Das Dschungelcamp ist längst zu einer fiktionalen Mini-Serie geworden, die sich nicht mehr auf tatsächliche Ereignisse, sondern auf das Erzählen von spannenden Geschichten konzentriert. Und das ist gut so!
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Wenn der Wendler nicht will, dass Kameras auf ihn gerichtet sind, dann soll er wieder zum «Echo» gehen, da hat er das Problem nicht.
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Sonja Zietlow
Ganz unbeteiligt sind die Kandidaten an dieser Wirkungsweise nicht, denn auch ihnen ist bewusst, dass sie Rollentypen erfüllen sollen und müssen. Die ehemalige Dschungelkandidatin Ingrid van Bergen brachte dies kürzlich bei «Markus Lanz» auf den Punkt. Sie sagte, dass sie schlicht einen Vertrag unterschrieben hatte, den es zu erfüllen gab. Sie hätte daher strikt das gemacht, was man von ihr erwartet hätte. Selbst wenn nicht alle Bewohner derart abgeklärt mit ihrer Teilnahme umgegangen sind, sollte jedem bewusst gewesen sein, dass die eigene Außenwirkung entscheidend ist und man diese gezielt beeinflussen kann. Schon allein aus diesem Grund ist die Frage nach Authentizität und Ehrlichkeit hinfällig. Vor einer laufenden Kamera verhält sich niemand unverfälscht, sondern zeigt stets nur ein Abbild von sich selbst. Dass man die ständige Beobachtung irgendwann vergisst, kann angesichts der ständigen Befragungen vor sichtbaren Kameras und der Präsenz von kompletten Kamerateams bei Schatzsuche und Dschungelprüfung nur bedingt ernst genommen werden.
Solange das clever gemacht ist, ist dies alles überhaupt nicht verwerflich oder zu bemängeln. Im Gegenteil, gerade diese Konzentration auf das Erzählen von Geschichten macht den hohen Unterhaltungswert des Formats aus. Diese Eigeninitiative beim Konstruieren von Storys und Figuren hat sie ähnlichen Konzepten, die stärker darauf warten, dass etwas passiert, weit voraus. Fiktionale Komödien erzeugen im Kino auch das größte Gelächter. Dass ein Programm einem gezielten Ablauf verfolgt (egal ob nun mit ausformuliertem Drehbuch oder nicht), steht dem Entertainmentgrad nicht im Wege. Vielmehr lassen sich auf diese Weise amüsante Momente viel effektiver erzeugen. Der Mensch möchte gern Geschichten erzählt bekommen und das Dschungelcamp erfüllt diesen Wunsch sehr gezielt – eben nur in einer etwas anderen Form als es klassische Serien oder Seifenopern tun. Im Kern sind die Prinzipien dennoch die gleichen.
Was über die Fernsehbildschirme gelaufen ist, war lediglich das Bildnis von Larissa, Melanie und Co. Es waren Figuren, die in einem Theaterstück auftraten. Niemand, der die Lebensverhältnisse halbwegs überblickt, würde Christian Bale ernsthaft als Batman ansprechen oder glauben, dass Jan-Josef Liefers tatsächlich etwas von Obduktionen versteht, weil diese Menschen eben nur Figuren abbilden. Sicherlich, die Darstellung erfolgt durch andere Mittel und wahrscheinlich viel bewusster, aber auch die in ihren Filmen verkörperten Rollen haben meist wenig mit ihnen als Menschen gemein. Das gleiche gilt für das Dschungelcamp. Vielleicht hatten die Rollenzuschreibungen von Mola, Winfried und Jochen etwas mit ihren tatsächlichen Charaktereigenschaften zu tun. Zuweilen kommt das bei fiktiven Serien ebenfalls vor. Man denke nur an die Rollen von Charlie Sheen. Vielleicht waren sie jedoch frei erfunden. Vielleicht wurden die Kandidaten nur genau deswegen ausgewählt, um auf eine der gewünschten Rollen zu passen. Daher ist es müßig, sich darüber zu streiten, wer authentisch ist, ob jemand wirklich langweilig, tollpatschig oder gehässig ist.
Selbst wenn diese These extrem erscheint, lässt sich kaum verneinen, dass die Grenzen zwischen Realität und Inszenierung bei «Ich bin ein Star, holt mich hier raus!» sehr fließend und oft nicht zu erkennen sind. Sie verschwimmen so stark, wie bei keiner anderen Produktion. Warum dann nicht so konsequent sein und sie nicht mehr als Show oder gar als Reality bezeichnen, sondern schlicht als fiktionale Mini-Serie mit improvisierten Dialogen? Letztlich ist es beim Dschungelcamp ähnlich wie bei den Oscars. Es gewinnen diejenigen, die am besten ihre dargestellten Rollen ausfüllen können.