Quotenmeter.de-Redakteur Sidney Schering ist kein Fußballfreund. Also zappt er sich durch die Konkurrenz zum deutschen WM-Auftakt.
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Während Sidney Schering durch die Fernsehwelt zappte, bescherte das Deutschlandspiel dem Ersten neue Rekorde. Mehr darüber erfahren Sie
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Es ist der 16. Juni 2014. Ganz Deutschland sitzt mit Chips und Bier vor der heimischen Flimmerkiste und schaut mit einem Trikot bekleidet Das Erste. Ganz Deutschland? Nein, zahlreiche Fußballfreunde zog es auch in die Innenstädte, um die Partie Deutschland – Portugal auf einer Leinwand zu verfolgen. Aber es gibt noch eine dritte Gruppe. Sie ist von verschwindend geringer Größe. Umso wichtiger ist es, ihr endlich Gehör zu verschaffen. Ja, liebe Mitmenschen im WM-Fieber: Uns gibt es wirklich! Wir sind atmende, denkende und fühlende Wesen. Wir – die Fußballmuffel, die sich selbst dann nicht für den auf Rasen stattfindenden Ballsport interessieren, wenn es um den World Cup geht. Ja, wir haben noch alle Tassen im Schrank! Ich habe extra für diesen Artikel nachgesehen, mein Service an Tassen ist nicht nur komplett, sondern auch fein säuberlich in meinen Küchenschrank einsortiert. Und ja, die Fernsehsender, die keine Fußballspiele zeigen, senden tatsächlich nicht einfach nur ein Testbild! Ich kann davon berichten.
Gewiss, als Fußballmuffel hätte ich ab 18 Uhr am Tag der ersten deutschen WM-Begegnung dieses Jahres zahllose Alternativen gehabt. Schließlich gibt es allerhand sehenswerte YouTube-Channels, unterhaltsame Internet-Videokritiker auf Seiten wie Blip.tv und dann wären da ja noch die gut gepflegten Mediatheken der deutschen Fernsehsender. Ganz zu schweigen davon, dass ich eine große DVD-Sammlung mein Eigen nenne. Trotzdem habe ich mich vor die Glotze geworfen, die Fernbedienung gegriffen und mich durch das Free-TV-Programm gezappt. Als Quotenmeter.de-Redakteur will man ja ab und an hinter der Branche stehen, über die man tagtäglich berichtet.
Während direkt unter meinem Fenster fünf zittrige Männerstimmen die Nationalhymne mit …. äh …. singen (?), schalte ich zu RTL Nitro. Dort befindet sich gerade «MacGyver» im Einsatz. Ich muss gestehen, die Kultserie hauptsächlich durch die Stand-Ups von Michael Mittermeier zu kennen, und auch wenn mir klar ist, dass ich nicht erwarten darf, dass die Serie nur halb so übertrieben ist wie in Mittermeiers Erzählungen, bin ich zutiefst enttäuscht. Fünf Minuten lass ich ins Land ziehen, und was passiert? Bastelt MacGyver aus einem Kaugummi, einem Plastikrohr und einer Tintenpatrone eine Bazooka? Befreit sich MacGyver aus einem Gefängnis, allein indem er eine halbvolle Cola-Dosa verwendet? Nein! Es passiert nichts, was nicht auch in einer Folge des «A-Team» geschehen würde, bloß dass Hannibal, B. A. und Co. irgendwie wesentlich cooler sind.
Zapp! Ab zu Sat.1, und somit von einem Actionkrimi der 80er zu einem Actionkrimi der Neuzeit. Eine Wiederholung von «Navy CIS» läuft, dieses Mal dreht sich alles um eine Agentin, die sich nach langem Dienst in Israel zurückmeldet und wieder ins Team rund um Gibbs aufgenommen werden will. Der von Mark Harmon gespielte Teamleiter zögert jedoch. Joah, um diese Sendezeit hat Sat.1 in der Vergangenheit wesentlich grausigere Formate gezeigt, dennoch habe ich gerade so gar keine Lust auf «Navy CIS» und schalte weiter zu ProSieben, dem lockeren Schwesternsender von Sat.1. Volltreffer! Dass gerade «Die Simpsons» laufen, wusste ich. Was ich aber nicht erwartete: Der Münchener Sender zeigt die Doppelfolge „Wer erschoss Mr. Burns?“, also eine Glanzstunde der Fox-Zeichentrickserie. Mr. Burns macht das Leben aller Einwohner Springfields zur Hölle, vor allem bei Homer macht er sich mit seiner Unfähigkeit, sich an ihn zu erinnern, unbeliebt. Dabei hat der Rest der Stand ebenfalls guten Grund, den reichen Greis zu hassen. Immerhin macht er den Bewohnern der unmöglich zu verortenden Stadt ihren Ölfund madig. Eigentlich könnte ich nun bis 19.05 Uhr am Ball bleiben und mich an dieser einfallsreichen «Dallas»-Reminiszenz erfreuen. An zwei Folgen aus einer Zeit, als Familie Simpson noch aus runden Charakteren bestand. Doch ich habe für Quotenmeter.de einen Bericht über das Fernsehgegenprogramm zum Deutschlandspiel versprochen, also greife ich widerwillig zur Fernbedienung, schließe die Augen und drücke blind auf eine der Programmtasten.
Oha. Der Zufall möchte wohl, dass ich der ProSiebenSat.1-Senderfamilie treu bleibe und manövriert mich zu kabel eins. Das «Abenteuer Leben» wird gerade thematisiert. Genauer gesagt: Das Abenteuer Lebensmittel. Denn ein Sternekoch spaziert gerade durch Korea und probiert sich, teils voller Ekel, teils voll Genuss und mit vorzeigbarem Vorwissen, durch die Spezialitäten des Landes. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass sich die Reportage eher auf Südkorea, denn auf Nordkorea bezieht. Naja, ich bin kein großer Freund der asiatischen Küche, also warte ich pflichtbewusst auf die nächste Bauchbinde, die mich darüber informiert, wer hier gerade vor einem gewiss sehr kleinen Publikum auf kulinarische Entdeckungsreise geht, um dann umzuschalten. Aha. Vielen Dank, Andreas Krampl. Vielleicht sehen wir uns bei der nächsten Stunde Wahnsinn wieder?
Zapp! Ohje, ohje. Ich erkenne sofort, wo ich gelandet bin. Dazu muss ich gar nicht in die Ecke mit dem Senderlogo blicken. Hölzern spielende Darsteller zetern sich an und rätseln über die Herkunft eines beleidigenden Graffiti. Jupp. Ich bin bei «Köln 50667» gelandet. Nein, das muss wirklich nicht sein. Rasch, einen Sender weiter geschaltet! Zack, ich lande bei VOX. Nun gut, da läuft gerade «mieten, kaufen, wohnen». Joah, im Prinzip nicht schlecht, ein paar Tipps in Sachen Wohnungssuche könnte ich gebrauchen, wenn ich mir den Lärm draußen so anhöre. Aber da habe ich wohl zum falschen Moment eingeschaltet. Eine Frau mit rot-orangefarbenen Haaren erklärt einer verloren dreinblickenden Mandy, die laut Off-Kommentar mit Vorurteilen zu kämpfen hat, dass sie in der gerade besichtigten, weitläufigen Wohnung ganz sicher tolle Fotos von ihren Nasenlöchern, Knöcheln oder ihren Achseln machen kann. Mandy findet das gar nicht lustig und der Gag der Maklermoderatorin (oder ist sie eine Moderatorenmaklerin?) bleibt reaktionslos im hallenden, grellweißen Raum hängen. Dann merkt Mandy an, dass ihr die Wohnung, die mehr als 800 Euro Miete im Monat kostet, viel zu klein ist. Und außerdem zu viele Schlafzimmer hat. Aha.
Naja, ich habe eh etwas mehr als die Hälfte meines Versuchs überstanden. Draußen fährt ein einsames Auto schon voreilig Korso (kann man eigentlich alleine Korso fahren? Ist man dann nicht eher einfach nur ein gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßener Dauerhuper?) und mit einem Tastendruck zappe ich zu 3sat rüber. Dort gedenkt man dem FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, indem eine Wiederholung der «Peter Voß fragt …»-Diskussion über die Gefahren und Vorzüge des Internets aus dem Archiv gekramt wird. Schirrmacher zeigt in diesem Gespräch, welchen Intellekt und welche Kritikfähigkeit in ihm steckte und wettert, ohne Gemeinplätze zu bedienen, gegen eine zu große Abhängigkeit von den digitalen Medien. Ich bleibe für 15 Minuten dran, stelle fest, dass ich ja noch einen Artikel für ein Onlinemagazin zu schreiben habe und diese Sendung viel zu wenig Material für einen Text namens „1 Stunde Wahnsinn“ bietet. Also schalte ich weiter.
Hm. Mit arte habe ich eine Wahl getroffen, die sich nur bedingt mehr für meinen Artikel eignet. Andererseits: Wenn ich dauernd an den Schlussbericht meines Experiments denke, verfälsche ich nur das Ergebnis. Also rasch dieses Denken abgeschaltet und die Dokumentation «Wildes Leben am Vulkan» aufmerksam verfolgt. So wirklich will die Reportage über den Masaya in Nicaragua nicht zum Kulturkanal passen. Nicht, dass sie zu niveaulos sei, trotzdem denke ich bei Dokumentationen über Vulkane und Menschen, die sich in ihrem Umfeld ansiedeln, eher an N24. Was soll's, es ist schon 18.55 Uhr, also geht es für mich rüber zum Disney Channel. Und da flattern bereits die Kalenderblätter hinfort, während eine jugendliche Stimme singt: „Es gibt sechs Wochen voller Sommerferientage, bis die Schule beginnt und es ernst wird ...“ Es ist wieder «Phineas & Ferb»-Zeit und dieses Mal gehen der Dreickskopf und sein Stiefbruder mit dem Schädel in F-Form mit ihrem Dad ins Kino, wo ein Mumienfilm läuft. Die findigen Kids wollen aber viel lieber eine Museumsausstellung über Mumien bestaunen und schleichen sich daher aus dem Kino. So viel dazu, dass US-Trickserien Kulturverdruss fördern würden, liebe Spießer da draußen!
Während Phineas und Ferb von ihrer manischen Schwester verfolgt werden, rast der einsam hupende Wagen vor meinem Fenster eine Mülltonne um. Soll er nur. Meine Stunde Fernsehwahnsinn ist vorbei und ich erlaube mir, einen auf Freidenker zu machen. Okay, anders als Phineas und Ferb kann ich keine Achterbahn aus dem Ärmel schütteln. Aber ich habe ja einige DVDs bei mir herumstehen. Ich schnappe mir eine davon und habe plötzlich etwas mit den Millionen von Fußballfans gemeinsam: Ich lasse die Programmkonkurrenz der Fußball-WM im Stich.