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WM-Studio: 'Klein, aber fein'

Wie läuft es für die übertragenden Sender vor Ort in Brasilien? Quotenmeter.de sprach mit ARD und ZDF über klimatische, technische und logistische Herausforderungen sowie über den Missmut der brasilianischen Bevölkerung und das neue WM-Studio.

Missstände in Brasilien: Die FIFA und das Geld

Die sogenannten FIFA-Gesetze räumen dem Fußballverband und seinen Sponsoren unter anderem exklusive Verkaufszonen und die Befreiung von jeglichen Abgaben ein. Das Meinungsforschungsinstitut Datafolha bezifferte noch vor einem Jahr die Unterstützer derr WM im brasilianischen Volk auf 65 Prozent, im April lag die Zustimmung nur noch bei 48 Prozent. Ex-Präsident Lula versprach seinem Volk, dass die Kosten für die von der FIFA geforderten Stadien von privaten Sponsoren getragen werden würden, tatsächlich bleibt ein großer Teil aber an den brasilianischen Steuerzahlern hängen.
Von einer schlechten und verärgerten Stimmung des brasilianischen Volkes war noch kurz vor dieser WM die Rede. Obwohl der Fußball die mit Abstand beliebteste Sportart der Deutschen darstellt und die Fußballfans hierzulande die WM nicht missen wollen, können auch die meisten Fernsehzuschauer den Unmut der Brasilianer verstehen. Die Missstände, die mit der Austragung einer WM einhergehen, sind nämlich alles andere als neu. Bereits etliche ärmere Nationen setzten sich bei der Bewerbung um eine Fußball-Weltmeisterschaft durch, sahen sich später aber mit Unsummen an Kosten zur Verbesserung der Infrastruktur oder zum Bau von Stadien konfrontiert. Eigens für die WM in Südafrika gebaute Arenen werden immer noch zu Unkosten instand gehalten, obwohl darin keine Fußballspiele mehr stattfinden und nur vereinzelt Konzerte berühmter Künstler gespielt oder unregelmäßig stattfindende Events abgehalten werden.

Das dafür aufgewendete Geld könnte ein Großteil der im jeweiligen Land lebenden heimischen Menschen gut gebrauchen, um über die Runden zu kommen. Gerade die arme Bevölkerung, die in den brasilianischen Favelas lebt, rückte immer öfter in den Fokus von Reportagen vor der WM und während das Land durch die Austragung der WM lediglich etwas Werbung für sich macht, kassiert fast ausschließlich der Weltverband FIFA das große Geld durch das Sportgroßereignis. Etliche Experten und Korrespondenten vor Ort prophezeiten Proteste seitens des Volkes angesichts dieses Misssstandes. Doch nicht nur für die örtliche Polizei wären potentielle Ausschreitungen eine Herausforderung, eventuell entstünden auch Probleme für Reporter der ausstrahlenden Fernsehsender vor Ort.

ARD und ZDF mussten sich im Vorfeld mit der Lage befassen und Pläne entwickeln, wie sie mit etwaigen Protesten umgehen würden. „Die kritische Sicht von Teilen der brasilianischen Bevölkerung hat das ZDF schon seit Monaten auf dem Schirm und berichtet regelmäßig darüber“, erklärt Christoph Hamm, der WM-Programmchef des ZDF, gegenüber Quotenmeter.de. Auch Thomas Wehrle, ARD-Programmchef Fernsehen Fußball WM 2014, und Bertram Bittel, ARD-Teamchef Fußball WM 2014, vom zuständigen SWR beteuern die Kompetenz ihrer Kollegen mit entsprechenden Herausforderungen adäquat umgehen zu können: „Alle Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort in Brasilien im Einsatz sind, wurden im Vorfeld durch ein E-Learning Programm auf die Sicherheitssituation in Brasilien vorbereitet und geschult. Des Weiteren steht über die gesamte Zeit ein erfahrener Sicherheitskoordinator als direkter Ansprechpartner zur Verfügung.“

Alle Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort in Brasilien im Einsatz sind, wurden im Vorfeld durch ein E-Learning Programm auf die Sicherheitssituation in Brasilien vorbereitet und geschult. Des Weiteren steht über die gesamte Zeit ein erfahrener Sicherheitskoordinator als direkter Ansprechpartner zur Verfügung.
Thomas Wehrle und Bertram Bittel - die ARD-Verantwortlichen in Brasilien
Der Umstand, dass Brasilien eine der großen Fußballnationen ist und dass der Ballsport bei einem Großteil der Bevölkerung einen hohen Stellenwert genießt, ließ den Unmut der Fans jedoch in Euphorie angesichts des startenden Sport-Events umschwingen. „Bisher gibt es kaum Proteste in Brasilien, die Stimmung im Team ist gut, es gibt momentan keinen Grund zur Sorge“, berichten Wehrle und Bittel. Christoph Hamm vom ZDF stimmt dem zu, relativiert aber das Ausbleiben von Demonstrationen: „Seit dem Start der WM gab es weniger Proteste als erwartet, was natürlich nicht heißt, die vielfältigen Probleme im Land seien gelöst. Die Stimmung im ZDF-Team ist gut. Nur wenige Kollegen reisen im Land umher, daher kann der Großteil der Mitarbeiter die Situation nur eingeschränkt beurteilen.“

WM-Fieber sei trotz der Missstände vor Ort auch bei den Brasilianern spürbar. „Die Brasilianer sind jetzt – trotz aller kritischen Stimmen – bei „ihrer“ WM angekommen. Und wer zuletzt das Spiel von Neymar & Co. gegen Kamerun gesehen und die Stimmung im Stadion von Brasilia erlebt hat, der wird das brasilianische WM-Fieber nicht in Frage stellen“, beschreibt Hamm seine Eindrücke. Die SWR-Verantwortlichen fügen an die Begeisterung werde sich sicher im Laufe des Turniers noch steigern, „in Rio sind die Kneipen und Restaurants bei allen Spielen schon stark frequentiert, bei brasilianischen Spielen sind die Straßen frei sowie die Public Viewing-Veranstaltungen gut besucht.“

Nicht nur Proteste können für die Sender vor Ort zum Hindernis werden, bei einem solch großen Land wir Brasilien besteht auch die Möglichkeit, dass die ständigen Flüge der Reporter zu den einzelnen Austragungsorten nicht reibungslos ablaufen. Bis auf kleinere Hürden stellten sich ARD und ZDF aber keine zu großen Herausforderungen in den Weg. „Dank frühzeitiger Planung und einem professionellen Produktionsteam konnten auch die mitunter schwierigen Reisebedingungen im Land gemeistert werden. Natürlich ist hin und wieder Improvisation nötig“, erklärt Christoph Hamm. Auch beim ARD-Team habe es – „bis auf kleine Verzögerungen“- keine Probleme in Sachen Logistik gegeben. Auch das in manchen Teilen fast unerträglich heiß-schwüle Klima in Brasilien behindere die Teams nicht wesentlich.

Nachdem im Zuge der EM 2012 ein aufwendiges Ostsee-Studio auf Usedom im Zuge der ZDF-Berichterstattung zum Einsatz kam, wird auch das neue Sendekonzept in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert. Sowohl ARD als auch ZDF teilen sich einen Balkon mit Blick auf die Copacabana, der im Vergleich zu Usedom schlicht daherkommt. Die Moderatoren werden lediglich von dezenten graphischen Einblendungen unterstützt. ZDFs Christoph Hamm zeigt sich auch mit dieser deutlich dezenteren Studioaufmachung zufrieden: "Die visuelle Technik funktioniert hervorragend – einen Strich durch die Rechnung macht höchstens Regenwetter, wie bisher einmal geschehen. Aber auch das haben wir in den Griff bekommen.“

Bei der EM 2012 wurde live vor großem Publikum gesendet. Da ist ein größerer Aufwand, eine andere Logistik natürlich unvermeidbar. Die Dachterrasse in Rio ist klein, aber fein. Beides erfüllte, beziehungsweise erfüllt seinen Zweck hervorragend.
Christoph Hamm, WM-Programmchef des ZDF
Usedom sei damit nicht zu vergleichen, erklärt Hamm gegenüber Quotenmeter.de weiter. „Bei der EM 2012 wurde live vor großem Publikum gesendet. Da ist ein größerer Aufwand, eine andere Logistik natürlich unvermeidbar. Die Dachterrasse in Rio ist klein, aber fein. Beides erfüllte, beziehungsweise erfüllt seinen Zweck hervorragend. Usedom war zudem ein Projekt über den Sport hinaus. Dort wurden mehr als 80 Stunden Programm produziert. «ZDF Morgenmagazin», «Volle Kanne», «Fernsehgarten», Kochsendungen und andere Sachen wurden dort produziert. Insofern war Usedom aufwendiger, durch viele Synergien aber lohnend.“ Bertram Bittel und Thomas Wehrle von der ARD teilen die positive Meinung über das Balkon-Studio: „Die Location auf einem Balkon mit dem herrlichen Blick auf die Copacabana ist sensationell und auch die virtuelle Technik klappt hervorragend, ohne den Blick zu zerstören.“

Während das Moderationsstudio also weniger polarisiert, sorgen bei Spielen jedoch vereinzelt Tonprobleme für leichten Unmut auf Seiten der Fernsehenden. Im Gespräch mit Quotenmeter.de erklären die Verantwortlichen vor Ort die technischen Aspekte der Tonaussetzer. „Grundsätzlich können unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen, die Probleme können hierbei nicht nur bei uns auftreten, sondern natürlich auch bei der Zulieferung der Signale durch den Hostbroadcaster. Im Vorfeld und während der gesamten Übertragung werden die verwendeten Signalwege immer überprüft und überwacht und es stehen natürlich auch Havariemöglichkeiten zur Verfügung. In der gesamten Signalkette - egal ob Bild oder Ton - sind mehrere Komponenten zur Signalaufbereitung und -bearbeitung integriert, die im Worst Case natürlich auch ausfallen oder Fehler verursachen können. Tritt dieser Fall ein, so wird durch unsere Techniker oder Technikerinnen möglichst schnell auf einen Havarieweg umgestiegen und der Fehler analysiert und behoben. Je nach Komplexität kann dies unterschiedlich lang dauern. In der Regel stehen aber immer Havariewege zur Verfügung, auf die ausgewichen werden kann, damit für die Zuschauer und Zuschauerinnen das Problem möglichst schnell behoben ist.“ Auch das ZDF trage keine Schuld an den vereinzelten Tonschwierigkeiten, beteuert Christoph Hamm. „Richtig ist, dass wir zu Beginn Tonprobleme hatten, die aber nicht beim ZDF lagen. Durch die späte Fertigstellung, zum Beispiel des Stadions in Sao Paulo, gab es auch Probleme für den Hoast Broadcaster HBS, die Stadien fristgerecht zu 100 Prozent zu konfigurieren. Die Tonprobleme wurden dann in einer professionellen Zusammenarbeit zwischen HBS und ARD/ZDF schnell behoben.“
29.06.2014 10:34 Uhr Kurz-URL: qmde.de/71521
Timo Nöthling

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Fernsehgarten Volle Kanne ZDF Morgenmagazin

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