert und die stimmige Chemie unter den Darstellern dazu beiträgt, dass nicht sämtliches komödiantische Potenzial gegen die Wand gefahren wird, ist «Doktorspiele» für eine Comedy-Produktion zu bemüht, um schlussendlich zu überzeugen. Unterstrichen wird dieses bewusste In-Form-Pressen durch die technische Gestaltung. Die Komponisten Peter Horn und Andrej Melita («Irre sind männlich») lassen stur den ewig gleichen Sound derselben Eletrobeats über das Leinwandgeschehen dröhnen. Gemeinsam mit den auf hip getrimmten, hypermodern gefilmten Bildern von Jo Heim («Männerherzen»), die von grellen Farben und schnellen Schnitten geprägt sind, stellt sich auch hier rasch ein Gefühl der Übersättigung ein.
Thematisch im Bereich des Coming-of-Age-Filmes angesiedelt, verzichtet «Doktorspiele» selbstredend nicht auf in die Story eingebettete Dramatik; bevorzugt innerhalb der männlich-weiblichen Paarungen. Max von der Groeben gibt als über alle Maße naiver Vollidiot noch die authentischste Leistung ab. Wenn sich seine Porno-Welt mit der Realität vermischt, ergeben sich einige herrliche One-Liner. Zusammen mit Merlin Rose, der nicht weniger in die Rolle des zurückhaltenden Spätzünders passt, lässt Marco Petry seine Darsteller immer wieder bewusst über die Strenge schlagen. Manchmal ergibt sich hieraus ein zwangloses Gefühl der Improvisation. Dann wiederum finden die Schauspieler nicht zum Schluss und vergeben diverse Chancen auf zündende Pointen. Das Skript zu «Doktorspiele» ist voll von humoristischen Rohrkrepierern; offenkundig kann sich Marco Petry nie dafür entscheiden, ob er seine Charaktere nun ins offene Messer laufen, oder die schützende Hand über sie halten soll. Auch das obligatorische Happy End entfaltet vor der Beliebigkeit im Handeln sämtlicher Figuren keinerlei Emotionen. Was der Zuschauer sieht, sind ausschließlich die Darsteller, welche die vom Skript geforderten Dialogzeilen abspulen. Für wahre Gefühle fehlt es sämtlichen Figuren an einem erkennbaren Profil. So genießen sie allenfalls den Status gängiger Klischee-Figuren, denen glaubhaftes Handeln fern liegt.
Fazit: «Doktorspiele» versucht, auf der Welle von derb-humoristischen Jugendkomödien mitzureiten, doch das Ergebnis ist ein unausgereiftes und liebloses Beispiel dafür, weshalb die deutsche Komödie hierzulande so ein schlechtes Image hat.
«Doktorspiele» ist ab dem 28. August in den Kinos zu sehen