Das Erste versucht sich an einem Weltkriegsdrama mit dem Titel «Clara Immerwahr» und zeigt dabei wie man es nicht machen sollte. Unsere Kritik.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Katharina Schüttler («Oh Boy») als Clara Immerwahr, Maximilian Brückner («Resturlaub») als Fritz Haber, August Zirner («Der Kardinal») als Philipp Immerwahr, Elisabeth Orth («Polt.») als Großmutter Immerwahr, Stefanie Dvorak als Lotte Immerwahr, Peter Simonischek («Ludwig II.») als Rektor Engler, Philipp Hochmair («Talea») als David Sachs, Lucas Gregorowicz («Liebe und andere Delikatessen») als Professor Abegg
Hinter den Kulissen:
Regie: Harald Sicheritz, Buch: Susanne Freund, Burt Weinshanker, Musik: Lothar Scherpe, Kamera: Helmut Pirnat, Schnitt: Paul Michael Sedlacek, Produktion: MR Film in Zusammenarbeit mit dem SWR, der ARD Degeto, dem MDR und dem ORF
Clara Immerwahr – nicht allzu vielen wird dieser Name wirklich etwas sagen. Und doch hat die Chemikerin ein Stück deutscher Geschichte geschrieben. Grund genug ihr einen eigenen Film zu widmen, zumal sie und ihr Mann auch um und in der Zeit des ersten Weltkrieges tätig waren. Und den hat das Erste zum hundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns zum Programmschwerpunkt ausgerufen. Bei der Titelwahl zu diesem Film waren die Verantwortlichen nicht außerordentlich kreativ, sondern haben sich schlicht für «Clara Immerwahr» entschieden. Pragmatisch.
Der bereits erwähnte Gatte von Clara Immerwahr dürfte ungleich bekannter sein als seine Frau. Es handelt sich um Fritz Haber, der 1918 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Zugleich wird Haber jedoch auch als Vater der Giftgaswaffen bezeichnet, die während des Krieges eingesetzt wurden. Die Konstellation wird genau dann interessant, wenn man weiß, dass Immerwahr überzeugte Pazifistin war. Regisseur Harald Sicheritz erklärt zugleich auch, dass die Geschichte Potenzial bietet, da die bedeutende Frau eines bedeutenden Mannes „bis in die Gegenwart so unbekannt“ geblieben ist.
Doch warum war diese Frau überhaupt bedeutend? Nicht zuvorderst, weil sie die Frau von Haber, sondern weil sie zugleich eine der ersten deutschen Frauen mit Doktortitel war und die erste Deutsche, die einen solchen Titel im Fach Chemie erwarb. Damit einhergehend war Immerwahr naheliegenderweise auch eine Frauenrechtlerin, wobei der Film den Eindruck vermittelt, dass sie diesen Einsatz mehr um ihrer selbst Willen zeigte und nicht, um den Frauen ihrer Zeit im Allgemeinen zu mehr Rechten zu verhelfen. Die Geschichte dieser charakterstarken Frau ist dabei für die damalige Zeit besonders, aus der heutigen Perspektive darf sie dennoch als filmisch erwartbar betrachtet werden. Das macht den Verantwortlichen die Arbeit nicht unbedingt leichter: Storytechnisch sind so keine Bäume auszureißen, vor allem dann nicht, wenn man die Geschichte des Fritz Haber schon kennt.
Das alleine wäre durchaus noch lösbar gewesen. Problematisch wird es aber, weil die Erzählweise viel zu langsam, gemächlich und einfach ist. Zu Beginn wirkt das nicht störend oder unangenehm, weil es aber in den gesamten neunzig Minuten wenige Momente gibt, in denen der Zuschauer anders empfindet, ist es eben doch mehr als nur der kleine störende Randaspekt. Über weite Strecken plätschert alles vor sich hin, nur selten, zum Beispiel als Clara kurzzeitig in „Nervenbehandlung“ muss bricht der Film aus diesem Schema aus. Unterhaltsame Momente bleiben ebenfalls die Ausnahme, zugegebenermaßen war das allerdings auch nicht anders zu erwarten. Doch als die Protagonistin den reichen Geheimrat bloßstellt, der bei ihrem Mann zu Besuch ist, darf der Zuschauer doch mal lachen und baut endlich einmal die Sympathie auf, die er zu ihrer Figur eigentlich durchweg hegen sollte.
Fast schon unauffällig agieren Ton, Schnitt und Musik. Das müsste per se nicht unbedingt schlecht sein, immerhin könnte jedes Auffallen auch negativ sein. In diesem Fall aber bleiben die Aspekte schlicht blass. Einzig der Schnitt fällt in einer Szene ins Auge in der zunächst die Rede davon ist, dass alles besser werde – und direkt danach ein Schrei ins Ohr des Zuschauers stößt. Im Großen und Ganzen aber ist die Umsetzung in dieser Hinsicht nicht gelungen. Das ist sicher auch ein Grund warum der Film insgesamt nur selten so brachial ist, wie er es beabsichtigt. Nur zum Ende gelingt dies wirklich. Fast pauschal wirkende Wissenschaftskritik, seltsam eingespielte historische Bilder und Abschlussnotizen die offenbar vom Praktikanten geschrieben wurden tun dann allerdings ihr übriges dazu, den negativen Eindruck zu unterstützen.
Bemerkenswert ist ferner noch eine Szene in den ersten Minuten der Produktion: Als jüdischer Kaufmannssohn lässt Fritz Haber zwischenzeitlich einen Satz fallen: „Sie werden uns akzeptieren, wenn wir nicht immer darauf bestünden, dass wir anders sind.“ Dieser Satz ist nach Angabe der Senderverantwortlichen nicht belegt. Die Autoren wären aber der Überzeugung, dass sie die Haltung Habers widerspiegelt. Dass die Aussage zumindest diskutabel ist, wird wohl kaum jemand anzweifeln und zeigt zugleich welchen Tanz mit der Rasierklinge sich die Autoren liefern mussten.
Regisseur Sicheritz sagt zu seiner Produktion, dass der Zuschauer dort Botschaften sieht, die zeitlos seien. Wenn das noch nicht reichen würde, bliebe immerhin ein „prächtig ausgestattete[r], hochkarätig besetzte[r] und gefertigte[r] Film“. Dass die Besetzung nicht allzu schlecht ist, kann man Sicheritz kaum absprechen. Bei den anderen Punkten fällt es jedoch schwerer zuzustimmen. Die Geschichte der Clara Immerwahr ist sicherlich relevant und hat eine Botschaft, die übermittelt werden soll. Doch der Film schafft es kaum das Gesellschaftssystem in seiner Gänze einzufangen – um funktionierende Sozialstudie Deutschlands zur Weltkriegszeit zu sein wäre das aber nötig gewesen. So sieht der Zuschauer eine in jeglicher Hinsicht oppositionelle Dame in einem kriegsbegeisterten Land und einen Film mit einer Story ohne Hand und Fuß. Pathetisch, pragmatisch, weniger gut.
«Clara Immerwahr» ist am Mittwoch, 28. Mai um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.