Ob «The ABCs of Death» oder «Tatsächlich ... Liebe»: Der Episodenfilm braucht mehr Aufmerksamkeit!
Wer dieser Tage durch die Elektronikmärkte seines Vertrauen schlendert, dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine interessant gestaltete DVD-Hülle stoßen, auf deren schwarz-orangefarbenen Cover ein stilisierter Totenkopf prangt. Das Backcover verspricht eine Ansammlung innovativer, erschreckender Horrorgeschichten. Wer sich dann mit etwas Findungsreichtum durch das Internet kämpft, wird erkennen, dass von diesem Film (mit dem netten Namen «S-VHS») in Österreich eine fast 50 Euro teure Sammleredition mit Poster und Videokassette erschien. Es wäre übertrieben, an dieser Stelle den Erwerb dieser XL-Sammleredition vorzuschlagen. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass «S-VHS» in Deutschland nur in gekürzter Form erhältlich ist – zumindest den Import des unzensierten Mediabooks sollten Liebhaber des filmischen Grauen oder des Episodenfilms also in Erwägung ziehen.
„Was? So viel Mühe für einen
Episodenfilm?! Bei den weiß man doch nie, was man bekommt!“, keifte mich neulich eine Bekannte an, als ich ihr von meinen Shoppingplänen erzählte. Die Kunst einer vielfältigen, dennoch zusammengehörenden Kurzfilmsammlung in Form eines Episodenfilms verschließt sich aber nicht nur ihr. Sofern es sich nicht um den modernen Weihnachtsklassiker «Tatsächlich … Liebe» handelt, stehen viele Teilzeit-Filmfreunde dem Episodenfilm eher zweifelnd gegenüber. „Da bekommst du vielleicht drei, vier gute Episoden, doch da ist genauso auch Mist dazwischen. Und außerdem: Kaum bist du so richtig in einer Story drin, ist sie wieder vorbei!“ Ja. Das mag sein. Nur dass das längst nicht so schlimm ist, wie es manch einer darstellt.
Dass in nahezu jedem Episodenfilm nicht alle Storys auf einem einheitlichen Qualitätsniveau angesiedelt sind, mag korrekt sein, jedoch ist es auf der anderen Seite auch nahezu unmöglich, einen „normalen“ Film zu finden, bei dem sämtliche Aspekte gleich gut sind. Daher ist es unfair, die schwankende Qualität der Episoden eines Episodenfilms schwerer zu verurteilen als die qualitativen Diskrepanzen der verschiedenen Stroylines oder Set-Pieces eines konventionellen Streifens. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Episodenfilme nicht auf eine standardmäßige Dramaturgie zurückgreifen – die Spannung, wie gut oder schwach die nächste Episode ist, gehört zum Konsum eines Episodenfilms dazu, genauso, wie sie davon leben, dass ein Grundthema aus allerlei Facetten betrachtet wird.
Daher sind Episodenfilme nahezu ideal für Porträts – beispielsweise von Städten, die sich in dieser Filmgattung in jedem Segment von einer anderen Seite zeigen und durch die Augen eines anderen Regisseurs begutachtet werden können. Jüngst etwa zu sehen in «7 Tage in Havanna» oder in den 90ern in «New Yorker Geschichten», einem oftmals übersehenen Geheimtipp aus dem Filmfundus des Disney-Erwachsenenlabels Touchstone Pictures. Darin zeigen die Regie-Altmeister Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Woody Allen auf exzentrisch-persönliche Weise, was sie mit dem Big Apple verbinden. Genauso gut eignet sich die Form des Episodenfilms für Porträts großer Persönlichkeiten, selbst wenn dieser Versuch viel zu selten in Angriff genommen wird. Zu den raren, dafür tollen Beispielen zählt «I'm not there», einem einzigartigen Biopic, in dem zahlreiche Schauspieler ihre Interpretation von Bob Dylan wagen dürfen – darunter auch Cate Blanchett.
Seit Anfang des Jahres gibt es im deutschsprachigen Raum mit «The ABCs of Death» (beziehungsweise «22 Ways to Die» im Falle der gekürzten Fassung) darüber hinaus wohl die für diese Filmära angemessene Episodenfilm-Quintessenz. Ähnlich, wie «Crank 2: High Voltage» das Actiongenre auf seine absurdesten und perversesten Elemente reduzierte, haut dieser Film dem Publikum alle Merkmale eines Episodenfilms genüsslich um die Ohren. Sage und schreibe 26 Episoden befassen sich mit dem Tod – mal ultrabrutal, mal verstörend, mal komödiantisch, mal lakonisch oder gesellschaftskritisch. Manche Episoden sind hoch stilisiert, andere visuell eher zurückhaltend. Realfilm, Zeichentrick und Stop-Motion sind allesamt vertreten – und so eröffnet sich ein lose zusammengehaltene Reise durch die Möglichkeiten der Filmkunst. Dramaturgie, einheitliche Stilistik? Fehlanzeige. Fragmentierung wird hier zur Kunst erhoben – gewöhnungsbedürftig, aber beeindruckend konsequent und denkwürdig.
Nicht jeder Episodenfilm muss so sein, aber der Episodenfilm an sich sollte mehr gewürdigt werden. Genauso wie die Kunstform des Kurzfilms ...