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Der Fernsehfriedhof: «Explosiv» war nur ein Kindergeburtstag

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 260: Die wahrscheinlich krawalligste Talkshow der deutschen Fernsehgeschichte, die sogar RTL zu heiß wurde.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer Talkshow, in der mehr geschrien als gesprochen wurde.

«A.T. - Die andere Talkshow» wurde am 16. Dezember 1989 bei RTLplus geboren und entstand zu einer Zeit, als der Sender mit seiner konfrontativen Gesprächsrunde «Explosiv – Der heiße Stuhl» einen unerwarteten Publikumshit landen konnte. Was lag daher näher, als das Programm um ein ähnliches Konzept zu erweitern? Wie so oft, sollte der Nachfolger die ohnehin schon krawallige Vorlage noch steigern und verschärfen. Auf der Suche nach einem passenden Format für dieses Ziel wurde man in der US-Produktion «The Morton Downey, Jr. Show» fündig, die in ihrer Heimat aufgrund andauernder Prügeleien und eines radikalen Moderators regelmäßig für Entrüstungen und gute Zuschauerzahlen sorgte.

In der deutschen Variante zankten sich dann sechs bis acht Gäste, die jeweils entgegengesetzte Ansichten einnahmen. Professionelle Partnervermittler trafen beispielsweise auf Opfer von Heiratsschwindlern, Nachtclubbesitzer auf Experten für Menschenhandel, Obdachlose auf Immobilienhaie sowie strenggläubige Esoteriker auf unerschütterliche Skeptiker. In solchen gezielten Konfrontationen und den daraus resultierenden Eskalationen der Auseinandersetzungen sollte der Reiz der Sendung liegen. In damaligen Veröffentlichungen wurden deswegen wiederholt Formulierungen wie „Wortschlacht“, „Zündstoff“, „Provokation“, „Schlagabtausch“, „Tumult“ und „Chaos“ verwendet. Die verantwortliche Redaktion beschrieb ihren Ansatz sogar selbst mit den Worten: „Die Menschen dürfen laut sein, das Moderate tritt in den Hintergrund.“

Damit der gewollte Streit auch tatsächlich eintrat, wurde die Stimmung durch das Setting zusätzlich angestachelt. Die Debatten fanden nämlich in einer runden Studiodeko statt, die durch ihre großen Stahlgitter an eine Kampfarena erinnerte. Die Kontrahenten saßen nicht in entspannten Sesseln, sondern auf unbequemen Stühlen. Umringt waren sie von mehreren bulligen Bodyguards, die nicht nur körperliche Übergriffe verhindern, sondern der Show auch optisch einen dramatischen Anstrich geben sollten. Für das aggressive Klima sorgte auch ein lautstarkes, rund 400 Menschen umfassendes Publikum, das gezielt mit Betroffenen, Befürwortern sowie Gegnern besetzt und zum jederzeitigen Protest aufgefordert wurde. Dazu gehörte außerdem, dass die durchgeführte Waffenkontrolle der Zuschauer zu sehen war, bei der zuweilen auch Eisenstangen und andere Gegenstände entdeckt wurden. All das hatte man vom amerikanischen Original übernommen, genauso wie die für das Genre noch unüblichen wackelnden Handkameras.

Mit dem Journalisten Axel Thorer, aus dessen Initialen sich der kryptische Name der Produktion ableitete, übernahm ein Gesicht die Leitung der Diskussionen, das zuvor kaum im Fernsehen bekannt war. Der ehemalige Chefredakteur des Männermagazins „Esquire“ verstand seine Rolle nicht als Moderator und Schlichter, sondern als Anheizer und versuchte folglich die Streitigkeiten immer wieder neu zu entfachen. Im Pressetext war demzufolge zu lesen: „Der Moderator ist nicht nett und hat auch eine Meinung.“

Ausgehend vom Erfolg des „Heißen Stuhls“ erhielt die neue 75minütige Reihe einen monatlichen Sendeplatz am Samstagabend um 20.15 Uhr. Doch ein vergleichbarer Zuspruch blieb aus. Erreichte «Explosiv» am Dienstag gegen 22.00 Uhr anfangs bis zu fünf Millionen Zuschauer, schalteten bei Axel Thorer lediglich 1,3 Millionen Menschen ein. Ob dies auf die maßlose Überspitzung oder den ungewöhnlichen Sendeplatz zurückzuführen ist, lässt sich rückwirkend schwer beurteilen. Verhängnisvoll war es darüber hinaus, dass sowohl die Landesmedienanstalten als auch einige Politiker erhebliche Bedenken an den gezeigten Inhalten äußerten. Weil diesen Protesten zusätzlich schwere Imageschäden für Format und Sender folgten, war eine Einstellung bald unvermeintlich. Die jährlich zehn geplanten Ausgaben wurden daher nie realisiert.

«A.T. - Die andere Talkshow» wurde am 28. April 1990 beerdigt und erreichte ein Alter von vier Folgen. Die Show hinterließ den Ringrichter Axel Thorer, der anschließend auch seine Fernsehkarriere wieder aufgab und zum stellvertretenden Chefredakteur der Zeitschrift „Bunte“ ernannt wurde. Zudem reiste er als Abenteurer durch die Welt und machte einige seltene Entdeckungen.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann der ersten deutschen Doku-Soap.
24.10.2013 11:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/66931
Christian Richter

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