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Die Unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von 360 Grad

Julian Miller war nie ein Fan des «NeoMagazins». Die «Unwahrscheinlichen Ereignisse...» haben ihn dagegen restlos überzeugt. Eine persönliche Bestandsaufnahme.

Es gibt wenige Fernsehbusiness-Beobachter, die mit dem «NeoMagazin» nichts anfangen können. Ich bin einer von ihnen. Das soll keine Kritik an dem Format sein: Es ist handwerklich zweifellos hervorragend gemacht und ich kann nachvollziehen und anerkennen, wieso es von einer Vielzahl meiner kompetenten und geschätzten Kollegen an der Speerspitze deutscher Fernsehunterhaltung verortet wird. Ich will ihnen da auch nicht widersprechen; eine Qualitätsdebatte wäre hier vollkommen fehl am Platz. Deshalb an dieser Stelle eine rein subjektive Geschmacksdebatte:

Ich finde das Format viel zu gezwungen, zu forciert und zu platt. Es beschränkt sich mit wenigen Ausnahmen auf seine Eigenschaft als Metafiction-Porno, auf die Persiflage der Persiflage der Persiflage der Persiflage, mit Böhmermann als der Konterkarierung der Konterkarierung der Konterkarierung eines Moderators, der als einzige Haltung hat, dass er keine Haltung hat. Auf die Dauer ist das aber ein bisschen wenig, das Konzept läuft sich schnell tot, weil hinter der Metafiction-Ebene nur eine frustrierende Leere zu finden ist: „Sieh’s mal Neo“ und die Selbst-Persiflage im Stile von „Das Internet wird sich nicht durchsetzen“. Joa, nö.

Ich bin also keiner der vielen Lobhudler, die die Bildundtonfabrik in der Branche hat. Das soll nicht falsch verstanden werden: Ich habe dem Produktionshaus seine Erfolge immer gegönnt, weil ihre Formate zweifelsfrei neue inhaltliche Wege gehen und in festgefahrenen Senderstrukturen Grenzen austesten. Aber meinen Geschmack haben Philipp Käßbohrer und Matthias Schulz mit der Ausnahme von «Roche & Böhmermann», das jenseits all der satirischen Elemente als intelligente Talk-Show funktioniert hat, eher selten getroffen.

Ich bin also sehr skeptisch gewesen, als ich von der Idee zu «Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von…» gehört habe. Zwar hat man sich bemüht, die Erwartungen an eine Art „deutsches «SNL»“ zu dämpfen, indem man richtigerweise kommunizierte, dass es vermessen wäre, sich mit dem nun fast vierzig Jahre laufenden US-Format zu vergleichen. Doch viele konzeptuelle Ähnlichkeiten waren schlicht nicht von der Hand zu weisen. Und so kam in mir die Befürchtung auf, dass die vielgelobte Bildundtonfabrik sich hier endgültig verheben könnte.

Vollkommen unbegründet, wie ich jetzt nach der ersten Ausgabe weiß. Denn so viel Leidenschaft, die nicht nur im selbstbesoffenen Social-Media-Affin-Sein kulminiert, so viel Witz und Know-How, ohne sich an festgefahrene Sehgewohnheiten anzubiedern, habe ich in den vergangenen Jahren im deutschen Fernsehen kaum gesehen. Natürlich hat nicht jeder Gag gezündet, nicht jeder Sketch ist ein Schenkelklopfer gewesen. Aber das ist völlig wumpe. Das Format ist auf dem richtigen Weg, es hat den richtigen Riecher für intelligenten, relevanten und, ja, auch anarchischen Humor.

Natürlich wäre der Vergleich mit «SNL» vermessen: Das läuft seit vier Jahrzehnten bei einem der größten Broadcaster der Welt und hat einige der größten Namen des globalen Comedy-Geschäfts hervorgebracht. Aber eine Gegenüberstellung der Anfangssituation mit jener der «Unwahrscheinlichen Ereignissen…» ist vielleicht doch nicht ganz verkehrt: Lieber unbekanntere Namen aus den Kaschemmen als vermeintlich große Faces, die einem solchen Ensemble-Format einen zu großen Stempel aufdrücken würden. Lieber wechselnde Hosts, als sich auf eine ganze Season lang auf einen einzigen Star zu verlassen. Lieber amerikanisch-lässig als deutsch-verkopft-durchstrukturiert. Lieber edgy als Massengeschmack. Lieber „Machen wir mal“ als „Wir müssen aber auch“. Lieber anarchisch-innovativ als bieder-vorhersehbar-risikolos.

Und obwohl „anarchisch-innovativ“ eine treffende Beschreibung ist, ist diese Phrase – anders als bei «NeoMagazin» – nicht die alleinige USP. «Die unwahrscheinlichen Ereignisse» funktionieren nicht nur in ihrer Konterkarierung des Fernsehens, durch zahlreiche Brancheninsider-Gags und das ständige Persiflieren von sich selbst als konzeptuellem Pfeiler: Es funktioniert als intelligente, ansprechende Sketchcomedy auf der Höhe der Zeit.
25.07.2014 12:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/72050
Julian Miller

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