Nach rund 18 Jahren wird Harald Schmidt seine Late-Night-Show in der nächsten Woche beenden. Ein Rückblick auf die jüngste Sky-Zeit, auf legendäre Fernsehmomente mit Manuel Andrack und auf ein besonderes ‚Endspiel‘ im Jahr 2003…
Am 23. Dezember 2003 verabschiedete sich Harald Schmidt von seinem Publikum mit absurdem Theater: Er führte Samuel Becketts Endspiel auf, irritierte damit seine Zuschauer und verschwand von der Bühne. Unsentimental, leise, fast gleichgültig. Sätze wie „Es ist ein Abend wie jeder andere, nicht wahr, Clov?“ aus Becketts Theaterstück hallten nach, und plötzlich befand sich der König der deutschen Late-Night-Unterhaltung in seiner Kreativpause. Neben Beckett ließ Schmidt an jenem Abend den „Liebling des Jahres“, eine beliebte Rubrik der «Harald Schmidt Show», per Lostrommel und nicht durch Zuschauer bestimmen und seine Mitarbeiter ein Weihnachtslied im Chor anstimmen – Nihilismus auf der einen, Traditionsbewusstsein auf der anderen Seite. Schmidt lieferte damals viel Stoff zur intellektuellen Interpretation, befand sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
In den Wochen vor dem Ende der Show wurde viel geschrieben und gejammert, man sah das Ende hochkultureller Fernsehunterhaltung gekommen. Gut zehn Jahre später können sich die Propheten von damals bestätigt sehen: Zwar kam Schmidt ein Jahr nach seiner Pause wieder auf die Bildschirme zurück – in der ARD und mit einem lukrativen Vertrag ausgestattet –, aber an die glanzvollen Zeiten der ersten Sat.1-Ära sollte er nicht mehr anknüpfen können. Knapp drei Jahre witzelte Schmidt mit seinem kongenialen Sidekick Manuel Andrack im Ersten weiter, 2007 folgte «Schmidt & Pocher», das heute als Irrtum der Geschichte abgestempelt wird. Zwei Jahre zeigte die ARD, dass die beiden nicht zusammen passten. 2009 rehabilitierte Schmidt sich partiell, auch dank des jungen Ensembles um Katrin Bauerfeind, Jan Böhmermann und Pierre M. Krause. Es folgten noch zwei Gastspiele bei Sat.1 (2011-12) und Sky (bis 2014), beide quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Ziemlich ruhig war zuletzt es geworden um Harald Schmidt. Dass seine Show ins zweite Jahr bei Sky ging und dort nach den Champions League-Übertragungen oder auf den Film-Sendern ein rechtes Schattendasein fristete, interessierte medial kaum noch. Die Zuschauerzahlen schwankten um die 100.000 – was an sich kein schlechter Wert ist. Neben der abgeflachten medialen Wirkung schien aber auch die im Studio 449 produzierte Show immer schlechter zu werden. Hinter vorgehaltener Hand wurde sich darüber beschwert, der ehemalige Late Night-King sei immer gelangweilter. In der Tat hat Schmidt einige Shows abgeliefert, über die er in zwei, drei Jahren wohl selbst lästern wird.
«Die Harald Schmidt Show» hat sich seit dem Wechsel zu Sat.1 vor drei Jahren nicht mehr neu erfunden – selbst Aktionen mit Sidekick Olli Dietrich, der Dauergast bei Schmidt geworden ist, wirkten mehr und mehr abgenutzt. Die Absetzung von Sky ist daher nur folgerichtig – und sollte seitens Schmidt nicht nur damit begründet werden, dass es dem Sender um frei werdendes Geld ginge. Tränen kommen Schmidt-Jüngern nur dann in die Augen, wenn er plötzlich wieder Shows abliefert wie am Dienstag, als er die Geschichte seiner Sendung mit Playmobil nachspielte, Manuel Andrack in Bier ertränkte, über die fast schon legendäre Rhein-Fahrt lästerte oder über Ottfried Fischer herzog. Es sind lediglich kurze, lichte Momente, die daran erinnern, warum Schmidt vor zwölf Jahren vollkommen zu Recht 15 Prozent Marktanteil oder mehr hatte. Nur leider tauchte er zuletzt viel zu selten aus dem Schatten seiner selbst heraus.
Analog zum sinkenden Erfolg der Schmidt-Sendungen verlor auch die Relevanz seiner Person an Bedeutung. 2003 war halb Fernsehdeutschland entsetzt über das vorläufige Ende seiner Show, heute nimmt kaum jemand Kenntnis, dass Harald Schmidt am kommenden Donnerstag von der TV-Bühne tritt – diesmal wohl endgültig. Mit der «Harald Schmidt Show» endet dann auch die Ära der klassischen Late-Night im deutschen Fernsehen, die Schmidt allein in den vergangenen 18 Jahren geprägt hat. Er sollte am 5. Dezember 1995, zum Start des Formats, der deutsche David Letterman werden, doch die Kopie der großen US-Show funktionierte nur bedingt. Schmidt passte die Sendung dem deutschen Publikum an, nahm sich neue Freiheiten und installierte im Jahr 2000 Manuel Andrack als Sidekick.
Diese Entscheidung sollte dem Format den Durchbruch beim großen Publikum und anhaltenden Quotenerfolg bringen. Mit Andrack hatte Schmidt einen Mann an seiner Seite, der intellektueller Gespräche fähig war und die geliebten Diskussionen über Medien und Fernsehprogramme führen konnte. Wo Schmidt der distanzierte Zyniker war, porträtierte Andrack den sympathischen Deutschen – Lieblingshobbys: Wandern, Bier trinken, Sport gucken. Schmidt repräsentierte die Hochkultur, Andrack das Publikum, beide hatten Schnittmengen – und genau diese ließen die «Harald Schmidt Show» oft zu Höchstform auflaufen. Es wurden Türklinken und Waschbecken sozialpsychologisch interpretiert, Schreibtischfahrten nach Japan und den Drachenfels inszeniert, es wurden Szenen des gesellschaftlichen Miteinander im Bistro oder im Zug parodiert, es wurden Alltagsbesuche im Supermarkt und in der Videothek nachgespielt. Und es wurde an Weihnachten so verstörend gewichtelt, dass beim Publikum kein Auge trocken blieb. Es war Fernsehen, das in Erinnerung bleibt.
Ein Blick auf die Late-Night-Quoten in den USA
Der Late-Night-Klassiker «The Tonight Show» hat jüngst seinen Host ausgetauscht. Jimmy Fallon erreichte in den ersten drei Wochen höhere Quoten als Conan O'Brien, der das Late-Night-Flaggschiff 2010 kurzzeitig übernommen hatte. Zuletzt sahen rund fünf Millionen Menschen die «Tonight Show» und damit deutlich mehr als bei Fallons Vorgänger Jay Leno und auch mehr als bei der Konkurrenz. Auch beim jungen Publikum ist Fallon weiterhin beliebt – mit Quoten, die bisher rund 40 bis 60 Prozent über den Werten von Leno liegen.Viele Zuschauer haben gerade die letzte Sendung 2003 – Becketts Endspiel – aus dieser erfolgreichsten «Harald Schmidt Show»-Ära allerdings negativ in Erinnerung, gar verstörend. Genau so war es beabsichtigt: Schmidts bewusster Bruch mit der Erwartungshaltung des Publikums führte damals vor Augen, wie Fernsehen sonst funktionieren soll – nämlich Halt, Orientierung gebend und selbstreferentiell. Schmidt und seine Kollegen schlüpften in ungewohnte Rollen, präsentierten absurdes Theater statt Unterhaltung, spielten gegen die Regeln. Sie zeigten den Ausbruch Schmidts aus der Alltäglichkeit, die ihn zuletzt selbst oft eingeholt hat. Auf die Frage, warum er seine Late-Night immer weiter mache, sagte er einmal: „Gegen die Langeweile.“
Die Beckett-Sendung 2003 war ein Vorgeschmack auf das, was das legendäre Studio 449 bald mit neuem außeralltäglichen Leben füllen wird: Theaterschauspiel, und Schmidt höchstpersönlich auf der Bühne. Hoffen wir, dass er sich trotzdem hin und wieder im Fernsehen blicken lässt. Wenn auch nur bei arte oder 3sat.