Anlässlich des WM-Finales darf Kinokolumnist Sidney Schering mit fiktiven Freunden ein frei erfundenes Gespräch über Fußball und Fußballfilme führen.
Unser Kinokolumnist freut sich, dass endlich das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft angebrochen ist. Nicht, weil er den Kick um den Pokal herbeisehnt. Sondern weil er danach nicht mehr gefragt wird, wieso er nicht verdammt nochmal mehr Begeisterung für die WM aufbringt. Zur Feier dieses Ereignisses klaut er eine Idee seines Kollegen Julian Miller und skizziert ein fiktives, seiner Ansicht nach aber total realistisches Gespräch. Viel Spaß!
ROWDY, der im Trikot herumstolzierende Superfan: Wuhuuu! Heute ist Finale! Schlaaaand! Leonard, sogar du musst unsere Jungs da doch anfeuern?!
LEONARD, der schlecht getarnte Avatar des Autoren dieser Zeilen: Ähm. Nein.
ROWDY: Was? Bist du etwa gegen uns? Einfach nur, um uns den Spaß zu verderben?
LEONARD: Ruhig, ruhig! Ich habe nur gesagt, dass ich Deutschland nicht anfeuere. Das bedeutet nicht, dass ich für die andere Mannschaft bin. Es ist mir einfach egal.
JONATHAN, der Gelegenheitsfan, der eine schwarz-rot-gelbe Blumenkette trägt: Aber wie kann man sich denn dem ganzen Trubel verschließen? Du machst dir damit doch alles kaputt. Schließe dich doch an, und sei es nur, um Spaß zu haben.
LEONARD: Willst du damit sagen: 'Alle finden es toll, also sei kein Spielverderber und finde es auch toll?' Denn dann kann ich dir ganz klar sagen: Ich finde den Sport einfach nicht spannend, ich finde die Taktiken und Mechanismen des Sports nicht packend. Und kann daher nicht mitfiebern.
JONATHAN: Nein, nein. Schon in Ordnung. Ich weiß zwar nicht, wie man Fußball nicht spannend finden kann, aber meinetwegen. Aber wieso findest du die WM scheiße?
LEONARD: Ich finde sie nicht scheiße, ich nehme nur nicht an ihrem Kerninhalt teil: Dem Gebannt-Fußball-gucken. Wenn Freunde ein Vier-Gänge-Menü mit Speisen aus den Nationen kochen, die im Spiel um Platz drei gelandet sind, und das nebenher (!) laufen lassen, und diese Freunde mich zudem einladen, dann sag ich: „Mjam, Essen. Und Menschen, die ich mag! Klasse!“
ROWDY: Ist doch voll doppelzüngig.
LEONARD: Nein. Stell dir vor, deine Freundin würde aus der Kirche austreten. Dürfte sie dann nicht mehr mit dir und deiner Familie am Weihnachts-Festessen teilnehmen?
ROWDY: Ähm ..? Naja. Okay ...
JONATHAN: Und wieso freust du dich auf das Ende der WM, wenn dir der Sport eigentlich egal ist?
LEONARD: Weil ich das Gefühl habe, dass viele Leute im Freudentaumel jene nicht mehr für voll nehmen, die sich nicht mitreißen lassen.
JONATHAN: Aber was alles hat das nun mit Kino zu tun? Ich dachte, wir sollen hier wem helfen, eine Kinokolumne zu schreiben?
LEONARD: Es gibt viele Filme über Verständigungsprobleme, Akzeptanz, Toleranz … Und das hier ist eine Frage, die exakt diese Themen behandelt. Also … äh …?
JONATHAN: Sehr dünne Erklärung. Sehr dünn!
LEONARD: Nein, nein. Sie geht schon in Ordnung. Denn: Mein Vorschlag wäre es, darüber Mal einen Film zu machen. Dass ein Fußballmuffel lernen muss, sein Desinteresse zum Sport im Zaum zu halten, ehe er in Hass umkippt. Währenddessen muss eine Fußballbegeisterte lernen, bei allem WM-Jubel nicht in blinde Hassparolen gegen Menschen zu kippen, die andere Interessen haben. Und Halt zu machen, ehe sie durch all diese „Schließe dich uns an!“-Gruppendruck-Mechanismen andere Menschen verletzt. Das wäre endlich ein guter Fußballfilm.
ROWDY Waaaas?!
JONATHAN: Wie bitte?
LEONARD: Es gibt bisher keinen guten Fußballfilm. Entweder sind sie voller Selbstbeweihräucherung, dass Fußball das Geilste überhaupt sei und haben sonst nichts zu bieten. Oder sie sind halt einfach nicht gut.
ROWDY: «Deutschland. Ein Sommermärchen»?
LEONARD: Das ist doch nie im Leben ein
Film. Das ist keine Doku über die Stärken und Schwächen der WM 2006. Es ist nicht einmal eine filmische Abbildung des Phänomens der WM im eigenen Land. Das ist … das ist einfach nur das überlange Homevideo einer Nation im schwarz-rot-goldenen Farbrausch. Es ist so, als wäre man zum Fotogucken bei Fremden eingeladen, die ihre Schnappschüsse vorzeigen, die sie von ihrer Hochzeitsreise gemacht haben. Obwohl sie eher mittelmäßige Fotografietalente sind. Ohne emotionale Bindung zu diesen Menschen passiert da nichts. Diese „Doku“ hat keinerlei Eigenqualitäten, sie erklärt nichts. Okay, sie will nichts erklären. Aber sie bemüht sich nicht einmal, das von ihr angebetete Thema aus einer faszinierenden Perspektive einzufangen und ihr so Tribut zu zollen, vielleicht sogar etwas Neues abzugewinnen. Sie zeigt nur „Jo. Das gab es.“ Der Knackpunkt ist nur: Alle Fußballfans sind enge Freunde dieses Fotos zeigenden Paares und bringen daher ihre zuvor erschaffene emotionale Bindung mit. Oder so. Meine Metapher stolpert langsam.
ROWDY: Überzeugt mich nicht.
JONATHAN: Und «Das Wunder von Bern»?
LEONARD: Nimm den Fußball weg und ersetze ihn, öh, durch die Produktion von Tiefkühlfischstäbchen. Ist der Film noch immer interessant?
JONATHAN: Nein. Das Thema juckt mich nicht.
LEONARD: Siehst du? Dabei ist Fußball nur eine Randerscheinung in dem Film. Der Köder, um den Zuschauer anzulocken. Die wahre Handlung ist eine ganz andere, es geht um die zentrale Familie innerhalb der Story. Bloß sind die Figuren überzeichnet, die Musik pathetisch und die Erzählweise kitschig-melodramatisch. Aber es kommt halt Fußball drin vor.
JONATHAN: Naja, meinetwegen.
LEONARD: Wobei. Mir fällt ein Fußballfilm ein, der in Ordnung ist. Die Komödie «Männer wie wir». Lustigerweise behandelt die, meinem Vorschlag ähnelnd, das Thema Akzeptanz. Darin tritt ein schwuler Fußballer gegen seine intoleranten Freunde an und zeigt mit einer rein schwulen Mannschaft, das Sexualität nichts mit sportlichem Können oder Durchsetzungsvermögen zu tun hat. Fußball ist hier also ebenfalls das Ablassventil für die Kernhandlung, wobei die Wahl des Sports hier gleichzeitig elementarer ist, mehr mit den Figuren zu tun hat, als beim «Wunder von Bern».
JONATHAN: Ha, haben wir also eine positive Sache gefunden, die du heute über Fußball sagen kannst?!
LEONARD: Naja. Perfekt ist der Film natürlich nicht. Er spielt bewusst und ironisch mit Schwulenklischees und dabei rutscht er dann und wann leider aus. Und der Spannungsbogen, naja, der bewegt sich auf dem Niveau, das man von einer Sportkomödie erwarten kann. Dennoch … Ja, der Film ist charmant.
ROWDY: Wunderbar. Dann machen wir jetzt Schluss, ehe dir noch mehr Gemecker über unseren Sport einfällt!
SIDNEY, der Kolumnist: Hey, das ist
meine Kolumne.
Ich sage, wann Schluss ist.
ROWDY: Nö. Heute nicht. Dieser Tag gehört uns.