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«Sternstunde ihres Lebens» - Degeto killt Relevanz?

Iris Berben spielt Elisabeth Selbert, Mitglied des Parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz der Bundesrepublik entwirft. Ein spannender Stoff. Doch der Degeto-Duktus macht viel zunichte...

Cast und Crew

Vor der Kamera:
Iris Berben («Rosa Roth») als Elisabeth Selbert
Rudolf Kowalski («Kommissar Stolberg») als Adam Selbert
Anna Maria Mühe («Deckname Luna») als Irma Lankwitz
Maja Schöne («Tatort - Stuttgart») als Lore Mertens
Steffen Will («Heldt») als Kurt Mertens
Max von Thun («Anna Karenina») als Heinrich Bode
Lena Stolze («Der Elefant: Mord verjährt nie») als Frieda Nadig
Hinter der Kamera
Produktion: thevissen filmproduktion
Drehbuch: Ulla Ziemann
Regie: Erica von Moeller
Kamera: Sophie Maintigneux und Connie Beißler
Produzentin: Juliane Thevissen
Wenn Iris Berben am Rednerpult steht, in der ersten Szene, die das Resultat der folgenden neunzig Minuten Film vorwegnimmt, und dort feierlich und stolz diesen wunderbaren Satz sagt, diese große Errungenschaft des Parlamentarischen Rats verkündet, die ja nur eine von vielen war, „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, dann weiß man: Hier soll es um Großes gehen, Wichtiges, Staatstragendes. Das darf man erwarten, schließlich zahlt man dafür seine Demokratieabgabe. Dass die Hauptfigur eines großen historischen Stoffs der Nachkriegszeit einmal von Iris Berben statt von Veronika Ferres verkörpert wird, setzt schon mal ein positives Vorzeichen.

Und in der Tat: Dieser Film, der das kurze politische Wirken der Rechtsanwältin Elisabeth Selbert nachzeichnet, die als eine der letzten Anwältinnen in der Weimarer Republik eine Zulassung erhielt, die ihr die Nazis kurz darauf wieder entzogen, deren Mann im Dritten Reich im KZ gelandet war und gottlob überlebte, und die als eine von nur vier Frauen im Parlamentarischen Rat einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Neuordnung Deutschlands geleistet hat, erzählt die für seine Geschichte relevanten verfassungsrechtlichen Konflikte, die sich im Bonn in der zweiten Jahreshälfte 1948 abspielten, mit dem gebührenden Ernst und dem notwendigen Maß an Differenziertheit.

Selbert, die die bedingungslose Gleichberechtigung von Mann und Frau fordert, ist eine Außenseiterin. Sogar zwei andere weibliche Ratsmitglieder, eine von der CDU, die andere vom bald faktisch ausgestorbenen Zentrum, stellen sich lange gegen sie. Viele Männer aus dem konservativen Lager sowieso. Und wenn man die so reden hört von „christlicher Familientradition“, die die vollumfängliche Gleichstellung der Geschlechter angeblich untergraben würde, wenn abartige Satzkonstrukte wie „Gleiches soll gleich, Verschiedenartiges soll in seiner Verschiedenartigkeit behandelt werden“ die konservativen Pseudo-Alternativen zu „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ sein sollen, wenn Selbert all die vorgeschobenen Argumente entlarvt, mit denen die Reaktionäre so ankommen, kann man nicht anders, als sich an die aktuelle Debatte um die Gleichstellung Homosexueller erinnert fühlen, – und zieht unweigerlich Parallelen zu all den Matusseks, Reiches und Kelles. In der Hoffnung, dass die Geschichte ihre dummen Pamphlete und Talk-Show-Soundbites einmal als genauso überkommen bewerten wird, wie die Anti-Gleichstellungsthesen eines Albert Finck.

Doch die Geschichte von Elisabeth Selberts Kampf für die Gleichberechtigung ist nicht die einzige Geschichte, die «Sternstunde ihres Lebens» erzählen will. Vielmehr soll sie sich in den Irrungen und Wirrungen der Büroangestellten Irma Lankwitz spiegeln – und spätestens da merkt man, dass die Degeto ihre Finger im Spiel hatte. Denn diese mädchenhafte, tollpatschige, naive Irma, bei der Anna Maria Mühe stets das Mädchenhafte, das Tollpatschige und das Naive betont, bandelt mit einem feschen Mitglied des Parlamentarischen Rats an – doch der Typ ist, wie sich schließlich herausstellt, eigentlich verheiratet, was Irma nur schwer verkraftet.

Diese forcierte Kontrastierung zwischen der toughen, hoch intelligenten Elisabeth und der dümmlich-naiven Irma drängt die politische Relevanz des vordergründigen Geschehens viel zu oft in den Hintergrund, anstatt sie in einem Konflikt auf der persönlichen Ebene der Figuren fassbar zu machen, sie infantilisiert und banalisiert. Der Stoff um eine toughe Frau, die gerade die verfassungsrechtliche Grundlage für ein ganzes Land miterschafft, und die albernen Bettgeschichten einer Büroassistentin – das passt nicht zusammen, wirkt in dieser forcierten, relevanzlosen Gegenüberstellung plump und billig.

Was hätte aus diesem Stoff werden können, hätte ihn ein Autor vom Kaliber eines Aaron Sorkin erzählt! Nein, diese Frage darf man nicht stellen, sonst verzweifelt man an der «Sternstunde ihres Lebens», an der Inkonsequenz, in deren Rahmen der Film politische Relevanz mit klischeehaften Coming-of-Age-Geschichtchen vermischen will, die in dieser radikalen Banalität nur von der Degeto kommen können.

Die eine Hälfte des Films, nämlich die, in der Iris Berben als Elisabeth Selbert für die Gleichstellung von Mann und Frau kämpft, ist großartig. Die andere Hälfte, nämlich die um ein naives Büromäuschen und seine Affäre mit einem ranghohen Politiker, ist derweil nicht nur vollkommen überflüssig, sondern dem eigenen Relevanzanspruch abträglich. Ohne sie hätte «Sternstunde ihres Lebens» eine Sternstunde des Fernsehfilmjahres sein können.

Das Erste zeigt «Sternstunde ihres Lebens» am Mittwoch, den 21. Mai um 20.15 Uhr.
20.05.2014 12:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/70824
Julian Miller

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Sternstunde ihres Lebens

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