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Fußball-WM: Die Kunst hinter der Kamera

Wir Fans vor den Fernsehern erleben bei der Weltmeisterschaft derzeit wieder perfekte Bilder, verschiedenste Kameraperspektiven, technische Innovationen. Über die Inszenierung des Fußballsports als Hightech-Event und über das, was hinter der Kamera passiert…

Vom ästhetischen Ballsport zur ästhetischen Übertragung

Wichtigste technologische Neuerungen der FIFA WM 2014

  • Highspeed-Torkameras (Goal Line Technology, 500 Bilder/sek.)
  • Apps: Live-Spiel aus mehreren Kameraperspektiven frei wählbar
  • Apps: Bis zu 20 Kameraperspektiven für alle Spiel-Highlights
  • Drei Spiele + offizieller WM-Film werden in 4K-Auflösung produziert
Er wird auch das ‚schöne Spiel‘ genannt: Der Fußballsport ist vielleicht gerade deshalb faszinierend, weil er ästhetische Höchstleistungen mit bodenständiger Kraftarbeit verbindet, das wunderschöne Solo-Dribbling mit der dreckigen Blutgrätsche. In den vergangenen Jahren hat die Ästhetik, die schöne Seite des Spiels immer mehr Beachtung gefunden, selbst Ruhrpott-Clubs wie Borussia Dortmund fanden über hübsch anzusehenden Kombinationsfußball neue Fans, die gerade nicht den reinen, pragmatischen Arbeiterkick schätzen.

Gleiches gilt für die deutsche Nationalmannschaft, die jahrzehntelang in der Welt nicht für ihr schönes Spiel geschätzt wurde, sondern eher für die vermeintlich deutschen Tugenden wie Wille und Kampfgeist. Bundestrainer Löw ist Verfechter der neuen Philosophie des schönen Ballsports, mit dem erst die Sommermärchen kamen und mit dem die kollektive Fan-Euphorie seit 2006 neue Höhepunkte erreichte. Löw selbst sagte gegenüber dem Magazin „11 Freunde“ nach dem verlorenen EM-Halbfinale 2012: „Wir haben es zwar nicht geschafft, den Titel zu gewinnen, aber die Mannschaft hat gut, ja attraktiv gespielt, ist in Ihrem Auftreten sympathisch gewesen und sie hat Emotionen geweckt. Die Leute sagen: Uns gefällt das, wie ihr spielt. Und nicht: Spiel war schlecht, aber wir haben halt gewonnen. Das ist mir wichtig.” Wer nicht schön spiele, könne heute keinen Titel mehr gewinnen, ist Löw fester Überzeugung.

Die Ästhetik des Fußballs ist im heutigen Hightech-Umfeld noch besser zu erleben, noch besser zu genießen: Über hochauflösende Bilder transportieren sich mehr Eindrücke, es werden mehr Details erkannt und damit auch die Spielzüge im Detail. Wunderschöne Dribblings von Kreativfußballern wie Mario Götze oder Marco Reus sind erst in Superzeitlupe in ihrer ganzen Größe zu genießen, und taktische Raffinessen sind zu erkennen durch Standbilder, Bild-Rotationen oder neue Kameraperspektiven. Regie-Legende Dominik Graf bezeichnete die modernen Übertragungen auch einmal als „Heroisierung von körperlicher Leistung durch Kamerabewegung gehobener Klasse.“

Bei dieser Weltmeisterschaft wird sogar der Fan zu seinem eigenen Regisseur: Über die Internetangebote der Sender ARD und ZDF lassen sich die Höhepunkte der Spiele aus 20 Kameraperspektiven ansehen, darunter beispielsweise auch aus einer statischen Hintertor-Kamera, über die sich taktische Spielzüge hervorragend nachvollziehen lassen. Der Broadcaster der FIFA WM 2014, der alle Kamerabilder der Spiele liefert, hat diese Second-Screen-Angebote eigens vorangetrieben und stellt Server bereit, von denen die zahlreichen Kameraperspektiven sehr schnell nach der eigentlichen Szene weltweit abgerufen werden können.

Der Ball in neuen Dimensionen? 4K und 3D
Damit alle Bilder ruckelfrei und hochpräzise beim Zuschauer ankommen, sitzen die Kameramänner in festen Sitzsystemen, die mit den Kameras verankert sind und geschmeidige Schwenks zulassen. Ausrüster dieser Kamerasitzsysteme für die FIFA WM 2014 ist die deutsche Firma Orbiter.tv. Geschäftsführer Roberto Pintore beobachtet die Entwicklungen in der Live-Produktion seit Jahren, er sagt: „Der gesamte technische Aufwand und die Raffinesse bei der Verarbeitung der produzierten Signale hat stark zugenommen, ebenso die Expertise der beteiligten Mitarbeiter, wodurch auch der Output des eingesetzten Equipments nochmals gesteigert wird. Heutzutage kann man zum Beispiel mit weniger Kameras ein besseres Gesamtergebnis produzieren als noch vor zehn Jahren, weil die verfügbaren Einstellungen spektakulärer sind und regieseitig Möglichkeiten existieren, die aus dem generierten Material ein Maximum heraus holen. Hier sind Steadicams und Intor-Kameras Standard, jedoch brachten fliegende Kameras, Highspeed-Kameras und höchstauflösende Kameras neue Bildeindrücke.“ Mit letzteren meint Pintore die Kameras in 4K-Auflösung, für die während der WM-Spiele bereits massiv geworben wird. Drei Begegnungen lässt die FIFA in 4K – also der ungefähr vierfachen HD-Auflösung – produzieren, je ein Achtel- und Viertelfinale sowie das Endspiel.

Ob sich die neue Ultra-Hochauflösung jedoch breit durchsetzen wird, ist fraglich, zumal in den vergangenen Jahren bereits schon einmal auf eine neue TV-Technologie gesetzt wurde, welche die Erwartungen nicht erfüllen konnte: 3D. Die dreidimensionale Produktion brachte vor allem bei Live-Übertragungen einen deutlichen Mehraufwand mit sich, die Produktion musste umgestellt werden. Denn schnelle Schwenks oder Nahaufnahmen sind in 3D unattraktiv, alternative Kameraeinstellungen werden häufiger eingesetzt. Kurz: 3D erforderte im Live-Fußball eine stark veränderte Bildregie. Mit dem 3-D-Operator braucht es sogar eigens geschulte Mitarbeiter, um eine reibungslose Übertragung zu gewährleisten. „3D hat es beim Fußball – bis jetzt – leider nicht geschafft, wäre aber ein wirklicher Gewinn für den Konsumenten“, sagt Roberto Pintore. „Dem entgegen steht aber der sehr hohe Aufwand bei der Produktion und die Tatsache, dass beim Verbraucher relativ kurz nach Einführung von HD-TV noch zu wenige Endgeräte stehen, die 3D zeigen können.“ Die Innovationszyklen seien schlicht zu kurz. Denn viele Haushalte können oder wollen sich nach HD-Flachbildgeräten nicht so früh wieder einen neuen Fernseher anschaffen. Vielleicht findet 3D durch die Hintertür trotzdem noch eine breite Marktdurchdringung, weil ein 3D-Feature in den meisten ultra-hochauflösenden Fernsehern gleich mitgeliefert wird. Vorausgesetzt, dass diese in Zukunft breite Akzeptanz finden.

Größer, detaillierter, hochauflösender


Für die kommenden Jahre wird es bei Fußball-Übertragungen weitere Innovationen geben, die dem Fernsehzuschauer einen Mehrwert bieten, glaubt Pintore. Darunter befinden sich „neue Kameraeinstellungen, neue Bildqualitäten und weitere Möglichkeiten entstehend aus dem Workflow im Ü-Wagen, eventuell höchst aufgelöste Highmotion-Kameras, die neue Details zeigen, die aufgrund von Entfernung und Bewegungsgeschwindigkeit sonst unsichtbar sind.“ Auch die Kamerasitzsysteme von Orbiter.tv spielen bei der Entwicklung neuer Bildeindrücke eine wichtige Rolle, sind sie doch quasi das Fundament, auf dem die Bilder produziert werden. Die Sitze der Marke Orbiter werden von der DFL bei Bundesliga-Spielen vorgeschrieben, seit 2006 setzt der FIFA-Broadcaster HBS ebenfalls auf sie. Mit allen Parteien befinde man sich in einem ständigen Austauschprozess. „Dabei sprechen wir mit Kameraleuten, Verleihern, Technikern, Producern und Sendern ebenso wie mit Clubs und Architekten, kurz: mit jedem, der mit unserem Equipment arbeitet. Dieses Feedback ist eine der wichtigsten Grundlagen unserer Arbeit.“ Bei der Umrüstung auf 3-D-Übertragungen habe man beispielsweise technische Anpassungen vorgenommen, demnächst soll es weitere Innovationen geben: „Zum Beispiel spreche ich derzeit direkt mit einem Sender über erste Tests mit einem brandneuen Orbiter-Modell, mit dem ganz neue Möglichkeiten geschaffen würden.“

Ganz neue Möglichkeiten sind es generell, die Zuschauer von Fußballübertragungen in den letzten Jahren erleben durften. Sie können sich sicher sein: Schon jetzt wird an Innovationen gearbeitet, die das Spiel noch abwechslungsreicher, noch detailreicher, vielleicht dadurch noch interessanter machen. Der Fußball wird so immer mehr zum spektakulären Event: im Fernsehen, auf Fanmeilen, in Clubs und Bars. Was dann vielleicht verloren geht angesichts der Eventisierung ist das Prosaische, das Langweilige, Gewöhnliche am Sport. Oder wie Dominik Graf es ausdrückt: „Mir fehlt der Anteil von Dorfkick, denn ein Fußballspiel ist auch nur ein Fußballspiel.“ Für dieses Gefühl braucht es, zum Glück, immer noch den Stadionbesuch.
04.07.2014 12:06 Uhr Kurz-URL: qmde.de/71648
Jan Schlüter

super
schade

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