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Popcorn und Rollenwechsel: Drei Filme und ein Oscar

«Gravity», «12 Years a Slave» und «American Hustle» liefern sich ein unfassbar knappes Rennen um den Oscar für den besten Film.

Jahr für Jahr blicken passionierte Filmliebhaber (und auch zahlreiche Gelegenheitsgucker) auf die begehrten Academy Awards. Und jährlich zerbrechen sich viele Oscar-Freunde vorab den Kopf, welche Produktionen die besten Aussichten auf den prestigeträchtigen Goldjungen haben. Dabei konnten sich Beobachter der glanzvollen Awardsaison lange auf einige Indikatoren verlassen: Seit Ende der 40er existieren die Preise der US-Regiegewerkschaft und lediglich sieben Mal ging der Oscar für die beste Regie nicht an den Gewinner der Gewerkschaftsauszeichnung. Und mehr noch: Seit 1991 gewann auch in 20 Fällen der vom Preisträger des Gildenawards inszenierte Streifen zudem den Oscar für den besten Film.

Außerdem stimmte beim seit 1990 bestehenden Preis der Producers Guild of America 18 Mal der Sieger in der Kategorie „Beste Kinoproduktion des Jahres“ mit dem „Bester Film“-Gewinner bei den Academy Awards überein. Darüber hinaus präsentierte sich auch die Kategorie „Bestes Ensemble“ bei der jährlichen Auszeichnung der Schauspielgewerkschaft als recht verlässlich: 1996 eingeführt kam es neun Mal zu einer Übereinstimmung mit der großen Oscar-Hauptkategorie.

Die Oscar-Verleihung 2014 wird, das lässt sich bereits jetzt mit großer Sicherheit sagen, dagegen längst nicht so vorhersagbar. Denn während die Gewerkschaftspreise in der Vergangenheit nahezu durchgängig die gleichen Sieger kürten, herrscht dieses Jahr munteres Chaos: Bei der Screen Actors Guild obsiegte David O. Russels vergnügliche Gangsterposse «American Hustle», die mit zehn Oscar-Nominierungen und mehreren Golden-Globe-Siegen immensen Hype genießt, bei der Directors Guild of America hingegen hatte Alfonso Cuarón dank seiner Inszenierung des technische Maßstäbe setzenden Wetallthrillers «Gravity» die Nase vorne.

Eine kleine Sensation war wiederum der Verlauf der Producers Guild Awards: Trotz rund 5.000 Stimmberechtigten und einem ausgeklügelten Wahlverfahren, das eigentlich ein Unentschieden abwenden soll, kam es sehr wohl zu Stimmgleichheit – sowohl Steve McQueens bewegendes Drama «12 Years a Slave» als auch «Gravity» gingen als Gewinner hervor. Womit sich der Oscar-Abend zwischen Sklaven, Astronauten und Betrügern entscheiden dürfte. So spannend waren die Academy Awards schon seit Ewigkeiten nicht mehr!

Welcher Film wird als Sieger aus diesem Rennen hervorgehen? Ist es «12 Years a Slave», das schwermütigste Werk aus diesem Feld, das mit seiner harschen Darstellung der Sklaverei in atemberaubenden Bildern ein wichtiges Mahnmal setzt? Der flott umgesetzte, mit viel Energie gespielte und dynamische «American Hustle», der mit einem toll eingesetzten Look auftrumpft sowie einer ansteckenden Atmosphäre (ähnlich wie einst der Oscar-Gewinner «Der Clou»)?

Oder wird es letztlich doch «Gravity»? Das Effektspektakel, das mehr noch als «Avatar» vorführt, wozu die heutige Filmtechnik fähig ist? Der 680-Millionen-Dollar-Erfolg, der in Zeiten von XXL-Franchise-Fortsetzungen mit unzähligen Figuren und Subplots bewies, dass auch eine strikt erzählte, knapp neunzigminütige Geschichte über eine einzelne Frau beim Publikum ankommt? Der hochspannende, schwindelerregend choreographierte, mit Urängsten spielende Thriller, welcher schlussendlich kraftvoll eine Aussage für das Leben und Optimismus tätigt? Der packende Ritt durchs All, der einerseits als spektakuläres Popcornkino mit geradliniger, simpler Story funktioniert, andererseits aber auch als runde, durchdachte Parabel auf Lebenskatastrophen und Traumataüberwältigung?

Die Zeichen deuten sanft und leise in Richtung «Gravity» und ich höre schon die ersten Schimpftiraden (denn wann wurde je ein Film mit dem Oscar prämiert, ohne dass daraufhin gemeckert wurde): Reiner Popularitätsentscheid, oberflächlich, zu einfache Story mit viel zu wenig Dialog oder komplexen Subplots, so ein Massenerfolg hat den Oscar nicht verdient!

Nun, es heißt „Bester Film“, und nicht „Deprimierendster Film, der zugleich handwerklich beachtlich ist“ oder „Nachdenklichster Film“. «Gravity» mag leicht zu verstehen sein, ist aber nahezu perfekt umgesetzt und hat dennoch eine prägnante Aussage, die er zielstrebig verfolgt sowie mit präzise platzierten Metaphern untermauert. Er wäre ein würdiger Gewinner. Genauso wie «12 Years a Slave», wenngleich er auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums steht, weshalb ein Film den Oscar verdient hätte. Und «American Hustle»? Ja, das wäre die Konsenswahl – das Mittelding zwischen diesen beiden Favoriten.
27.01.2014 01:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/68674
Sidney Schering

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Tags

12 Years a Slave American Hustle Avatar Der Clou Gravity Popcorn

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