Mit «Mission Familie» hat Sat.1 am Mittwoch heimlich ein von RTL bekanntes Format ins deutsche Fernsehen zurück gebracht. Warum man die Herkunft gerne verschweigt und warum damit ein echter Rowdie seine Lederjacke ablegt, sagt Manuel Weis.
Wer ist Dr. Alina Wilms?
Die Psychologin ist verheiratet mit Richter und Gerichtsdirektor Ralf Wilms. Sie engagierte sich 2002 für die Überlebenden des Amoklaufs am Erfurter Gutenberg-Gymnasium als gesamtkoordinierende Nachsorgeleiterin. Seit 2004 trägt sie den Doktortitel. In ihrer Privatpraxis begleitet die approbierte Psychologin Kinder, Erwachsene, Paare und Familien. Desweiteren unterstützt sie Gerichte als psychologische Gutachterin, Persönlichkeiten aus Sport, Wirtschaft und Politik durch spezialisierte Coachings und Schulen. Vor zwei Jahren erwarbdie Halbinderin an der renommierten Oxford University ihren fünften universitären Abschluss in Psychologie.
Quelle: Sat1.de
Wer erinnert sich nicht gern an seine eigene Schulzeit zurück? So eine Schulklasse ist in der Vielzahl der Fälle ein bunter Haufen aus den verschiedensten Charakteren. Stille, kluge, laute, anstrengende, lustige Typen und Mädels. Oft ist es so, dass den wahren Rowdies in einer Klasse die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird – die haben irgendwie eine spezielle Stellung. Die ruhigen und seriösen, die sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren, erscheinen auf den ersten Blick manchmal etwas langweilig. Im Fernsehen verhält sich das recht ähnlich. Da hat Sat.1 am Mittwochabend eine Reality-Show zurückgebracht, die früher ein wirklicher Rowdie war.
Und deshalb will man mit dem Ursprung des Formats auch gar nichts mehr zu tun haben. Bei der neuen Coaching-Sendung
«Mission Familie» handelt es sich nämlich schlicht und ergreifend um das international vertriebene Format «Die Super Nanny», die bei RTL 145 Folgen lang zwischen 2004 und 2011 gesendet wurde. Dass Sat.1 damit möglichst nicht in Verbindung gebracht werden will, hat einen guten Grund. Die KJM (eine Kommission für Jugendmedienschutz) hatte das RTL-Format einst als „sehr problematisch“ eingestuft, der Deutsche Kinderschutzbund monierte, «Die Super Nanny» stelle ein Bild dar, dass komplexe Probleme innerhalb weniger Tage zu lösen seien. Im Jahr 2011 soll die Sendung sogar gegen die Menschenwürde verstoßen haben.
Sogar die einstige „Super Nanny“, Katja Saalfrank, nahm schließlich von der Sendung Abstand. Dass sich nun eine bisher recht angesehene Psychologin wie Dr. Alina Wilms genau für ein Konzept mit derart miserablem Ruf hergab, ließ schon einmal aufhorchen und eine Vermutung aufkommen, die sich am Mittwochabend auch bestätigt hat. Die Produktionsfirma Tresor TV, die die deutschen Rechte an der Sendung besitzt, hat in den rund drei Jahren kräftig gefeilt – man könnte sagen, der einstige Draufgänger ist ziemlich erwachsen geworden.
Es geht nicht mehr darum, sozial schwache Familien und deren Umfeld zu zeigen – es gibt keine Schreieren oder Bilder, die wirklich Gewalt vermitteln. Man verzichtet komplett auf die damals für RTL so typischen Farbfilter – kurz: Es wird nicht dramatisiert. Auch die Einführung in den jeweiligen Fall fällt nun bedeutend kürzer aus als früher bei RTL. Wilms kommt bereits nach wenigen Minuten zum Einsatz. Stattdessen wird der Ratgeber-Charakter des Formats in den Vordergrund gestellt. Immer wieder werden kurze „Praxis Tipps“ eingeschoben, in denen Dr. Alina Wilms direkt in die Kamera sprechend Begriffe erklärt und am Mittwoch zum Beispiel sagte, weshalb es eine wirksame Methode sein könnte, wenn sich Eltern an der Supermarktkasse, sollte ihr Kind dort über die Maßen quengeln, einfach auf den Boden werfen und laut schreien.
Ein ebenfalls neues Element ist die „mobile psychologische Einsatzzentrale“, in die Wilms die Eltern des diesmal angeblich unter ADHS leidenden 8-jährigen Jannik einladen, und dessen Vergangenheit dort noch einmal genau aufdröseln. Der kleine Wohnwagen mit dem hochgegriffenen Namen verleiht der Sendung ebenfalls mehr Ernsthaftigkeit als das bei dem Vorgänger der Fall war. Das Gesamtbild des Formats ergibt einen harmonischeren Ton. Als Lösungsmethoden hat Wilms beispielsweise einen philipinischen Stockkampf parat – eine gern angewandte Meditationsübung.
«Mission Familie» hat also bis auf den Grundansatz nichts mehr mit dem einstigen RTL-Format zu tun – und deshalb ist es auch verständlich, dass Sat.1 selbst im Abspann darauf verzichtet hat, die Herkunft zu nennen. «Die Super Nanny» wurde am Mittwochabend komplett ausgeblendet. Eine Frage aber bleibt: Der Reality in dieser Form liegt fraglich ein starkes Format zugrunde – eines, das beim deutschen Marktführer in der Zielgruppe über sieben Jahre hinweg stets die Primetime eröffnet hat. Wieso hat Sat.1 nur Mut, die erste Staffel der Neuauflage um 22.10 Uhr anzusetzen? Ist man in Unterföhring der Annahme, dass die vorgenommenen Änderungen an dem Konzept zu weniger Aufmerksamkeit des Publikums führen könnten? In seiner jetzigen Form ist «Mission Familie» nämlich weit weniger spektakulär als es die «Super Nanny» einst war. Allzu viel Vertrauensvorschuss also hat der Sender nicht gegeben – und genau das wäre doch eigentlich wichtig.