Deutsche Senderverantwortliche haben eine verzerrte Wahrnehmung von den Serien, die sie produzieren, meint Julian Miller. Ein Kommentar.
Es scheint nicht nur eine Frage des Wollens zu sein, sondern auch eine Frage des Könnens. Oder besser: Des Nicht-Könnens und des Nicht-Erkennens. Anders lässt sich der Zustand der deutschen Serie (ja, wir befassen uns diese Woche
wieder damit) nicht mehr erklären.
So schlimm, wie Medienjournalisten es immer schreiben, sei es ja gar nicht, heißt es von Senderseite immer. Man habe ja «Verbrechen», «Weissensee» und «Danni Lowinski», an dem sogar mal Hollywood (na gut, TheCW) Interesse hatte.
Dass der Großteil der hierzulande produzierten Serien eher wie «Familie Dr. Kleist» oder «Um Himmels Willen» aussieht und realitätsfremde Geschichten mit unplausiblen Figuren und altbackener Dramaturgie erzählt, wird dabei aber nicht verschwiegen. Nein, es wird zelebriert.
«Der Bergdoktor» sei nicht per se ein schlechteres Format als das amerikanische «House». Nein, der «Bergdoktor» habe nur einen anderen narrativen Fokus,
analysierte mal ein hochrangiger Senderverantwortlicher. Der Verdacht liegt nahe, dass der Mann das ernst meinte.
In den Kommentarspalten unter einem
Leitartikel von Hans Hoff, in dem der Totalrumnörgler nicht ganz frei von Anlässen die Frage aufwarf, ob der deutsche Zuschauer (mittlerweile) einfach zu doof für amerikanische Qualitätsserien ist, schrieb ein erfolgreicher deutscher Produzent:
„Wer amerikanisches TV in der Breite kennt, weiß wieviel Sch.... da läuft. […] Das deutsche TV richtet sich eben nach dem Stammpublikum, daß [sic!] wird immer älter, hat es gerne bequem und liebt Gewohntes. Leichte, aber deutsche, weil nachvollziehbare Unterhaltung ist gewünscht. Gerne auch ein bißchen heile Welt, denn das Leben ist schon schwierig genug (vielleicht nicht bei Herrn Hoff). […] Das deutsche (fiktionale) Fernsehen ist in der Breite besser als das amerikanische. In der Spitze mag es umgekehrt sein.“ Das war wohlgemerkt keine spontane Verteidigungsreaktion gegenüber einem Journalisten, der unangenehme Fragen zur mangelhaften Qualität des fiktionalen deutschen Fernsehens stellte. Auch diese Zeilen muss man als die ehrliche Markteinschätzung eines Profis betrachten.
Und dann las man kürzlich in einem
hervorragenden Essay von Jochen Förster ein Statement der MDR-Fernsehspielchefin Jana Brandt, die angesichts des Hypes um all die grandiosen amerikanischen, britischen, skandinavischen und israelischen Produktionen bemängelte, es werde „so wenig über die Qualität von Serien wie «In aller Freundschaft», «Familie Dr. Kleist» oder «Um Himmels Willen» geschrieben“.
Dann tun wir das eben jetzt.
Eine auf den ersten Blick komplexe Frage, nämlich die, warum so viele (engagierte) Zuschauer und Journalisten all die Qualitätsserien von den «Sopranos» über «Borgen», «Hatufim», «Sherlock» bis hin zu «Breaking Bad» und «Boardwalk Empire» mit riesigen, weltweiten Hypes abfeiern, ist schnell und überraschend einfach beantwortet: All diese Serien erzählen herausragende Geschichten auf innovative, neuartige Weise und sprengen eine Konvention nach der anderen. Sie haben markige Darsteller, die eher der (oft avantgardistisch angehauchten) Nische als dem Mainstream entspringen. In ihrem narrativen Zentrum stehen komplexe Charaktere, an denen man sich reiben kann, Figuren, die polarisieren und anecken – sowohl innerhalb des Handlungsgeflechts als auch hinsichtlich ihrer Rezeption beim Zuschauer.
Ganz anders funktioniert ein Format wie «Um Himmels Willen». Statt herausragenden Geschichten spielt sich dort jede Woche nahezu das gleiche ab, nur mit anderen Spezifika. Statt starken Charakteren zeigt man kaputtstereotypisierte Figurenimitate, die sicher alle Zuschauer irgendwie ganz nett finden. Jede Wendung wird überstilisiert, jedweder halbwegs dramatische Satz lieber deklariert, als gesprochen. Anstatt freimütig spannende Geschichten und Charaktere zu entwerfen, versucht man, eine bestimmte Zielgruppe zu erwischen - die, die es gerne bequem hat und Gewohntes liebt.
Bei «Boardwalk Empire» zeigt man, wie sich ein hochrangiger machtversessener Regierungsbeamter durch das Atlantic City der 20er Jahre intrigiert, mit der Mafia gemeinsame Sache macht, Morde befiehlt, Untergebene drangsaliert.
«Breaking Bad» erzählt davon, wie ein todkranker, grundsympathischer Chemielehrer zu einem
Villain aus der Unterwelt wird.
«House of Cards» handelt von dem erbitterten Rachefeldzug eines enttäuschten Politikers, von Machtbessessenheit und Größenwahn.
Und «In Aller Freundschaft»? Da führt der Krankenpfleger am Flussufer eine Krönlein-Bohrung mit dem Akkuschrauber durch.
In der deutschen Fiction-Branche scheint sich ein großes Missverständnis breit gemacht zu haben, nämlich die Annahme, eine Serie sei schon gut und qualitativ ansprechend, wenn sie ein möglichst breites Publikum findet – vorzugsweise eines, das es gerne bequem hat und Gewohntes liebt.
So lange sich dieses Missverständnis nicht ausräumen lässt, so lange hochrangige Branchenvertreter ernsthaft (!) bei einer Gegenüberstellung von «Bergdoktor» und «House» keine gravierenden qualitativen Unterschiede ausmachen können, so lange man das erzählerische Heil ausschließlich im Berieseln und nur zu Alibizwecken im Fordern sieht, so lange wird es in Deutschland bis auf eine Handvoll Ausnahmen im Jahr nur Serienformate geben, mit denen man sich im internationalen Vergleich mit wesentlich kleineren Märkten lächerlich macht.