Theoretisch sehr ambitioniert, in der Praxis letztlich ein groß aufgeblasenes Nichts: So präsentierte sich die Auftaktfolge der neuen Event-Show auf ProSieben und Sat.1. Ein Schmankerl hob man sich immerhin bis ganz zum Schluss auf.
Wenn ProSieben und Sat.1 eine Show derart wichtig ist, dass sie auf beiden Sendern ausgestrahlt wird, kommt zumeist zeitgemäßes, qualitativ hochwertiges und sehr unterhaltsames Fernsehen dabei heraus. Mit «The Voice of Germany» etablierte man ein Musik-Casting, das eindrucksvoll zeigte, wie viele ernsthafte Gesangstalente das Land zu bieten hat, die bei «DSDS» oder «Popstars» zuvor kaum zu sehen waren und mit «Got to Dance» zeigte man erst im vergangenen Sommer, dass auch Tanz-Castings bei einer gelungenen Aufmachung funktionieren können. In der
«Millionärswahl» ist nun von singen über tanzen bis hin zu betteln und schleimen alles erlaubt, was Stimmen der Mitbewerber und des Publikums einbringt. Dass es in zweieinhalb Stunden Sendezeit dennoch kaum Interessantes zu sehen gab, enttäuschte sehr. Zumal das Konzept prinzipiell hätte interessant umgesetzt werden können...
Geworben haben die Moderatoren Jeannine Michaelsen und Elton im Vorfeld stets mit dem Slogan, man suche nach dem "ersten demokratisch gewählten Millionär". Und in der Tat hat man sich bei der Vorauswahl der Kandidaten große Mühe gegeben, ein möglichst breites Publikum zu involvieren: Zwischen den insgesamt rund 25.000 Bewerbern wurden 49 Glückliche ausgewählt, die sich nun in insgesamt acht Live-Shows (jeweils vier auf beiden Sendern) beweisen dürfen. Innerhalb der Live-Shows wählt dann wiederum zunächst die «Millionärswahl»-Community, bevor anschließend auch die Fernsehenden und die Kandidaten selbst über den Finalisten entscheiden dürfen - pro Sendung schafft es nur einer von sieben Teilnehmern ins große Finale.
Doch dafür, was man anschließend an Auftritten zu sehen bekommt, kann es nur zwei Erklärungen geben: Entweder die viel beschworene "Weisheit der Vielen" setzt bei der Selektion spannender Kandidaten für eine Live-Show komplett aus oder die Qualität der Bewerber war im Durchschnitt so mies, dass die hier gezeigten tatsächlich bereits die Speerspitze des Zumutbaren waren. Wie auch immer: Es sollten zwei Stunden folgen, in denen man eindrucksvoll zu Gesicht bekam, wie ein prinzipiell spannendes Format mit voller Wucht gegen die Wand gedonnert werden kann. Immerhin: Viele unterschiedliche Ansätze, an das Geld zu kommen, wurden präsentiert: Die einen versuchten es mit Akrobatik, andere sangen, klärten über Sex auf oder nutzten die Bühne, um sich einfach ein wenig als Alleinunterhalter in Szene zu setzen.
Doch was auch immer die einzelnen Acts auf die Beine zu stellen versuchten, beinahe alles ging schief. Am solidesten war hier wohl noch der allererste Auftritt einer Akrobatik-Gruppe namens
Beast Brothers, die an Reckstangen einige nett anzuschauende Verrenkungen vollführte. Nichts Weltbewegendes, aber nett. Es folgten
Sava und
Ralf, wobei Ersterer seinen potenziellen Gewinn auf viele Menschen aufteilen und Letzterer ihn an ein krankes Kleinkind spenden wollte. Da hier der Mitleids-Bonus wohl noch nicht ausreichte, musste Ralf überdies noch seine Höhenangst überwinden. In einer für ihn sichtlich belastenden, für den Zuschauer aber weitgehend faden Aktion, bei der er gesichert einen hohen Turm runterstieg. Nach dieser «Supertalent»'schen Mischung aus Tränendrüse und Voyeurismus folgten ein mittelmäßiger Breakdancer, besagte Youtube-Aufklärer, eine bedeutungslose Rockband und ein Extreme-Bungee-Jumper, dessen Sprung wahnsinnig dilettantisch aus der Vogelperspektive gefilmt wurde.
An dieser Stelle noch einzeln auseinander zu nehmen, auf welch vielfältige Art und Weise die Inszenierung der Acts versagte, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Der Rezipient verfiel jedenfalls heimlich, still und leise in seinen Dornröschenschlaf - denn wer konnte schon ahnen, dass ausgerechnet das finale Voting doch noch einen Höhepunkt bereit halten würde? Elton vielleicht, doch dessen Bekundung, die Abstimmung unter den Kandidaten am Ende werde ungemein spannend, wirkte eher wie ein verzweifelter Versuch eines Moderators, der live miterleben musste, wie ihm Show und Publikum komplett aus den Händen glitten. Dies merkte auch Michaelsen, die nach dem siebten und letzten Auftritt auf den Kommentar ihres Kollegen, er habe am liebsten "Stage-Diving machen" wollen, sehr deutlich auf die mangelnde Stimmung im Saal anspielte: "Das wäre schön gewesen ohne Publikum." Ohnehin sind die beiden die bedauernswertesten Akteure, denn ihre lockere und selbstironische Moderation macht prinzipiell Lust auf mehr - nur halt nicht bei dieser Show.
Die Abstimmung aus Publikums- und Community-Voting sprach eine deutliche Sprache: In beiden Fällen lag der gepeinigte Kindesretter Ralf klar in Front, 14 von 14 möglichen Punkten gingen an ihn, während Breakdancer
Benedikt mit nur drei Pünktchen den letzten Platz belegte. Doch die Macher hatten noch ein konzeptionelles Ass im Ärmel, das Stefan Raabs Live-Voting-Irrsinn bei «Unser Star für Baku» locker in den Schatten stellte: Die sieben Kandidaten durften nacheinander noch jeweils vier Punkte vergeben, stets in Kenntnis des aktuellen Punktestands. Der abgeschlagene Breakdancer sammelte Trostpunkt um Trostpunkt und stand nach sechs Votings bei 13 Punkten, während Ralfs Selbstaufopferung nur zu zwei Kandidatenpunkten führte. Als letztes waren die Altrocker um
Gift an der Reihe, ihre vier Zähler zu vergeben. Es kam, wie es kommen musste: Sie vergaben alle vier Punkte an Benedikt - und bugsierten damit tatsächlich noch den Kandidaten ins Finale, den die Zuschauer von allen am wenigsten sehen wollten.
Das Studio-Publikum goutierte diese Absurdität mit einer Mischung aus Schweigen und Buh-Rufen - letztlich symptomatisch für eine Show, bei der so ziemlich alles schief ging, was hätte schief gehen können. Dies ist durchaus bedauerlich, da «Millionärswahl» an sich ein mutiger und lobenswerter Versuch ist, einmal ein etwas anderes Talentfindungs-Konzept auszuprobieren. Und bei aller Häme, der sich die Umsetzung nun ausgeliefert sehen wird, darf zumindest einschränkend erwähnt werden, dass RTL am Vortag mit dem Staffelstart von «DSDS» noch weitaus schlimmere Abgründe der inhaltlichen Magerkost servierte. Man möchte den Verantwortlichen nur allzu gerne irgendetwas Nettes und Aufbauendes mit auf den Weg geben, sie knuddeln und ganz doll lieb haben. Nur leider finden sich von der gelungenen Doppelmoderation mal abgesehen wenige Ansätze, um Lob auszusprechen. Entsprechend wird es interessant zu sehen sein, wie man sich durch die kommenden sieben Folgen kämpfen möchte. Leicht wird das jedenfalls nicht.