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«True Detective»: Die Entdeckung der mörderischen Langsamkeit

Ein Ritualmord, zwei Detektive und ihre Abgründe: «True Detective» ist eine tiefsinnige Charakterstudie, die das Serienjahr 2014 mörderisch stark einläutet.

Cast von «True Detective»

  • Matthew McConaughey («Dallas Buyers Club», «Der Mandant») ist Rust Cohle
  • Woody Harrelson («No Country for Old Men», «The Messenger») ist Martin Hart
  • Michelle Monaghan («Mission Impossible III», «Eagle Eye») ist Maggie Hart
  • Michael Potts («The Wire») ist Maynard Gilbough
  • Tony Kittles («Sons of Anarchy») ist Thomas Papania
Eine Minute und dreißig Sekunden. So lange dauert das Intro der neuen HBO-Serie «True Detective», und jede Millisekunde davon ist kostbar, ist eine Kunst für sich, ist ein geheimnisvolles Diorama, das es zu entschlüsseln gilt. So viel sieht man auf den ersten Blick: Silhouetten von Menschen und Dingen, die weitere Bilder enthüllen und die in den Konturen erwachen – Landschaften, Architektur, Feuer. Immer wieder Feuer, das in den Gesichtern von Cohle und Hart lodert, den beiden Protagonisten dieser neuen Crime-Serie.

Cohle und Hart, das sind zwei Detektive, die gemeinsam an einem Mordfall im Jahr 1995 arbeiten. Das Opfer, gefunden in der sumpfigen Steppe Louisianas, wurde ritualisiert hingerichtet: Nackt und in Gebetshaltung auf den Füßen kniend, auf dem Kopf eine Art Krone mit Tiergeweih, auf dem Rücken ein Spiralsymbol eintätowiert. Neben dem Opfer – es ist eine junge Prostituierte – stehen kleine Zweigengitter, die wie altmodische Vogelfallen aussehen. Symbole, die den beiden Detektiven Rust Cohle und Martin Hart bei der Aufklärung noch helfen sollen. Denn so viel steht schon zu Beginn fest: Irgendwann schnappen sie den vermeintlichen Mörder.

«True Detective» selbst nämlich erzählt die Geschehnisse des Jahres 1995 in Rückblenden. Die zweite Erzählebene der Serie ist 2012, siebzehn Jahre nach dem Mordfall und der Festnahme des Täters. In jenem Jahr 2012 geschieht wieder ein Mord, genauso ritualisiert wie damals. Zwei jüngere Polizisten rollen den Fall neu auf, interviewen Cohle und Hart einzeln, die mittlerweile aus dem Dienst ausgeschieden sind. Cohle ist zum Alkoholiker geworden, er braucht einen Sixpack Bier und Zigaretten, um sich an die alten Zeiten zu erinnern. Hart das Gegenteil: ein offenbar gefestigter Mann, gut angezogen, ohne bleibende Schäden.

Erzählt wird die Story im Wechsel aus der Perspektive beider Protagonisten; die Rückblenden, die den Großteil der Pilotfolge ausmachen, vermitteln so den Live-Charakter der damaligen Handlung. Hier erkennen wir sie: die menschlichen Silhouetten aus dem Intro, die etwas zu verbergen haben – ein zweites Gesicht, eine dunkle Seite. Der Zuschauer ist sofort in den Bann gezogen. Er fragt sich nicht: Wer ist der Mörder und warum geschieht ein solcher Ritualmord wieder, obwohl doch der Täter vor siebzehn Jahren geschnappt wurde? Sondern er fragt sich: Wer sind diese beiden Detektive, was hat sich damals zwischen den beiden gegensätzlichen Charakterköpfen abgespielt? Was steckt hinter den figuralen Fassaden des gefestigten Hart und des gebrochenen Cohle? Warum hat sich das junge Detektivteam nach der Aufklärung des Falls schon bald wieder getrennt? Kennen sich Cohle und Hart selbst, wissen sie um ihre Abgründe?

Nach und nach entfaltet sich in der Pilotfolge von «True Detective» die Geschichte immer weiter, je länger die Interviewsitzungen dauern, je länger die Detektive erzählen. Der Zuschauer glaubt Muster zu erkennen, Charakterzüge, die die eigenen Fragen beantworten. Und kann doch in die Irre geführt werden. Warum Cohle trinkt, wird man sich zu Beginn fragen: Hat ihn der damalige Fall gebrochen? Nein, erkennt man langsam in den Rückblenden. Schon 1995 hat Cohle ein Alkoholproblem. Als sein neuer Kollege Hart ihn zum Abendessen einlädt, kreuzt Cohle volltrunken auf: Es ist der Geburtstag seiner verstorbenen Tochter; er versucht die Sehnsucht nach ihr herunterzuspülen. Hart bittet ihn trotzdem herein, Cohle versucht sich bei dem Abendessen zusammenzureißen. Man erkennt den Schmerz, den der Mann empfindet, wenn er in die Augen von Harts Kindern blickt.

Das Faszinierende an dieser neuen HBO-Serie ist die vermeintliche Alltäglichkeit des Seins, die hier inszeniert wird. Eigentlich passiert nicht viel, und doch übt die Geschichte eine kaum greifbare, meditative Kraft aus, die den Zuschauer sofort packt. Das liegt vielleicht am Setting im geheimnisvollen US-Staat Louisiana, der zuletzt immer wieder als Kulisse für tolle TV-Formate herhielt. Vielleicht an der starken visuellen Inszenierung, die dem Jahr 1995 – keine Handys, kein Internet, ein gemächlicherer Alltag – huldigt. Ganz bestimmt liegt es aber auch an den Schauspielern Woody Harrelson (Hart) und Matthew McConaughey (Cohle), die für ihre Rollen Auszeichnungen erhalten werden – dies steht wohl schon nach nur einer Folge fest. Großartig die Charakterwandlung Cohles, den die siebzehn Jahre von 1995 bis 2012 zu einem anderen Menschen gemacht haben – McConaughey spielt auf den ersten Blick zwei Figuren, und man kauft ihm beide kompromisslos ab. Harrelson erinnert an seine großartige Darstellung in «No Country for Old Men».

Beide Schauspieler geben das kontemplative Tempo vor, das «True Detective» seinen diffusen Reiz verleiht. Hier kann es eine halbe Minute dauern, bis die Zigarette angezündet ist und der Monolog beginnt. Hier kann eine Autofahrt im Streifenwagen schweigend vonstattengehen. Harrelson und McConaughey kosten jede Sekunde aus, auch wenn sie vermeintlich nichts tun, und damit doch so viel. Nach acht Folgen wird ihre Zeit vorbei sein, denn HBO hat «True Detective» als Anthologieserie ähnlich «American Horror Story» angelegt: Innerhalb einer Staffel ist der Fall aufgeklärt, eventuelle neue Folgen werden neue Schauspieler, neue Charaktere, neue Morde bekommen. Auch dies macht das Format so gut: Der Zuschauer weiß, dass er nur für kurze Zeit in dieses Charakterdrama eintauchen wird – und kann sich umso mehr auf das extrem langsame Tempo einlassen, kann die Geschichte intensiver erleben. Die Darsteller wiederum können ihre Rolle komprimiert anlegen.

Es gibt Serien, die liebt man auf den ersten Blick, weil sie sofort erkennen lassen, dass alles stimmig ist. Diese hier ist so eine Serie, und sie könnte der „next big hit“ im umkämpften Serienmarkt sein, der ständig nach neuen, herausragenden Geschichten sucht: 2011 war das Jahr von «Game of Thrones», 2012 das von «Homeland» und 2013 von «House of Cards». 2014 könnte das Jahr von «True Detective» werden.

17.01.2014 14:14 Uhr Kurz-URL: qmde.de/68522
Jan Schlüter

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Tags

American Horror Story Game of Thrones Homeland House of Cards No Country for Old Men True Detective

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