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Auf der Jagd nach 'Viewsern'

Das Fernsehen droht immer mehr vom Internet verdrängt zu werden und viele junge Zuschauer zu verlieren. In Magdeburg trafen sich Brancheninsider, um ihre Crossmedialen-Strategien auszutauschen.

„Wir sind alle auf der Suche nach dem Next Big Thing“, gab Janina Schüller, Channel Managerin der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH, bei Ihrem Vortrag auf der diesjährigen Fachkonferenz „Think CROSS - Change MEDIA“ an der Hochschule Magdeburg zu. Um diesen nächsten großen Hit tatsächlich erreichen zu können, sehen sich die großen Medienhäuser derzeit gezwungen, ihre Inhalte abseits der klassischen TV-Frequenzen auch über andere Kanäle verbreiten zu müssen. Innerhalb des ProSiebenSat.1-Konzerns werde diese Strategie laut Schüller als „Digital Entertainment Powerhouse“ bezeichnet.

Ein solcher Anspruch führt allerdings zu weitreichenden Veränderungen innerhalb der Branche. So verwies Kristian Costa-Zahn vom UFA Lab darauf, dass sich die traditionsreiche Firma UFA längst nicht mehr als „reinen Filmproduzenten“, sondern nun als „Content-Produzenten“ versteht. Im Vordergrund stehe demnach zunächst der Stoff, aus dem sich dann erst die Wahl der genutzten Plattform (TV, Online, Mobile-App oder Games) ableiten würde. Das UFA Lab stellt dabei die digitale Produktions-Unit der UFA dar, die neben eigenen Formaten wie «Wer rettet Dina Foxx?» auch SocialMedia-Kampagnen für Serien wie «Doc meets Dorf» entwickelt und eigene YouTube-Kanäle betreibt.

Obwohl es auf dem Gebiet der Cross- bzw. Transmedialität bei den meisten Fernsehanbietern derzeit noch erheblichen Nachholbedarf gibt, stellte Costa-Zahn fest, dass selbst „große Broadcaster mittlerweile trimedial denken“ würden. Demnach werde bei der Implementierung neuer Angebote vermehrt darauf geachtet, dass Beiträge im Fernsehen und Online ausgespielt werden können. In diesem Zusammenhang sei besonders das ZDF anderen Sendern voraus.

Der Anspruch des UFA Labs geht über eine schlichte Auswertung von Sendungen auf verschiedenen Systemen hinaus. Vielmehr versucht das Unternehmen medienübergreifend Geschichten etwa durch die Verknüpfung einer Serie mit einem Online-Game oder mit einer Mobile-App zu erzählen. Mit dieser Transmedialität entstehen laut Costa-Zahn allerdings große Herausforderungen, denn „damit die Verweise [zwischen den Medienprodukten] wirklich funktionieren, müssen sie weit vorgedacht werden.“ Die Umsetzung eines plattformübergreifenden Projekts sei daher bezüglich der Planung viel aufwändiger als bei klassischen TV-Sendungen. Schließlich habe man nun wesentlich mehr Gewerke, die gewöhnlich unabhängig voneinander arbeiten, einzubinden und auf einander abzustimmen. Etwa müsse das Design der Kostüme nicht nur zur Spielhandlung, sondern auch zum vierten Level des zugehörigen Games passen. Kürzlich wäre man beispielsweise für ein Format auf der Suche nach einem geeigneten Drehort gewesen. Da man keine Location gefunden hatte, die sowohl den Ansprüchen der Film-Crew als auch denen der Game-Programmierer entsprach, blieb letztlich nur die Möglichkeit, den gewünschten Raum extra bauen zu müssen.

Noch sind viele solcher Aktionen finanziell nicht lukrativ und die TV-Ausstrahlungen weiterhin am ertragreichsten. Dennoch sind sich die Verantwortlichen von ProSieben Sat.1 sicher, dass in der medienübergreifenden Auswertung ihrer Inhalte die wirtschaftliche Zukunft des Unternehmens liegt - allein deswegen, weil die Zuschauer dies inzwischen „erwarten“ würden, wie Schüller sagte. Ziel sei es daher, neue Verbreitungswege und frische Vermarktungsmodelle zu kreieren, um sich "First-Mover-Vorteile“ sichern und dadurch bestenfalls „den Marktstandard definieren“ zu können. Dahinter verbergen sich große Anstrengungen, denn Schüller berichtete davon, dass man sich in ihrem Haus derzeit noch auf das Aufbrechen der früheren Strukturen und noch nicht auf die Erarbeitung origineller Inhalte konzentrieren müsse. Derzeit ginge es daher stark darum, die Trägheit des Konzerns, den sie als einen „Öltanker“ beschrieb, zu überwinden.

Wie genau eine produktive Verknüpfung der verschiedenen Plattformen aussehen kann, scheint noch unklar zu sein. Schüller beschwor zwar häufig diese Notwendigkeit, aber greifbare Ansätze nannte sie kaum. Stattdessen wiederholte sie unentwegt den Appell: „Wir müssen innovativ und kreativ sein!“ Solche aktuell inflationär gebrauchten Forderungen nach mehr Innovationen und Kreativität blieben einmal mehr leere Worthülsen und wurden erneut dazu benutzt, um einen Mangel an konkreten Konzepten zu verschleiern. Immerhin habe man jüngst eine Zweigstelle im amerikanischen Silicon Valley eröffnet, um dort neue inhaltliche, technische sowie strukturelle Impulse und Kontakte sammeln zu können.

Als vollständig umgesetztes Crossmedia-Angebot stellte sich in Magdeburg schließlich das ursprünglich Schweizerische Unternehmen joiz vor, das seit rund einem halben Jahr mit einem deutschen Ableger sein Programm via Fernsehen, Website und Mobile-App ausstrahlt. Der Head of Sales der deutschen Sparte, Ralf Osteroth, verwies mehrfach darauf, dass die Zuschauer und Nutzer – unternehmensintern als „Viewser“ bezeichnet – jederzeit in das Programm mithilfe von Chats, Skype, Facebook und Twitter eingreifen könnten. Diese Reaktionen seien im Programm dann anhand von Einblendungen auf großen Screens oder in Bauchbinden sichtbar. Weil die enge Verzahnung der Plattformen die grundlegende Basis für das gesamte Angebot sei, würde man bei joiz nicht mehr zwischen First und Second Screens unterscheiden, sondern von gleichwertigen Sphären ausgehen. Wir haben nur „große und kleine Screens“, so joiz-Moderator Maurice Gajda.

Trotzdem gab auch Osteroth zu, dass der finanzielle und werbebezogene Schwerpunkt weiterhin auf dem TV-Signal liegt. Deshalb werde man ab April die TV-Quoten von der AGF messen lassen und damit der Forderung der Werbewirtschaft nachkommen. Allerdings erwarte das Unternehmen keine allzu positiven Werte, weil der Altersdurchschnitt des AGF-Panels dafür zu alt sei.

Die meisten in Magdeburg vorgestellten Konzepte, Ideen und Ansätze verband indessen der Umstand, dass sie zwar auf verschiedenen Plattformen präsent waren, die einzelnen Sparten dabei allerdings stets eigenständig nutzbar blieben – dass also die TV-Episoden auch ohne Online-Aktivitäten zu sehen und verstehen sind. Dies betraf ebenso das sogenannte Social TV von joiz, wo sich die Online-Aktivitäten der Netzcommunity letztlich lediglich darin ausdrücken, dass Chatbeiträge und Tweets eingeblendet oder vorgelesen werden. Nichts anderes fand schon vor Jahrzehnten mit Anruferfragen und Faxeinsendungen im analogen TV-Programm statt.

Bisher sind – zumindest aus Sicht des Fernsehens – all die netten Online-, SocialMedia- und Mobile-Maßnahmen daher nur kleine Gimmicks, die aber die Fernsehformate selbst kaum beeinflussen, denn sie funktionieren eben genauso ohne diese neuen Möglichkeiten. Kann in diesem Fall dann jedoch ernsthaft von Cross- oder gar Transmedialität gesprochen werden? Ist diese nicht erst wirklich erreicht, wenn das TV-Format nur genießbar ist, wenn man sich auch an den Netz-Aktivtäten beteiligt? Ist nicht erst dann ein wirklicher Mehrwert durch die Verbindung der Medien erreicht?

Projekte, die einem solchen Ehrgeiz entsprechen können, wurden auf der Konferenz von den großen Anbietern nicht vorgestellt. Der Markt ist damit zwar in Bewegung, vom „Next Big Thing“ ist man aber offenbar noch weit entfernt. Und angesichts der bisherigen finanziellen Erlöse wohl ebenso vom baldigen Tod des klassischen, linearen Fernsehens.
25.03.2014 14:17 Uhr Kurz-URL: qmde.de/69751
Christian Richter

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Doc meets Dorf Wer rettet Dina Foxx?

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