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Der Fernsehfriedhof: „Ein politisch korrektes Plagiat“

Folge 264: Erinnerungen an eine Castingshow, die niemanden demütigen wollte und dadurch äußerst langweilig wurde.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir des Beweises dafür, dass ein bisschen Trash nicht immer schädlich sein muss.

«Bully sucht die starken Männer» wurde am 15. April 2008 auf ProSieben geboren und entstand zu einer Zeit, als der Komiker, Schauspieler, Autor und Regisseur Michael Bully Herbig in den Vorbereitungen zu seinem neuen Film steckte. Nach den Hits «Der Schuh des Manitu» und «(T)Raumschiff Surprise – Periode 1» waren die Erwartungen an sein neues Werk entsprechend hoch. Weil es sich dabei um eine Realverfilmung der legendären Zeichentrickserie «Wickie und die starken Männer» handelte, war die Ähnlichkeit der Schauspieler mit den gezeichneten Figuren aus der Vorlage äußerst wichtig. Anstatt nun jedoch die Besetzung wie sonst üblich im Stillen durchzuführen, entschied sich Bully für eine öffentliche Auswahl im Fernsehen. Allerdings galt dies nur für die Nebenrollen der Wikinger, denn der kindliche Hauptdarsteller für die Titelfigur wurde in traditioneller Art besetzt. Im Sender ProSieben, bei dem Herbig zuvor jahrelang mit seiner «Bullyparade» im Abendprogramm zu sehen war, fand er einen geeigneten Partner für sein Projekt.

Laut des Pressetextes entwickelte sich daraus das „größte öffentliche Kinofilm-Casting der Republik“, bei dem sich rund 10.000 Kandidaten um die sechs Rollen von Faxe, Tjurem, Snorre, Ulme, Urobe und Gorm bewarben. In den Bavaria-Studios in München mussten sie sich dazu nicht nur überzeugend selbst präsentieren, sondern auch kleine Aufgaben lösen, wie einen Sketch aufführen oder an einem Speed-Dating teilnehmen. Beurteilt wurden ihre Darbietungen von einer dreiköpfigen Jury, die aus Herbig selbst, seiner Produzentin Rita Serra-Roll sowie dem Schauspieler Jürgen Vogel bestand, der bereits fest für den Film engagiert war. Das N24-Gesicht Verena Wriedt moderierte die Ausgaben. Die Off-Kommentare stammten vom Schauspieler Christoph Maria Herbst, der ebenfalls sein Mitwirken am «Wickie»-Streifen bereits zugesagt hatte.

Unter die Teilnehmer mischten sich zudem der ehemalige «Star Search»-Gewinner Oliver Beerhenke, der zu jener Zeit auch durch «Upps – Die Superpannenshow» führte sowie der bayrische ZDF-Krimistar Günther Kaufmann. Während Beerhenke kurz vor Schluss herausflog, überzeugte Kaufmann mit seinem Auftritt, bei dem er sich über einen Leberknödel in Rage redete, so sehr, dass er direkt die Rolle des Bösewichts „Der schreckliche Sven“ angeboten bekam.

Das von Herbigs Produktionsfirma in Zusammenarbeit mit Constantin Entertainment erdachte Konzept erinnerte dank Duellen, Workshops, Vorrunden, Finals und Halbfinals sowie dem Vorhandensein der Jury an eine typische Castingshow aus jener Zeit. Allerdings versuchte sich das Format bewusst von den anderen Vertretern, insbesondere von denen, die beim Konkurrenten RTL unter Mitwirkung von Dieter Bohlen ausgestrahlt wurden, abzuheben. Anstatt die Kandidaten zu denunzieren, wollte man ein „angenehmes Ambiente“ schaffen und konstruktive Ratschläge geben. „Ich habe kein Interesse, dass jemand heulend vor mir zusammenbricht“, kündigte Bully daher im Vorfeld an.

Tatsächlich unterschied sich das Ergebnis von Vorgängern wie «Deutschland sucht den Superstar», insbesondere dadurch, dass die untalentierten, sich selbst überschätzenden Bewerber nicht wie gewöhnlich ausgewalzt, sondern lediglich als Zusammenschnitt innerhalb weniger Sekunden abgehandelt wurden. Dieser Ansatz war zwar idealistisch betrachtet lobenswert, verstimmte jedoch zahlreiche Kritiker. In den Pressestimmen nach der Premiere wurde übereinstimmend die dadurch entstandene Langeweile bemängelt. In der Rheinischen Post hieß es beispielsweise: „Wer nach zwei Stunden Casting-Marathon noch nicht eingeschlafen ist, muss tatsächlich ein echter Wickie-Fan sein.“ Die Süddeutsche Zeitung beklagte hingegen zwar nicht den mangelnden Unterhaltungswert, aber dafür die mutlose Konservativität des Formats und bezeichnete es als „ein politisch korrektes Plagiat“.

So brav und unspektakulär die Sendung wirkte, so unaufgeregt fielen auch die Sehbeteiligungen aus. Im Schnitt erreichte sie am Dienstagabend um 20.15 Uhr knapp über zwei Millionen Zuschauer und einen Zielgruppenmarktanteil um 13 Prozent. Damit war sie kein Misserfolg, konnte aber trotz der großen Namen nicht an die Reichweiten der Mentalisten-Suche «The Next Uri Geller» anknüpfen, die zuvor auf diesem Programmplatz veranstaltet wurde.

Für Herbig hat sich die Aktion dennoch gelohnt, nicht nur weil er auf diese Weise seine fehlenden Rollen besetzen konnte, sondern weil sie eine gigantische Werbekampagne für den zugehörigen Kinofilm darstellte. Zwischen die Auswahl-Szenen wurden nämlich auch Bilder von den Vordrehs, von der Suche nach Schauplätzen sowie Eindrücke aus dem Kinder-Casting gezeigt. Auf diese Weise erhielt das Werk noch bevor die Filmaufnahmen ernsthaft begonnen hatten, bereits eine prominente Plattform im Fernsehen.

«Bully sucht die starken Männer» wurde am 24. Mai 2008 beerdigt und erreichte ein Alter von sechs Folgen. Die Show hinterließ das Multitalent Michael Bully Herbig, der rund fünf Jahre später für die Promotion seines nächstens Film «Buddy» sogar eine eigene Sitcom produzierte. Dem «Wickie»-Film schien das Casting geholfen zu haben, denn mit knapp fünf Millionen Besuchern avancierte er zu einem der meistbesuchten Filme des Jahres 2009. Übrigens, dem Kandidaten Oliver Beerhenke gelang letztlich doch noch der Sprung ins Schauspielfach, denn seit 2011 gehört er zur Stammbesetzung der Sketch-Reihe «Die dreisten Drei». Günther Kaufmann nahm trotz der Verpflichtung im Januar 2009 am RTL-Dschungelcamp teil.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einer Promi-Hochzeit voller Peinlichkeiten.
21.11.2013 11:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/67490
Christian Richter

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