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Der Skandalfriedhof: Blamieren oder manipulieren

Christian Richter erinnert an Aufreger im Fernsehen, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 297: Der größte Show-Betrug der amerikanischen Fernsehgeschichte.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir ausnahmsweise nicht eines deutschen Ereignisses, sondern der realen Vorlage zu Robert Redfords Kinofilm «Quiz Show».

"Der Quizshow-Skandal" nahm am 12. September 1956 seinen Lauf, als der US-Kanal NBC seine neue Ratesendung «Twenty-One» erstmals ausstrahlte, um mit ihr ein Gegengewicht zur erfolgreichen CBS-Produktion «The $64,000 Question» zu bilden. Anders als bei der Konkurrenz war die maximale Gewinnsumme darin nicht beschränkt, wodurch es theoretisch möglich war, unendlich viel Geld zu gewinnen. Der Champion einer Ausgabe durfte nämlich in der darauffolgenden Woche erneut antreten und noch mehr Geld gewinnen. Solange ein Mitspieler also siegreich blieb, konnte er seine Prämie von Woche zu Woche steigern

Einer der ersten Kandidaten, dem dies mehrfach gelang, war ein gewisser Herb Stempel, der den Zuschauern als armer Militär-Student vorgestellt wurde. Er gewann über einen Zeitraum von fast zwei Monaten nicht nur eine Gesamtsumme von knapp 70.000 Dollar, sondern mit seinem unscheinbaren Aussehen und seiner Underdog-Geschichte auch die Herzen des amerikanischen Publikums. Am 28. November 1956 traf er aber zum ersten Mal auf seinen Herausforderer Charles Van Doren, der sich als ein widerspenstiger Gegner herausstellte. Weil ihre Spielrunden immer wieder in einem Unentschieden endeten, duellierten sich die beiden Kontrahenten über mehrere Wochen. In einer Zeit, in der die allgemeine Verbreitung von Fernsehapparaten noch gering war, kletterten die Sehbeteiligungen von «Twenty-One» mit 15 Millionen Menschen auf rekordverdächtige Werte an. Dabei verlagerten sich jedoch im Verlauf der Wochen die Sympathiewerte der Kandidaten zugunsten von Herausforderer Van Doren, dem am Ende die meisten Zuschauer die Daumen drückten.

Dann endlich im Januar 1957, nach einem wochenlangen Nervenkrieg, folgte die dramatische Entscheidung. Stempel hatte die Aufgabe zu lösen, welcher Kinofilm im Jahr 1956 den Oscar als besten Film gewann und antwortete «On The Waterfront» (dt. Titel: «Die Faust im Nacken»). Die richtige Antwort wäre allerdings «Marty» gewesen, sodass Stempel letztlich verlor und der neue Publikumsliebling Van Doren triumphierte.

Daraufhin wandte sich der unterlegene Stempel an einen Journalisten und behauptete, er sei zu seiner Niederlage gezwungen worden, weil man sich mit Van Doren einen höheren Zuspruch beim Publikum erhofft hatte. Dies wurde insbesondere in der Tatsache deutlich, dass er die entscheidende Frage zum Film «Marty» nicht korrekt beantworten konnte, obwohl es sich dabei um seinen absoluten Lieblingsfilm gehandelt hätte. Doch seine Aussage stieß auf wenig Gehör, weil man ihn schlicht für einen schlechten Verlierer hielt. Parallel begann Van Doren bei «Twenty-One» eine neue Siegesserie, welche die von Stempel sogar noch übertrumpfen konnte. Letztendlich verließ er das Programm am 11. März 1957 mit einem Gesamtgewinn von 129.000 US-Dollar, was einer heutigen Summe von etwa einer Millionen Dollar entsprach. Seine Beliebtheit war mittlerweile derart gewachsen, dass er auf der Titelseite des amerikanischen Time Magazine prangte und dort als „klügster Mann der Welt“ bezeichnet wurde. Zudem erhielt er das Angebot, als Moderator für die populäre «Today Show» zu arbeiten.

In den nachfolgenden Monaten setzten die erfolgreichen Quizshows ihren Siegeszug beim US-Publikum fort und brachten immer neue Varianten hervor. Darunter befand sich auch die Ratesendung «Dotto», die ab Januar 1958 ebenfalls um die Gunst der Zuschauer buhlte. Im Mai entdeckte dann bei den zugehörigen Aufzeichnungen der Reserve-Kandidat Ed Hilgemeyer das Notizbuch einer weiteren Mitspielerin, in der sämtliche On-Air verwendeten Fragen sowie die entsprechenden Antworten aufgelistet waren. Als diese Nachricht schließlich in die Öffentlichkeit gelangte und für ein großes Aufsehen sorgte, erinnerte man sich wieder an die Anschuldigungen von Herb Stempel.

Verständlicherweise stritten die betroffenen TV-Anbieter, Produzenten und Teilnehmer die Vorwürfe zunächst ab, weil sie um ihre Glaubwürdigkeit fürchteten. Darunter befand sich auch Van Doren, der genauso leugnete in mögliche Manipulationen involviert gewesen zu sein. Durch das hartnäckige Schweigen aller Beteiligten gestaltete sich die offiziell eingeleitete Untersuchung als äußerst schwierig. Die ausschlaggebende Wende lieferte schließlich der «Twenty-One»-Kandidat James Snodgrass. Er hatte sich die ihm von der Redaktion zugeschobenen Antworten zur Sicherheit als Einschreiben selbst zugeschickt, was einen derart eindeutigen Beweis darstellte, dass selbst van Doren sein Mitwirken an der Schummelei zugeben musste.

Im Rahmen der Ermittlungen wurde offenbart, dass nahezu der komplette Ablauf von «Twenty-One» so gesteuert wurde, dass stets die sympathischsten Personen gewannen. Dies traf ebenso auf Herb Stempel zu, der seine Erfolge durch eine Abmachung mit den Produzenten sichergestellt hatte. Mehr noch, weil man glaubte, mit einem unterschätzten Verlierer bessere Einschaltquoten erzielen zu können, änderte man selbst sein Aussehen und seine komplette Biografie. Aus dem wohlhabenden und verheirateten Lehrer wurde auf diese Weise ein mittelloser, ehemaliger Soldat, der sich sein Studium kaum leisten konnte. Außerdem wurde er darauf trainiert, wie man sich am glaubwürdigsten während der Aufzeichnung zu verhalten hat. Diese Eingriffe hätten zunächst den gewünschten Erfolg gebracht und die Quoten steigen lassen, als das Publikum dann jedoch von seinen ewigen Erfolgen gelangweilt war, stellte man Van Doren bewusst als Gegenspieler auf und erpresste Stempel, die «Marty»-Frage falsch zu beantworten. Lediglich die allererste Ausgabe von «Twenty-One» wäre laut des damaligen Produzenten Dan Enright nicht getürkt gewesen. Da diese aber wenig Dramatik und nur niedrige Quoten aufbot, hätte der Sponsor Pharmaceuticals Inc. das Team zu Verbesserungen gedrängt, die letztlich in der vollständigen Manipulation des Konzepts gipfelten.

Doch «Twenty-One» und «Dotto» blieben nicht die einzigen Formate, bei denen Ungereimtheiten bekannt wurden. Wie sich bald herausstellte waren bei «For Love or Money» die Geräte so programmiert, dass der Gewinn möglichst gering gehalten wurde. In den Produktionen «The Big Surprise» und «Name That Tune» wurden während der Show einfach die gleichen Fragen wie im Casting gestellt. Und den beliebtesten Teilnehmern von «The $64,000 Question» wurden schlicht nur solche Rätsel gestellt, die aus ihren jeweiligen Fachgebieten stammten. Zuletzt behauptete ein Verantwortlicher von «Tic Tac Toe», dass in Dreiviertel aller Quizshows getrickst wurde. Auch er musste zugeben, dass in seiner Sendung den Kandidaten die korrekten Antworten im Voraus bekannt waren. Trotz des großen Ausmaßes der Betrügerein folgten kaum rechtliche Folgen für die Beteiligten. Denn wie ein Gericht feststellte, gab es aufgrund der Tatsache, dass die amerikanischen Zuschauer keine Fernsehgebühren zahlen mussten, für niemanden einen materiellen Schaden.

„Der Quizshow-Skandal“ endete schließlich im Herbst 1958 als zunächst «Dotto», später «Twenty-One» und schließlich «The $64,000 Question» wegen der negativen Schlagzeilen kurzerhand abgesetzt wurden. Die Branche musste noch lang an dem entstandenen Misstrauen knabbern, weswegen selbst das Wort „Quizshow“ aus dem Sprachgebrauch verschwand und durch den Begriff „Gameshow“ ersetzt wurde. Zudem führte man für alle zukünftigen Formate Höchstgewinngrenzen und eine maximale Anzahl an Teilnahmen ein. Obwohl diese Regelungen über die Jahre wieder aufgeweicht bzw. angehoben wurden, gelten sie noch immer. Übrigens, das Format «Twenty-One» wurde auch vom deutschen Fernsehen adaptiert; zunächst zwischen 1958 bis 1969 mit dem Namen «Hätten Sie's gewußt?» mit Heinz Maegerlein, bevor es RTL unter dem Titel «Einundzwanzig» mit Hans Meiser als Moderator noch einmal wiederbelebte. Manipulationsversuche sind bei den deutschen Versionen nicht bekannt.

Die nächste Ausgabe des Skandalfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einem im Fernsehen übertragenen Selbstmord.
31.07.2014 11:05 Uhr Kurz-URL: qmde.de/72086
Christian Richter

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