Kultur ohne ein "Achtung" davor. Wie das funktioniert, zeigt Anke Engelke im WDR.
Im öffentlich-rechtlichen Regelbetrieb bedeutet Kultur fast immer „schwer vermittelbar“. Das ist etwas, das man auslagern muss, zu arte oder 3sat, oder, wenn man mal wieder versucht, die Jüngeren mitzunehmen, zu diesem obskuren ZDF.kultur, das es bald nicht mehr gibt. Und wenn's unbedingt im Hauptprogramm sein muss, dann erstens spätabends und zweitens in überkommener Präsentationsform, wie man das jahrelang an «aspekte» sehen musste, bevor die Sendung vor kurzem einen dringend benötigten umfangreichen Relaunch erfahren durfte.
Vor „Kultur“ steht zumeist ein riesengroßes „Achtung!“. Achtung, gleich wird’s schwierig! Achtung, gleich spricht man über Bücher und so. Achtung, gleich muss man mitdenken! Vorsicht, der Fußboden ist schon leicht klebrig, als hier zum letzten Mal einer feucht durchgewischt hat, war Tobi Schlegel noch bei ProSieben.
Was passiert, wenn man dieses „Achtung!“ wegnimmt, sieht man – noch besser als am überarbeiteten «aspekte» – beim WDR. Jedes Mal nämlich, wenn Anke Engelke Zeit hat und sich mehr oder weniger bekannte Kulturschaffende einlädt. Autoren, Schauspieler, Fotografen, Musiker.
Was dann passiert, ist die lässige Dekonstruktion der Talk-Show. Eine Kultursendung, die mühelos den Crossover ins Unterhaltungsgenre schafft, weil sie Kultur nicht als leidige Pflichterfüllung sieht. An «Anke hat Zeit» ist vieles ungewöhnlich. Das fängt damit an, dass sich die Moderatorin nicht ständig an irgendwelchen Karten festhält, um sich im Zweifelsfall versichern zu können, mit wem sie da gerade redet, und hört damit auf, dass sich die Teilnehmer der Sendung dem Zwang entziehen, ihre Gedanken und Ideen in bloßen Soundbites zu äußern.
Das führt zu einigen Dingen, die pedantische Banausen als unprofessionell kritisieren würden. Dass es zwischen zwei Sätzen mal zu einer längeren Pause kommt, weil das Gegenüber gerade nicht so genau weiß, wie man auf das gerade Gesagte jetzt antworten soll, und sich – absolut fernsehuntypisch – nun erst einmal ein paar Sekunden Zeit nehmen will, um vor dem Sprechen nachzudenken. Dass es im Gespräch thematische Brüche und Sackgassen gibt und man die nicht hinterher
in der Post rausschneiden lässt, damit auch jeder weiß, dass man
ein Vollprofi ist. Diesen pedantischen Banausen muss man mit Verständnis begegnen. Sie sind zu lange von «Markus Lanz» und «Günther Jauch» malträtiert worden und wissen nicht mehr, wie normale Gespräche zwischen zivilisierten Menschen ablaufen, die ihrem Gesprächspartner mit ehrlichem Interesse begegnen.
Eigentlich erschütternd, dass man es schon die Dekonstruktion der Talk-Show nennen muss, wenn Menschen im Fernsehen normal und interessiert über – Achtung! – Literatur, Musik und Kultur sprechen.