Angelina Jolie kehrt nach rund vier Jahren Pause vor die Kamera zurück. Und grinst sich höchst amüsiert durch Disneys Versuch, auf der «Wicked»-Erfolgswelle zu reiten.
Hinter den Kulissen
- Regie: Robert Stromberg
- Produktion: Joe Roth
- Drehbuch: Linda Woolverton
- Cast: Angelina Jolie, Sharlto Copley, Elle Fanning, Sam Riley, Imelda Staunton, Juno Temple und Lesley Manville
- Musik: James Newton Howard
- Kamera: Dean Semler
- Schnitt: Chris Lebenzon und Richard Pearson
Disney ist vom «Wicked»-Virus befallen. Gregory Maguires Roman «Wicked – Die Hexen von Oz» kam zwar bereits 1995 in den Buchhandel, doch erst durch die gleichnamige Musicaladaption gelangte der revisionistische Roman zu anhaltender, internationaler Berühmtheit. Das Buch wie auch das 2003 uraufgeführte Broadwaymusical blicken aus einer neuen Perspektive auf den populären «Der Zauberer von Oz»-Mythos und erzählen davon, dass die darin ihr Unwesen treibende böse Hexe eigentlich eine recht gute Seele ist. Eine Verfilmung des Buches oder des Musicals lässt zwar noch auf sich warten, doch der Disney-Konzern ist in jüngster Vergangenheit sehr strebsam darin, trotzdem im von «Wicked» popularisierten Markt zu wildern.
Der Computeranimationsfilm «Ralph reicht's» hat noch eine gute Ausrede. Zwar handelt auch dieses Werk von der guten Seite eines angeblichen Schurken, allerdings wird hier kein bereits bekannter Bösewicht uminterpretiert. Es kann sich dabei also um eine eher zufällige Parallele handeln. Aber es gibt noch einige weitere Disney-Projekte, in denen ein Teil des «Wicked»-Geistes mitschwingt: Die zum Disney-Konzern gehörige Fantasyserie «Once Upon a Time» etwa interpretiert im besten «Wicked»-Stil alle möglichen Märchen halb düster, halb verspielt um. 2013 brachte Walt Disney Pictures zudem mit Sam Raimis Fantasyspaß «Die fantastische Welt von Oz» seine eigene Vorgeschichte zu den Ereignissen aus «Der Zauberer von Oz» in die Kinos. Außerdem feierten die Disney-Trickstudios im selben Jahr mit einer gewissen Produktion namens «Die Eiskönigin – Völlig unverfroren» einen ihrer größten Erfolge. Wie «Wicked» steht in diesem Musicalsteifen eine junge Frau im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer Kräfte zur Ausgestoßenen wird. Und rein zufällig wird diese Rolle im englischen Original von Idina Menzel gesungen und gesprochen – der ersten Broadway-Besetzung der «Wicked»-Hauptfigur, deren wichtige Gesangsnummer „Defying Gravity“ ganz klar „Let It Go“ inspirierte.
Den wirtschaftlichen Höhepunkt seiner «Wicked»-Obsession hat das Hause Disney mit «Die Eiskönigin» gewiss bereits erreicht. Doch die Spitze der Dreistigkeit, mit der bei der «Oz»-Umdeutung abgeschrieben wird, folgt erst mit «Maleficent – Die dunkle Fee»: Im Disney-Zeichentrickfilm «Dornröschen» war die diabolische Malefiz (im englischen Original: Maleficent, was im neuen Realfilm auch für die deutsche Synchro übernommen wurde) eine finstere Gestalt mit boshaftem Blick, diebischer Freude an ihrer eigenen Boshaftigkeit und einer eigenartig-grünen Hautfarbe. Ihre Hintergründe und Motive? Vage bis unbekannt. «Wicked» machte aus einer sich als Schurkin genießenden, grünhäutigen Antagonistin ohne nennenswertes Handlungsmotiv eine mitleiderregende Protagonistin. Wer nun errät, was das Konzept von «Maleficent – Die dunkle Fee» ist, darf sich darauf nichts einbilden, denn die Lösung liegt verboten nahe.
Die Idee zum Film wurde studiointern entwickelt und Anfang 2010 an Tim Burton herangetragen, der in den letzten Zügen seiner Realverfilmung von «Alice im Wunderland» lag. Burton lehnte das Projekt ab, woraufhin Disney es weiteren namhaften Regisseuren anbot. Unter anderem wurden David O. Russel («American Hustle») und Darren Aronofsky («Black Swan») angefragt, kurzfristig brachte sich auch Guillermo del Toro selbst ins Gespräch, aber all diese Verhandlungen kamen nicht zur Fruchtung. Stattdessen erhielt Regienovize Robert Stromberg den Zuschlag – seines Zeichens Szenenbildner von «Avatar – Aufbruch nach Pandora», Tim Burtons «Alice im Wunderland» und «Die fantastische Welt von Oz» sowie leitender Effektkünstler bei «Shutter Island», «There Will Be Blood» und zahlreichen weiteren Produktionen.
Die Alarmglocken dürfen an diesem Punkt laut schrillen: Da wäre ein Studio, das vom «Wicked»-Konzept besessen ist, sich vornimmt, es unverblümt auf eine seiner denkwürdigsten Schurkenrollen anzuwenden und es daher mehreren Starregisseuren schmackhaft machen will. Welche jedoch allesamt ablehnen, weshalb ein Novize herangezogen wird. Dies wiederum weckt unschöne Erinnerungen an «Snow White and the Huntsman», Universal Pictures' semidüstere Neuerfindung des Schneewittchen-Märchens, die ebenfalls von einem Regieanfänger umgesetzt wurde – und bei der Kritik böse durchfiel. Als Produzent zeichnete bei «Snow White and the Huntsman» Joe Roth verantwortlich, der auch die Geschicke von «Maleficent – Die dunkle Fee» leitete.
War «Snow White and the Huntsman» zwar langatmig und seelenlos, wirkte er dank manch eigener Idee und der sichtbar kostspieligen Ausstattung trotz allem durchaus ambitioniert. Zumindest mehr als dieser Disney-Fantasiefilm. Bereits dem selbst auferlegten Ziel, den 1959 entstandenen Zeichentrickklassiker «Dornröschen» aus anderer Perspektive neu zu erzählen, wird «Maleficent – Die dunkle Fee» nicht gerecht. Lassen sich das große Vorbild «Wicked» und «Der Zauberer von Oz» ohne größere Logikbrüche vereinen, beißen sich hier Zeichentrickvorlage und Realverfilmung nahezu durchgehend. Dass Hauptdarstellerin Angelina Jolie keinen grünen Teint verpasst bekam, sei noch geschenkt. Doch auch davon abgesehen können beide Filme unmöglich in der gleichen Kontinuität spielen, da selbst so relevante Eckpunkte wie die Taufe der kleinen Aurora (besser bekannt als Dornröschen) inklusive Maleficents Verfluchung der Neugeborenen vollkommen anders ablaufen. Somit fehlt Robert Strombergs Regiedebüt ein nicht unbedeutender Spaßfaktor, den «Wicked» aufzuweisen hat.
Dies ließe sich verschmerzen, wäre Stromberg und der Drehbuchautorin Linda Woolverton eine runde, eigenständige Geschichte gelungen. Stattdessen strotzt «Maleficent – Die dunkle Fee» vor Logikfehlern und tonalen Inkonsistenzen. Im Intro führen der «Avatar»-Szenenbildner und die «Alice im Wunderland»-Autorin die magischen Fähigkeiten Maleficents ein, nur um ab dann ihre Kräfte auszuweiten oder zu verringern, wie es die Situation nun einmal verlangt. Ihre Jugendliebe König Stefan (als Erwachsener gespielt von einem extrem chargierenden Sharlto Copley) wird während eines Zeitsprungs in der Erzählung wahnsinnig – den Grund erfährt das Publikum nicht. Ebenso kommt und geht die Einstellung, die die Untertanen Stefans gegenüber Maleficent und anderen magischen Wesen haben: Sehnsucht nach Frieden, Bereitschaft, sie in einem von Gier getriebenen Krieg auszurotten oder doch der genügsame Wille zur Koexistenz?
Besonders dramatisch ist der Mangel an Kohärenz, den die Charakterzeichnung der Titelfigur aufweist. Zunächst eine Fee unter vielen, schwingt sie sich nach einem schweren Verrat ihrer Jugendliebe Stefan zur nach Rache dürstenden Königin ihres eigenen Reiches herauf. Dieser Wechsel auf die Seite des Bösen ist jedoch rasch vergessen. Maleficent verflucht Aurora zwar zum Tode, weicht diesen Todesfluch kurzerhand aber zu einem tiefen Schlummer ab, den die Kleine ereilen wird, sobald sie sich im Alter von 16 Jahren in den Finger sticht. Die dunkle Fee fügt sogar die im Disney-Zeichentrickfilm einer anderen Figur vorbehaltenen Rettungsklausel hinzu: Der wahren Liebe Kuss kann den Fluch brechen. Kaum ist diese Tat getan, beobachtet Maleficent, wie Aurora aufwächst, und gleicht dabei geduldig die Defizite ihrer Zieheltern aus. Es entsteht eine Beziehung zwischen Aurora und Maleficent, die die Inszenierung mittels düsterer Schattenwürfe und überdramatischer Musik gerne als Hassliebe darstellen würde, die aber auf dem Papier und in der schauspielerischen Darstellung frei von Ecken und Kanten ist. Weshalb Maleficent so rasch ihren zunächst mühevoll aufgebauten Zorn auf die Menschen verliert, das bleibt der Fantasie der Zuschauer überlassen. Immerhin: Die auch als ausführende Produzentin am Projekt tätige Angelina Jolie hat sichtbar Spaß an dieser Figur, was zumindest manche der unsinnigeren, albernen Momente (wie Maleficents „böse“ Tat, unerwartet einen Schauer zu erzeugen) durch Kurzweil erträglich macht. Dennoch ändert dies nichts an der lächerlichen Häufigkeit, mit der Regisseur Stromberg die Actrice bedeutungsvoll aus dem Schatten treten lässt, oder daran, dass Jolie in dramatischen Phasen zum melodramatischen Overacting neigt.
Nicht allein die Charakterentwicklung ist sprunghaft, genauso zerschnitten sind die raren Actionmomente in dieser 180-Millionen-Dollar-Produktion, welche genauso rasch vorbei sind, wie sie angefangen haben. Glücklicherweise fallen auch die Comedyeinlagen mit den drei guten Feen, die Aurora großziehen, eher knapp aus, denn die mit seltsamen Proportionen gestalteten Damen fallen mit ihrer Inkompetenz schnell auf die Nerven. Positiver bleibt da Elle Fanning («Super 8») in Erinnerung, die zwar in ihrer Prinzessinnenaufmachung um Längen jünger aussieht als Disneys Zeichentrick-Dornröschen, die jedoch den naiven Optimismus ihrer Figur strahlend zum Leben erweckt. Der heimliche Star von «Maleficent – Die dunkle Fee» ist allerdings Sam Riley als menschliche Form von Maleficents Hausraben und Lakaien. Anders als das restliche Ensemble trifft der «Das finstere Tal»-Nebendarsteller durchwegs einen seinen Szenen zugutekommenden, vitalen Tonfall, zudem sieht die an ihm verwendete Effektschminke glaubwürdig aus, womit er als wandelndes Fantasyelement vorführt, was aus diesem Film hätte werden können.
Die scharfen, eckigen Wangen, die Angelina Jolie verpasst bekam, um der Trickfigur ähnlicher zu sehen, sehen dagegen je nach Lichtgebung aus, als seien sie hastig angeklebt worden, und auch einige der digitalen Statisten aus dem Zauberwald stechen negativ heraus. Einzig eine späte Szene, in der Aurora und Maleficents nachts durch das Feenreich wandern, erinnert an Robert Stromergs Können, eine visuell kohärente, ansprechende Fantasiewelt zu gestalten. Außerhalb dessen gehen die Versuche, eine eigenständige Filmwelt zu erschaffen, durch all zu cartoonhaftes Design einzelner Nebenfiguren (die sich somit mit dem dreckig-pseudorealistischen Umfeld beißen) und dürftige Flugszenen zugrunde.
Somit gehen Inhalt und Form immerhin Hand in Hand, ist das Skript zu «Maleficent – Die dunkle Fee» (welches zahlreiche Rewrites durchlief) ebenfalls ein wildes, zusammengerafftes Durcheinander. Der finstere Look und die grimme Musik des Komponisten James Newton Howard dürften «Maleficent – Die dunkle Fee» für Kinder selbst nach der Eigenzensur des deutschen Verleihs (rund 40 Sekunden mussten für eine FSK-Freigabe ab sechs Jahren rausfliegen) zu einem relativ harschen Seh- und Hörerlebnis machen. Gleichzeitig sorgen stupider Humor und liebloses Storytelling dafür, dass «Maleficent – Die dunkle Fee» ungewollt immer und immer wieder betont, wie viel ausgereifter und erwachsener Disneys Zeichentrick-«Dornröschen» ist. Daher empfiehlt sich ein Kinobesuch einzig für Disney-Komplettisten und große Angelina-Jolie-Fans.