►   zur Desktop-Version   ►

Der Fernsehfriedhof: Verbrechen lohnt sich nicht

Christian Richter erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 289: Ein skandalträchtiges Kriminalmagazin, das mehr an Panik als an Aufklärung interessiert war.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des Beweises dafür, dass man den Bogen von Sex & Crime auch überspannen kann.

«K - Verbrechen im Fadenkreuz» wurde am 30. November 1992 in Sat.1 geboren und entstand auf dem Höhepunkt der ersten Reality-Welle des noch jungen Privatfernsehens. Innerhalb weniger Monate entstanden mit «Polizeireport Deutschland», «Notruf», «Auf Leben und Tod», «Augenzeugen-Videos» und «Retter» eine wahre Flut an Sendungen, die authentische, gefährliche Ereignisse schilderten. Die einzelnen Vertreter setzten zwar leicht unterschiedliche Schwerpunkte, funktionierten aber alle nach dem gleichen Prinzip, denn sie alle versprachen spektakuläre Bilder von echten Naturkatastrophen, Unglücken oder anderen Bedrohungen. Dabei setzten die Macher je nach Format und Materiallage auf das Nachstellen von Situationen oder präsentierten gar tatsächliche Aufnahmen, die Augenzeugen, Reporter oder eigene Kamerateams eingefangen hatten. Obwohl der Markt damit längst übersättigt war und die Redaktionen langsam Probleme bekamen, ihre Abläufe mit spannenden Geschichten zu füllen, schickten die Verantwortlichen von Sat.1 ein weiteres Konzept auf den Schirm, das sich dieser Tradition verschrieben hatte.

Während sich die Vorgänger vor allem auf Katastrophen konzentrierten, stand nun das Thema Kriminalität im Fokus. Weil das Genre zu jener Zeit wegen der brutalen Bilder und voyeuristischen Zügen bereits heftig in der Kritik stand, gab sich das Team nach außen bewusst seriös und versprach, den Zuschauern dabei helfen zu wollen, sich künftig besser zu schützen. Für einen besonderen Vertrauensbeweis sollte die Verpflichtung von ZDF-Legende Eduard Zimmermann sorgen. Schließlich stand nach 25 Jahren «Aktenzeichen XY: ungelöst» und «Vorsicht Falle!» niemand sonst im deutschen Fernsehen so sehr für erfolgreiche Verbrechensaufklärung. Er betreute die neue Reihe hinter den Kulissen und trat als Gast-Kommentator auf. Gänzlich überraschend kam diese Verpflichtung allerdings nicht, weil die zuständige Produktionsfirma CrimeTV seiner Adoptivtochter Sabine gehörte. Diese hatte vor den ZDF-Kameras schon als Assistentin ihres Vaters mitgewirkt.

Die Familie Zimmermann versuchte damit ein Magazin zu konzipieren, das einerseits an ihre öffentlich-rechtlichen Erfolge anknüpfen sollte, sich aber gleichzeitig im kommerziellen Fernsehen behaupten musste. Ein Spagat, der komplett misslang, denn es entstand ein Programm, das Anstöße wie kaum ein zweites zu jener Zeit hervorbrachte und zuweilen selbst die anderen Reality-Konkurrenten in den Schatten stellte. Unter anderem berichtete man über Kinderpornographie ohne die Gesichter der missbrauchten Opfer unkenntlich zu machen oder präsentierte die Vergewaltigung einer jungen Frau mit reißerischen Kamerafahrten und sexuellen Posen.

Wie schon bei «Notruf» beinhalteten viele Einspieler Nachstellungen der wirklichen Ereignisse. Allerdings wurde bei diesen jetzt nicht davor zurückgeschreckt, die Opfer und Hinterbliebenen selbst auftreten und ihre traumatischen Ereignisse noch einmal durchleben zu lassen. Zudem wurde der Bericht über die Ermordung eines Polizisten ohne Zustimmung der Hinterbliebenen und Trauergäste mit Aufnahmen von dessen Beerdigung garniert. Ein besonderes Feingefühl mit den heiklen Themen oder ein sensibler Umgang mit den Betroffenen konnte der Redaktion also nicht unterstellt werden.

Zusätzlich versuchte man gezielt mit diversen Aktionen Dramatik und Panik zu schüren. So zählten in der Studiokulisse verschiedene Anzeigen die während der Sendezeit statistisch erfolgten Morde, Vergewaltigungen, Überfälle, Einbrüche und Betrugsfälle mit. Außerdem rief der Moderator Rolf-Dieter Lorenz das Publikum im Rahmen eines Gewinnspiels dazu auf, ihre Erfahrungen mit Gewalt und Kriminalität anhand von Fotos und Videos mitzuteilen. Eine Jury wählte schließlich aus den eindrucksvollsten Dokumenten die Sieger aus. Natürlich gab es genauso viele harmlosere Beiträge, in denen schlicht über neue Trickbetrug-Maschen informiert wurde. Dennoch schwebte über dem gesamten Ergebnis stets ein allzu aufdringlicher und reißerischer Habitus. Angesichts solcher Vorkommnisse blieben öffentliche Proteste von Politikern, Kommissionen und Initiativen nicht aus, die allerdings meist in Generalvorwürfen gegen die komplette Palette der Realitys-Shows oder gegen das gesamte Privatfernsehen gipfelten.

Zu diesen geschmacklich fragwürdigen Elementen kam dann noch ein handfester, journalistischer Skandal hinzu, der sogar am weiterhin soliden Image von Eduard Zimmermann rütteln sollte und im Zusammenhang mit der Hilfsorganisation „Weißer Ring“ stand. Diese hatte Zimmermann zusammen mit anderen im Jahr 1976 gegründet, um den Opfern von Kriminalität Unterstützung anzubieten. Das ARD-Magazin «Kontraste» berichtete nun, dass Zimmermann jene Institution für sein Sat.1-Engagement missbrauchen würde. Ein Polizist, der im Auftrag des „Weißen Rings“ ein von rechtsradikalen Schlägern angegriffenes Paar besuchen sollte, hatte sich nämlich darüber beschwert, dass er aufgefordert wurde, ein Kamerateam mitzunehmen, um die Geschichte für die Sendung nutzen zu können.

Anfangs strahlte Sat.1 die einstündigen Folgen 14tägig am Montagabend um 22.00 Uhr aus, bevor sie nach etwa einem Monat auf den Dienstag um 21.15 Uhr verlegt wurden. Dort wechselten sie sich mit den Stories der nicht weniger umstrittenen Reality-Variante «Retter» ab und bildeten das Vorprogramm zum Krawall-Talk «Ulrich Meyer: Einspruch!». Trotz jener provozierten Aufmerksamkeit und dem (auf merkwürdige Weise) stimmigen Umfeld, blieb das Kriminalmagazin bezüglich der Sehbeteiligung stets hinter den anderen Shows zurück. Während «Notruf» regelmäßig sechs Millionen Zuschauer anlockte, «Retter» immerhin noch Werte um vier Millionen erreichte, fühlten sich von der Zimmermann’sche Schwarzmalerei oft weniger als zwei Millionen Menschen angezogen. Weil es also nicht gelang, die negativen Schlagzeilen in hohe Einschaltquoten umzuwandeln, folgte schließlich die Einstellung.

«K - Verbrechen im Fadenkreuz» wurde am 04. Januar 1994 beerdigt und erreichte ein Alter von etwas mehr als einem Jahr. Die Reihe hinterließ die Produzentin Sabine Zimmermann, die ab 1997 neben Butz Peters als Hauptmoderatorin von «Aktenzeichen XY: ungelöst» auftrat und ab 1998 konsequenterweise auch «Vorsicht Falle!» von ihrem Vater übernahm. Noch heute ist sie mit ihrer Firma für diverse Kriminalformate (u.a. «Aktenzeichen XY: ungelöst») verantwortlich. Übrigens, trotz der vielen gezeigten Gewalttaten und drastischen Szenen wurde «K - Verbrechen im Fadenkreuz» zuweilen ungeniert am Vormittag wiederholt.

Möge die Reihe in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann dem chaotischen Literaturmagazin von MTV.
05.06.2014 11:05 Uhr Kurz-URL: qmde.de/71129
Christian Richter

super
schade

73 %
27 %

Artikel teilen


Tags

Aktenzeichen XY Aktenzeichen XY: ungelöst Auf Leben und Tod Augenzeugen-Videos Einspruch! Fernsehfriedhof K K - Verbrechen im Fadenkreuz Kontraste Notruf Polizeireport Deutschland Retter Ulrich Meyer Ulrich Meyer: Einspruch! Verbrechen im Fadenkreuz

◄   zurück zur Startseite   ◄

Qtalk-Forum » zur Desktop-Version

Impressum  |  Datenschutz und Nutzungshinweis  |  Cookie-Einstellungen  |  Newsletter