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Tear down this Wall

Julian Reichelt pöbelt gegen Daniel Steil, der Krautreporter kommt nicht in die Gänge. Paid Content droht statt einer Kurskorrektur ein Irrweg zu werden. Ein Kommentar von Julian Miller.

In den meisten Fällen sind Pay-Walls auch eine Bankrotterklärung, eine Kapitulation vor den Spielregeln des Marktes. Sie kommen fast nur dann zum Einsatz, wenn sich das journalistische Angebot nicht mehr über Werbemodelle refinanzieren lässt, kurz: wenn sich nicht mehr genug Leser für seine Berichterstattung interessieren oder die angesprochenen Lesergruppen von der Werbewirtschaft als unattraktiv eingestuft werden.

Kostenlose Inhalte sind, entgegen anderslautenden Credos, kein Geburtsfehler des Internets. Im Gegenteil: Sie sind neben der zeitlichen Unmittelbarkeit des Informationsflusses und dem weitgehenden Wegfall der Gatekeeper-Funktion konzernabhängiger oder öffentlich-rechtlicher journalistischer Angebote ein zentraler Grund für den grenzenlosen Siegeszug des Mediums.

Dass gerade Axel Springer zunehmend Probleme hat, sich in einem freien Markt zu bewegen – und dass sich Döpfner mit seinen Forderungen nach einer stärkeren Regulierung anderer Unternehmen aus angelsächsischer Sicht ökonomisch selbst kastriert –, ist mittlerweile weithin bekannt.

Dass Springers Kettenhund „Bild“ nicht nur seit Jahr und Tag bedenklichen Journalismus betreibt, sondern dass sich das Führungspersonal des Konzerns gegenüber anderen Unternehmen auch ständig im Ton vergreift, ist ebenfalls nichts Neues. Und so wundert es einen eigentlich kaum noch, wenn „Bild.de“-Chefredakteur Julian Reichelt seinen Gegenpart von „Focus Online“ Daniel Steil der „digitalen Hehlerei“ bezichtigt. Steil klaue, so Reichelt, nämlich ständig Exklusiv-Geschichten des kostenpflichtigen Angebots „Bild Plus“, optimiere deren Inhalte für die Suche bei Google und veröffentliche sie bei „Focus Online“ – womit er Reichelt natürlich einen Strich durch die Paid-Content-Rechnung macht. Steil verbittet sich unterdessen schon seit langem den Vorwurf, er würde bei den ehemaligen Kollegen von Axel Springer „klauen“.

Ungeachtet dessen, dass es aufgrund der publizistischen Ausrichtung von „Bild“ und „Bild.de“ auch heute noch pervers klingt, wenn diese Angebote ohne Augenzwinkern als „Journalismus“ bezeichnet werden, zeigt der Fall vor allem eines: Paid Content ist kein Allheilmittel, mit dem sich in einem freien Markt so mir nichts, dir nichts die Revenue hochschrauben lässt. Die Gefahr, dass sich Konkurrenten, die auf ein solches Bezahlmodell verzichten, auf ähnliche Storys stürzen (oder sie „kopieren“) und jedem Konsumenten zugänglich machen statt nur der Pay-Elite, hätte jeder durchschnittlich intelligente Manager erkennen müssen. Wenn Reichelts Getöse von der digitalen Hehlerei nicht kalkuliertes PR-Gefuchtel, sondern Ausfluss einer tatsächlich empfundenen Überraschung über die Vorgehensweisen von Mitbewerbern ist, spricht das nicht für ihn.

Mischangebote, die sowohl durch kostenlose Inhalte eine breite Leserschaft erreichen als auch Einnahmen aus Paid Content erzielen wollen, können nur im Zustand der permanenten Schizophrenie existieren. Einerseits will man durch (Exklusiv-)Geschichten Buzz kreieren und die Klicks hochtreiben, andererseits muss man ansprechende Storys hinter einer Pay-Wall verstecken. Dort nur den Ausschuss zu platzieren, für den man im kostenlosen Regelbetrieb gar keinen Bedarf sieht, ist ohnehin keine Option: Wenn sich hinter einer Mauer nur ein versiffter Hinterhof befindet, will da erst recht keiner hin.

Anders will es Krautreporter machen: gar keine Werbung, sondern nur Paid Content, Journalismus der Spitzenklasse für die Elite, die weg will vom sabbernden Klickzahlengepushe, Klasse statt Masse. Um das Projekt zu realisieren, müssen bis einschließlich 13. Juni 15.000 Unterstützer zusammen kommen und einen Jahresbeitrag von jeweils sechzig Euro locker machen. Angesichts des aktuellen Fortschrittsbalkens sieht es nicht gerade danach aus, dass diese Schlagzahl noch erreicht werden wird. Was zeigen würde, dass es nicht einmal einem Projekt mit höchsten journalistischen Ansprüchen und einem äußerst renommierten Personal gelingt, ausreichend zahlende Unterstützer zu finden. Wie soll das dann bei den großen Playern auf lange Sicht ein tragfähiges Modell werden – insbesondere weil man dort viele Inhalte aufgrund ihrer hohen Relevanz und Attraktivität für eine breite Leserschaft nicht hinter der Pay-Wall versauern lassen kann und die Alles-Gratis-Konkurrenz einem mit gleichen oder ähnlichen Geschichten den Rest gibt?

Da kann Reichelt pöbeln, was er will, und Döpfner jammern, so viel er will. Den vermeintlichen „Geburtsfehler“ der Konstenloskultur publizistischer Angebote im Internet wird man nicht mehr wegoperiert kriegen. Refinanzierungen können bei etablierten Marken zumindest nicht im großen Stil über die User stattfinden, da sie den Paid Content im Zweifelsfall über andere (kostenfreie) Angebote bekommen oder gar keinen Bedarf an ihm sehen. Es gilt also weiterhin, mithilfe eines attraktiven Journalismus attraktive Werbeumfelder zu schaffen, mit denen sich der Betrieb finanzieren lässt. Gerade viele kleinere Angebote zeigen seit geraumer Zeit, wie man das macht.

Vielleicht liegt die gangbarere Alternative zur Pay-Wall neben der Erschließung neuer (und seriöser!) Werbefelder aber auch im Abbau von Überkapazitäten, in denen ohnehin kein Rezipient mehr Bedarf zu erkennen scheint.

Das soll nicht missverstanden werden: Guter Journalismus zeichnet sich nicht (allein) dadurch aus, dass er am besten geklickt wird. Und bis zu einem gewissen Punkt ist es richtig und sinnvoll, die relevanten Artikel über die vielgeklickten querzusubventionieren, sofern eine solche Diskrepanz bestehen sollte. Doch das kann nicht in einer völligen Maßlosigkeit ausarten, in der kaum konsumierte Angebote am Leben erhalten werden sollen, indem man seine Leser zur Kasse bittet und die Konkurrenten, die diese Situation berechtigterweise ausnutzen, wüst anpöbelt.

Gerade „Bild Plus“ hat es nie geschafft, einzigartige Premium-Inhalte mit nennenswertem Mehrwert zu liefern. Ob das anderen Anbietern gelingen wird, ist ebenso fraglich. Denn eines wird sich nicht ändern: Wichtige Storys, intelligente Analysen und kluge Einordnungen wollen gelesen werden, und zwar von möglichst vielen Konsumenten. Das potentielle Publikum durch Bezahlschranken deutlich zu minimieren, läuft dem diametral zuwider.
06.06.2014 12:40 Uhr Kurz-URL: qmde.de/71132
Julian Miller

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