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Die Kritiker: «Tatort - Aus der Tiefe der Zeit»

Was muss alles rein in den klassischen «Tatort»? Die neue Folge vom kommenden Sonntag lädt zur Analyse ein.

Hinter den Kulissen

  • Produktion: Avista Film
  • Drehbuch: Bernd Schwamm
  • Regie: Dominik Graf
  • Kamera: Alexander Fischerkoesen
  • Produzenten: Alena und Herbert Rimbach
Inhalt
In München steigen die Mieten. Nicht nur im traditionellen Zuwandererviertel Westend stöhnen die Menschen unter den laufenden Baumaßnahmen der Schönheitsrenovierungen. Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr sucht hier vorübergehend Zuflucht - in seiner Wohnung gab es einen Wasserschaden.
Stolz residiert die einstige Zirkusprinzessin "Calamity Jane", Magda Holzer, hochbetagt in ihrer Villa am Isarufer in München Pullach. Sie wird bedient von der Haushälterin Rosl und dem treuen Kroaten Ante.

Magdas als vermisst gemeldeter Sohn Florian wird nachts im Aushub einer Baugrube gefunden. Hat ihr wenig geliebter Sohn Peter Schuld an seinem Tod? Immerhin hatten beide Brüder ein Verhältnis mit der schönen Liz, die auch in der Pullacher Villa wohnt. Liz ist Eventmanagerin mit besten Kontakten zur Münchner Stadtverwaltung. Korruption ist in Liz' Augen ein Fremdwort. Münchens Kriminalhauptkommissar Ivo Batic vermutet einen Raubmord, er ermittelt in der kriminellen Szene des Westend und erfährt von einem "Luder" aus alten Zeiten.

Darsteller


Miroslav Nemec («Zur Sache, Lena!») als Kriminalhauptkommissar Ivo Batic
Udo Wachtveitl («Richterin ohne Robe») als Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr
Meret Becker («Kokowääh») als Liz Bernard
Erni Mangold («Nordwand») als Magda Holzer
Martin Feifel («SOKO Leipzig») als Peter Holzer
Misel Maticevic («Lösegeld») als Ante Mladec
Susanna Kraus («Das Leben der Anderen») als Rosl

Kritik


Was gehört in einen «Tatort»? Da wäre erst einmal die Leiche. Die haben wir in „Aus der Tiefe der Zeit“ recht schnell. Nachts wird sie von einem Baggerfahrer an der Großbaustelle im Münchener Westend ausgebuddelt – und entpuppt sich bald als der Bauherr des Großprojekts. Die Verbindung in den dramaturgischen Kontext haben wir damit auch schon.

Hat man eine Leiche, braucht man als nächstes die Milieustudie. Am liebsten in Extremen – ARD-Kommissare ermitteln besonders gern in einem abgefuckten Kiez oder bei Großkapitalisten, die in ihrem Anwesen so viel Personal einstellen wie ein «Tatort» Drehtage hat. Hat man beide Milieus, umso besser. Dann kann man das Drehbuch sehr leicht so hinschreiben, dass die Vertreter der beiden Schichten einander hassen und am liebsten aufeinander losgehen würden. Nennt sich im Ersten Sozialkritik.

Die neue Folge aus München kommt diesmal ohne Subproletariat aus und siedelt ihren Stoff bei den Reichen und Verschrobenen an. Es passiert, was dann so gut wie immer im «Tatort» passiert. Man blickt hinter die Fassade und sieht sehr schnell die haarsträubendsten Abgründe. Merke: Den Wohlhabenden geht’s eigentlich genauso dreckig wie uns. Und noch dazu sind sie in neun von zehn Fällen korrupt.

Was man dann unbedingt noch braucht, ist Lokalkolorit. Wobei es da beim Grad der Penetranz große Unterschiede gibt. München gilt diesbezüglich noch als einer der erträglichsten Orte und wird nicht nur auf Weißwurst und Weißbier reduziert. Dennoch: Ein bisschen "münchnern" muss es schon.

Und weil das bisher alles ziemlich banales Zeug ist, kommt jetzt etwas ganz Wichtiges. Man muss so tun, als mache man Kunst. Gleichzeitig aber gilt: Niemanden verschrecken, der keine Kunst sehen will, sondern nur beim sonntagabendlichen Biertrinken möglichst wenig vom Fernseher belästigt werden. Wie man das macht? Man gucke ein paar Noir-Filme und ein bisschen Nouvelle Vague und höre zu, wie die da so sprechen. Das versucht man dann nachzubauen und missachte dabei völlig, dass es bei Godard und Fritz Lang so etwas wie Subtext gab.

Die Femme Fatale muss dabei so geschrieben werden, dass sich möglichst viele Zuschauerinnen mit ihr identifizieren können. Sie muss unkonventionell sein, aber auch nicht so unkonventionell, dass man mehr als zwei Gehirnzellen bräuchte, um sie zu verstehen. Sie muss ein bisschen rebellisch sein, aber auch nicht so rebellisch, dass es ihr gelänge, die bodenständigen Polizisten dauerhaft hinter's Licht zu führen. Wenn man einen «Tatort» machen will, heißt das: Sie will bei der Vernehmung rauchen, lässt es aber, wenn der Kommissar es ihr untersagt.

Um dann noch mit den visuellen Konventionen zu brechen, filmt man halt aus Blickwinkeln, die irgendwie nach Avantgarde aussehen. Ob sich das sinnvoll in den übergeordneten Rahmen einfügt, ist irrelevant.

Und um den Einstieg gleich richtig packend zu gestalten, gilt die Faustregel: So hektisch schneiden, wie man kann, ohne dass man im Schnittraum einen epileptischen Anfall bekommt. Das wirkt edgy. Um das Ganze noch ein bisschen nach erzählerischer Raffinesse aussehen zu lassen, schneidet man am besten zwei Szenenabfolgen gegeneinander, die nach dem bisherigen Kenntnisstand der Zuschauer noch nichts miteinander zu tun haben. Allzu kompliziert muss der Plot dafür gar nicht sein, um das narrativ wuppen zu können. Es geht darum, einen an sich einfach gestrickten Fall unnötig zu verkomplizieren, damit es ein wenig nach Kunst aussieht.

Und zu guter Letzt braucht man dann noch ein bisschen was mit Nazis. So zweiter Weltkrieg oder rechte Szene.

Das alles bietet der neue «Tatort» mit Batic und Leitmayr in Hülle und Fülle. Und kein bisschen mehr.

Das Erste zeigt «Tatort – Aus der Tiefe der Zeit» am Sonntag, den 27. Oktober um 20.15 Uhr.
25.10.2013 12:47 Uhr Kurz-URL: qmde.de/66904
Julian Miller

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