Das Résumé des Fernsehjahres 2013: Auf den Content kommt es an. Blöd, dass man das erst in den angelsächsischen Märkten erkannt hat. Ein Kommentar von Julian Miller.
Die Spatzen tweeten es von den Dächern. 2013 ist vielleicht nicht das Jahr, in dem sich die Fernsehbranche grundlegend verändert hat. Aber 2013 könnte das Jahr sein, in dem auch der Letzte begreifen wird, dass in absehbarer Zeit kein Stein mehr auf dem anderen stehen wird.
Zumindest in Amerika.
Man kann den Turnaround nicht auf einen Befreiungsschlag reduzieren. Aber die Anzeichen verdichten sich so stark wie nie zuvor.
In diesem Jahr schickte der amerikanische Streaming-Dienst Netflix mit «House of Cards» die erste eigenproduzierte nicht-linear ausgestrahlte Serie ins Rennen, die mit den Top-Produktionen von Network- und Cable-Sendern qualitativ mithalten kann. Es wurde das erste Online-Format, das bei den Emmys nicht nur neunfach nominiert wurde, sondern auch drei Trophäen abräumen konnte.
Und dann war da noch die
monumentale Rede von Kevin Spacey beim diesjährigen „Edinburgh International Television Festival“, in der er prophezeite, dass der Verbreitungsweg in Zukunft kaum mehr eine tragende Rolle spielen wird. Auf den Content komme es an.
Dieses Umdenken von der uneinnehmbaren Festung des linearen Fernsehens hin zu einer größeren Diversität der Verbreitungswege ist auf dem amerikanischen Markt freilich schon lange zu erkennen. Hulu und Netflix sind als senderübergreifende Plattformen, die eine mit mehr, die andere mit weniger Paid Content, schon seit Jahren dick im Geschäft. Vergleichbare Angebote finden sich in Deutschland nicht: RTLnow, Maxdome, die Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen – sie alle verbreiten nur die Programme der eigenen Sendergruppe.
Nun mag man die Notwendigkeit einer solchen senderübergreifenden Plattform für den deutschen Markt bestreiten und – wie Anke Schäferkordt – argumentieren, dass der Mammutanteil des Fernsehkonsums in Deutschland
auch heute noch linear stattfindet.
Wenn der Zuschauer in der Breite immer noch gerne linear konsumiert, wieso dann großartig was an den Verbreitungswegen ändern?
Aber nicht nur deswegen ist mit einem deutschen Hulu oder Netflix kaum zu rechnen. Es gibt da noch ein größeres Problem: den fehlenden Content.
Was soll man auf einer solchen Plattform denn schon groß anbieten? Ausländische Serien kann sich der
gewiefte User schon heute auf anderem Wege besorgen, ohne auf die Ausstrahlung im deutschen Fernsehen zu warten, geschweige denn eine Art deutsches Netflix oder gar Maxdome dafür zu brauchen.
Gut, wir hatten dieses Jahr «Verbrechen» und «Zeit der Helden». Auch «About: Kate», «Götter wie wir» und «Add a Friend» waren sehr unterhaltsam und toll geschrieben. Die neuen Staffeln von «Pastewka» und dem «Tatortreiniger» blieben weitestgehend auf dem hohen Niveau der Vorjahre. Aber sonst?
Jaja, ich weiß, wir sind keine Seriennation, sondern ein Fernsehfilmland.
Doch diese andere Erzählform ist nicht unproblematisch; schließlich erlaubt eine Serie wegen ihres regelmäßigen Ausstrahlungsrhythmuses oder – im Binge-Fall – schlicht wegen ihrer längeren Laufzeit eine engere Bindung des Konsumenten an den Content-Anbieter.
Hinzu kommt, dass viele Fernsehkonsumenten der jüngeren Generation vom Fernsehfilmmarkt nur noch bedingt erreicht werden. Ja, den «Tatort» guckt man hin und wieder mal, zu Tode angekündigte Filme wie «Unsere Mütter, unsere Väter» oder «Der Minister» auch, ein «Helden» wird ein bisschen hate-gewatcht, und wenn man Geschmack hat und den Sendetermin mitbekommt, findet der engagierte Zuschauer auch noch «Mutter muss weg» oder «Die Auslöschung».
Das Problem am Fernsehfilm: Es entsteht keine Sogwirkung wie bei einem «Breaking Bad», einem «House of Cards», einem «Girls», einem «Boardwalk Empire», einer «Modern Family» oder einem «Mad Men».
Wenn man in der Fiction allein über die Qualität spricht, erübrigt sich die Debatte über Verbreitungswege in Deutschland, weil es kaum etwas gibt, was man verbreiten könnte. Hulu und Netflix sind dadurch groß geworden, dass ein netzaffines Publikum eine Alternative zum Timeslot-Diktat der Sender angenommen hat. Hulu und Netflix können dadurch konzeptimmanent eine Sache deutlich schlechter leisten als das lineare Fernsehen. Eine Sache, die im deutschen Fernsehen ein Eckpfeiler ist: das Berieseln.
Wer Netflix und Hulu anwirft, muss sein Programm selektieren. Wer den Fernseher anmacht, kann auch einfach nur gucken, was so läuft. Und was sonst noch so läuft.
Die junge, engagierte Zielgruppe, die facebookt, twittert und sich bei 9Gag amüsiert, frisst amerikanischen Content, für den sie gezielt einschaltet – und sie frisst ihn auf dem einfachsten Verbreitungsweg.
Wie Thomas Lückerath von DWDL.de
vor wenigen Tagen analysiert hat, führt man jedoch in Deutschland lieber eine Debatte über die Verbreitsungswege als über die Inhalte.
Dabei sind die Inhalte das eigentliche Problem. Die besten Serien und Fernsehfilme aus Deutschland der letzten Jahre waren hervorragende Produkte. Daran besteht kein Zweifel. Aber es waren Ausnahmeerscheinungen, die das junge netzaffine Publikum auch als solche wahrnahm.
Zur Ehrenrettung: Auch «Breaking Bad», «Homeland» und «House of Cards» sind Ausnahmeerscheinungen. Aber es gibt nun einmal deutlich mehr amerikanische Ausreißer als deutsche. Das mag allein der Größe des Marktes geschuldet sein und – bei einer etwas wohlwollenden Betrachtung – die deutschen Fictionschaffenden ein bisschen exkulpieren.
Der Eindruck, der sich beim entsprechenden Publikum einstellt, ist jedoch verheerend. Denn für das Publikum zählen Ergebnisse, nicht all die Schwierigkeiten, mit denen deutsche Fiction-Produzenten und die Sender (!) sich im Hintergrund so herumschlagen müssen. Der Zuschauer summiert schlicht auf.
Es ergibt sich eine spannende Beobachtung: Nämlich die, dass amerikanische Kreative mehr den Geschmack der jungen deutschen Zielgruppe mit hoher Netzaffinität treffen als deutsche Kreative.
Die Reputation: Die Amerikaner produzieren unfassbar geile Serien. Und die Deutschen werkeln weiter
an ihren Waltons herum.
Kann man machen. Kann man auch gucken. Muss man aber nicht.