Bjarne Mädel in einem ZDF-Fernsehfilm der Woche, der sich nicht entscheiden kann, ob er Mystery, Thriller oder Drama sein will.
Cast und Crew
Vor der Kamera: Julia Koschitz («Ruhm») als Johanna Bischoff, Bjarne Mädel («Stromberg», «Der Tatortreiniger») als Jan Faber, Matthias Habich («Morgen musst Du sterben») als Dr. Georg Bischoff, Ruth Reineke («Weissensee») als Dr. Charlotte Bischoff, Hannes Wegener («Westwind») als David Fernandez
Hinter den Kulissen: Regie: Christian van Castelberg, Buch: Annette Hess & Christiane Hess, Musik: Ralf Wienrich, Kamera: Eeva Fleig, Schnitt: Dagmar Lichius, Produktion: Ziegler Film
Der Name Bjarne Mädel ist für Kenner des deutschen Fernsehens untrennbar mit Qualität verbunden. Allein aus dieser Perspektive ist es nicht so schlecht, wenn eine Produktion mit ihm in der Besetzung aufwartet. Im ZDF-Fernsehfilm der Woche, der den Titel «Die Toten von Hameln» trägt, spielt Mädel dann auch gewohnt souverän. Umso bedauernswerter, dass er in den ersten 25 Minuten so gut wie gar nicht zu sehen ist – und seine Screentime auch danach begrenzt bleibt.
So wird der eigentliche Star dieses Films keiner der Darsteller, sondern, und das alleine ist schon ungewöhnlich, eine Sage. Genauer gesagt die Geschichte des Rattenfängers von Hameln: An einem Berg soll der Rattenfänger 130 Kinder entführt haben. Gerüchteweise handelt es sich dabei um einen Sektenführer, manche Stimmen behaupten auch es habe schlicht und ergreifend einen Erdrutsch gegeben. So oder so liegt die Vermutung nahe, dass der Sage eine wahre Begebenheit zu Grunde liegen könnte. Das Autorinnen-Duo Annette und Christiane Hess hat diese Story in die heutige Zeit übertragen und das mit einer durchaus spannenden Konzeptidee.
Erzählt wird die Geschichte um Chorleiterin Johanna Bischoff (Julia Koschitz), die in Begleitung des Organisten David Fernandez (Hannes Wegener) und ihrem Mädchenchor zu einem Konzert nach Hameln fährt. Für Erstere ist das zugleich eine Rückkehr in ihre Heimat. Insbesondere beim Besuch ihres Vaters Georg (Matthias Habich) wird Johanna aber immer wieder von Visionen heimgesucht, in denen die immer gleiche Leiche auftaucht. Johannas Situation gerät außer Kontrolle, als bei einer Bergwanderung vier Mädchen und der Organist verloren gehen – dramatische Suchaktion inklusive.
Als ob das allein nicht schon genug wäre muss die Protagonistin nach und nach Erkennen, dass das verschwinden von Jugendlichen zu Beginn des zweiten Weltkrieges – darunter der Onkel von Johanna – eng mit ihrer Familiengeschichte verbunden ist. Inhaltlich findet sich an dieser Stelle, gerade zum Ende hin Geschichtsverarbeitung auf intensivste Art wieder. Von der NS-Zeit so drastisch und zugleich nicht auf ausgelutschte Weise zu erzählen ist stark. Das Alles hätte handlungstechnisch für einen 90-minütigen Fernsehfilm sicher gereicht, doch der aufmerksame Leser hat gemerkt: Bjarne Mädel ist bis dahin gar nicht aufgetaucht. Der tut sich in der Rolle als Polizist Jan Faber hervor. Als dieser seiner Verflossenen Johanna begegnet tun sich alte Wunden auf.
Und schon allein in dieser kurzen Beschreibung zeigt sich ein großes Problem, dass der Film aufweist: Er ist inhaltlich völlig überfrachtet und wirr. Dabei ist die Story gar nicht allzu komplex, aber gerade der Handlungsstrang um Mädel erscheint überflüssig. Fast könnte man meinen er wurde nur in die Handlung geschrieben, damit das stärkste Ensemble-Mitglied irgendwie in der Geschichte unterzubringen ist. Das wäre auch ein Erklärungsansatz, warum dieser Handlungsaspekt immer dann präsent wird, wenn der Zuschauer sich gerade eher Thrill denn Lovestory wünschen würde.
Trotz dieser inhaltlichen Überfrachtung gelingt dem Film erstaunliches: Denn auf der anderen Seite ist die Erzählweise viel zu gemächlich als das längerfristig Spannung aufkommen könnte. Allein, es gibt starke Momente, so das Ende, in dem der Zuschauer packend in tiefe Abgründe einer Familie hineingezogen wird. Immer dann, wenn der Film Drama sein will, funktioniert er auch. Viel zu oft beabsichtigt er das aber gar nicht. Der Anfang erweckt den Eindruck der klischeehafteste Horror-Film zu sein, den je ein Mensch gesehen hat: Musik, Bild, naive Figuren – eigentlich sieht alles danach aus. Etwa eine Viertelstunde lang bleibt der Zuseher in diesem Glauben, ehe der Streifen langsam zum Mystery wandert und sich dann in loser Reihenfolge Drama-Elemente und Thriller-Momente abwechseln.
Im Gegensatz zum Anfang muss man dem restlichen Film zu Gute halten, dass er über weite Strecken eine gelungene musikalische Untermalung aufbietet. Weniger gelungen sind die Entscheidungen an einigen Stellen Filter und Zeitraffer einzusetzen. Auch die Kamerafahrten sind nicht immer stimmig.
Schauspielerisch zeigt sich, von Mädel abgesehen, viel Stückwerk. Wirklich konstant sind die wenigsten der Darsteller, die Meisten haben ihre starken Momente ebenso wie ihre schwächeren. Allein der Mädchenchor fällt von der Spielleistung ab – wobei ihnen das Buch die Arbeit zugegebenermaßen nicht leichter macht. Vor allem ihre Charaktere sind nämlich hemmungslos überzeichnet. So bleibt das Gefühl, dass alles Figuren kräftig mit dem Klischeepinsel angestrichen wurden.
Letztendlich bekommt der Zuschauer einen Film mit zwei Gesichtern zu sehen. Gerade die letzte Viertelstunde entschädigt für viele Schwächen, die es gerade in der ersten Stunde allzu häufig gibt. Zum Ende sehen wir eine charakterstarke Protagonistin, die eine ebenso starke Entscheidung trifft. Doch der finale Twist mag für Manchen ein wenig unglaubwürdig sein, das große Ganze ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Die kluge Grundidee hätte das Potenzial gehabt eine filmische Sozialstudie, ein anspruchsvolles Drama oder ein packender Mystery-Thriller zu sein. Weil sich die Macher aber für keines davon entschieden, ist ein Konstrukt entstanden, das zwar nicht wirklich schlecht ist, aber seine Möglichkeiten bei weitem nicht ausschöpft.
«Die Toten von Hameln» läuft am Montag, 19. Mai um 20.15 Uhr im ZDF. Am Tag zuvor gibt es den Fernsehfilm der Woche um 21.45 bei zdf_neo zu sehen.