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Die Utopie der Konvergenz: Warum das Internet nicht ins Fernsehen passt

Am Samstag endete die «Millionärswahl» - wegen miserabler Quoten im TV gab es das Finale allerdings nur im Web. Warum das Format eigentlich von Beginn an zum Scheitern verurteilt war...

Am vergangenen Samstag ging das Experiment «Millionärswahl» vor einem äußerst kleinen Publikumskreis endgültig zu Ende. Was als „crossmediales Event“ gestartet war und das Internet mit dem Fernsehen vereinen wollte, fand nach den desaströsen Einschaltquoten der TV-Ausstrahlung sein trauriges Finale ausschließlich im Web. So präsentierten die Moderatoren Jeannine Michaelsen und Elton mit der 90minütigen Ausgabe letztlich das „wahrscheinlich aufwändig produzierteste Internetvideo aller Zeiten“. Für alle, die es verpasst haben: Am Ende gewann der Berliner Aktivist Georg Wurth, der die Summe von einer Million Euro für die Durchsetzung der Legalisierung von Cannabis verwenden möchte. Diese Entscheidung löste erneut heftige Proteste beim Studiopublikum aus, weil es andere Kandidaten gab, die vermeintlich relevantere Ziele verfolgten.

Viel ist in den vergangenen Wochen über die Sendung geschrieben worden. Oft standen die Auswahl der Kandidaten, das Wahlsystem, die Inszenierung und die Abstimmungsergebnisse in der Kritik. Dabei ist dies insbesondere beim letzten Punkt müßig, denn die Anwendung des demokratischen Prinzips bedeutet, dass solche Entscheidungen ausgehalten werden müssen. Demokratie bedeutet schließlich gerade nicht, dass die eigene Meinung immer gewinnt.

„Es ist nicht alles rund gelaufen“, gab Elton im Finale offen zu. Diese Selbsteinschätzung sowie der offene Umgang mit der lautstarken Klagen ehrten zwar die Macher, kratzten jedoch nur an der Oberfläche des Problems. Der entscheidende Fehler der Show bestand weder im Voting noch in der Auswahl der Kandidaten, sondern in der grundsätzlichen Ambition, Inhalte vom Internet ins Fernsehen überführen und dann dort bewerten lassen zu wollen.

Die Annahme, dass Dinge, die im Internet erfolgreich sind, auch im Fernsehen funktionieren müssen, ist trügerisch, denn hinter diesem simplen Gedanken verbirgt sich ein komplexer und höchst problembehafteter Vorgang. Der Wechsel des Mediums funktioniert niemals verlustfrei und bringt immer Veränderungen mit sich. Niemand käme deswegen wohl auf die Idee, einen Roman völlig unverändert und 1:1 auf eine Kinoleinwand zu projizieren. Genauso unterscheiden sich Serienadaptionen wesentlich von Kinofilmen. Jedes Medium, egal ob (Kino-)Film, Buch, Fernsehen oder Internet hat seine eigenen Bedingungen, Möglichkeiten, Gesetze und Grenzen. Für jedes Medium haben sich zudem typische Rezeptionsarten etabliert, die nur schwer überwindbar sind. Die Übertragung eines Angebots von einem Medium in ein anderes, muss diese variierenden Rahmenbedingungen berücksichtigen und inhaltliche Verschiebungen in Kauf nehmen. Hierin liegt ein Grund, warum Lesende von Romanvorlagen oft unzufrieden mit der Verfilmung sind - weil sie den Film meist aus der Sicht des Buchkonsumenten und nicht als eigenständiges Werk in einem anderen Medium ansehen.

In der Missachtung dieses medialen Grundprinzips liegt die eigentliche Ursache des Scheiterns der «Millionärswahl». Die Kandidaten hatten sich eingangs per YouTube-Video vorgestellt, wurden anhand dieser Clips bewertet und für die Teilnahme an der Fernsehshow ausgewählt. Dort hatten sie ihre Leistungen dann im Studio auf einer großen Bühne vor Live-Publikum zu wiederholen. Ein YouTube-Video folgt aber anderen medialen und ästhetischen Regeln als ein Live-Auftritt vor Publikum. Internetclips leben oft von ihrer Schnelligkeit, einer minimalistischen Umsetzung und einem kreativen Spiel mit der Kamera. Auf diese Ansätze lässt sich ein lebhafter Bühnenauftritt kaum stützen. In der Folge boten die YouTuber im Fernsehen entweder eine ungeeignete Performance dar oder einen Auftritt, der wenig mit dem zu tun hatte, was zuvor im Internet zur Wahl stand. So oder so war das Resultat für alle Beteiligten unbefriedigend.

Es ist verwunderlich, dass sich die Verantwortlichen über diesen fundamentalen Makel ihres Konzepts nicht im Klaren waren. Nicht ohne Grund haben es bisher kaum andere Formate oder Internetstars geschafft, sich erfolgreich in Fernsehen zu etablieren. Nicht umsonst gibt es keine TV-Comedyshow von Ytitty oder regelmäßige Sendestrecken von beliebten Let’s-Playern.

Seit Jahren sind Fernsehmacher bereits auf der Suche nach Strategien, das Internet mit dem Fernsehen zu verbinden. Offensichtlich angetrieben von der Hoffnung, dass die Einverleibung der Konkurrenz diese unschädlich macht und das eigene Fortbestehen sichert. Ob diese Angst gerechtfertigt ist und das Internet das lineare Fernsehen tatsächlich irgendwann ablösen wird, ist hierbei unbedeutend. Die Angst vor der Angst treibt solche Entwicklungen voran.

Eine Symbiose wird niemals beiden Welten vollends gerecht werden können, denn Verluste gehören dazu. Die seit Jahren in immer neuen Varianten aufkommenden Internetclipformate wie «Die MyVideoShow» (Sat.1), «Clipfish TV» (RTL), «superspots - die besten Clips im Umlauf» (ProSieben), «Die Lynne & Tessa Show» (RTL II), «Ridiculousness» (MTV/VIVA), «Tosh.0» (Comedy Central) oder zuletzt «Heroes Of The Internet» (ProSieben) sind dafür die besten Beispiele. In ihnen werden kurze Clips aus Videoportalen gezeigt und meist witzig kommentiert. Das kann zuweilen sogar unterhaltsam sein, entspricht im Kern aber eher den Gewohnheiten des Fernsehens als denen des Internets. Von klassischen Home-Video-Programmen wie «Pleiten, Pech und Pannen» oder «Upps – Die Pannenshow» unterscheiden sich diese kaum. Ob die Ausschnitte aus eingesandten Privatvideos oder Internet-Uploads bestehen, bleibt für das Ergebnis unerheblich. Hier werden die Potentiale und Möglichkeiten des Internets völlig ignoriert, wodurch im Grunde gar keine Cross- oder Intermedialität entsteht. Auf der anderen Seite gelingt dies nur deswegen, weil sich die Plattformen wie YouTube und deren Nutzer bei der Erstellung der Inhalte noch immer stark am traditionellen Fernsehen orientieren.

Ebenso scheitern Produktionen, die versuchen, das Feedback der Internet-Community einzubeziehen, weil sich deren Interaktivität eigentlich darauf beschränkt, Twitter- oder Facebook-Einträge laut vorzulesen. Das ist bei «log In» genauso zu beobachten wie bei der «LateLine mit Jan Böhmermann». Die Einbindung des Netzes bringt auf diese Weise kaum einen Mehrwert gegenüber Telefonanrufen oder Faxen. Sogar beim selbsternannten Social-TV-Kanal JOIZ geht die Intermedialität meist nicht darüber hinaus. Das kann trotzdem amüsant sein, löst aber das Versprechen von „social“ nicht ein. Dies ist hauptsächlich darin begründet, dass die Kommunikation im Internet individuell und vorwiegend auf einer 1:1-Basis stattfindet, während das Fernsehen dagegen ein Massenmedium ist, das sich stets an viele Tausende oder Millionen Menschen gleichzeitig richtet.

Der Zusammenschluss beider Welten führt auch hier zwangsläufig zur Verarmung von mindestens einer der beiden. Entweder konzipiert man ein Format, das die Individualität des Internets missachtet oder man strahlt eine Sendung aus, die zwar jener Individualität gerecht wird, dann aber kaum ein großes Publikum finden kann.

In dieser Aufzählung ließen sich viele weitere Gegensatzpaare ergänzen, in denen sich das Fernsehen grundsätzlich vom Internet unterscheidet - wie Linearität vs. jederzeitige Wählbarkeit von Angeboten oder Vorhandensein vs. Fehlen von redaktionellen Strukturen. All diese Gedanken führen zu der Erkenntnis, dass eine Zusammenführung beider Medien in einem Fernsehformat kaum gelingt, weil man nie beide Sphären adäquat bedienen kann. Ideen wie die «Millionärswahl» sind damit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Vielleicht setzen die Fernsehmacher daher durch die Verbündung mit dem Internet auf die falsche Strategie. Vielleicht ist es ratsamer, sich auf jene Elemente zu konzentrieren, die speziell das (lineare) Fernsehen kennzeichnen und über Jahrzehnte erfolgreich gemacht haben.
27.01.2014 10:37 Uhr Kurz-URL: qmde.de/68675
Christian Richter

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