Unser First Look zum wichtigsten Neustart von ABC: Joss Whedons actionreiche Hochglanzserie «Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.».
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Die Figur hat sich enorm entwickelt. Zunächst war dieser Charakter nur ein Bürokrat, der sich als Teil einer supergeheimen Organisation herausstellt. Dann zeigt sich, dass er ein recht kompetenter Agent im Einsatz ist, der fähig ist, die Dinge in die Hand zu nehmen. [...] Es brach mir ein wenig das Herz, mich von diesem Kerl zu verabschieden. Doch dann bekam ich einen Anruf, wo sie mir sagen, dass er in einem anderen Medium wiedergeboren wird.
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Clark Gregg über seine Rolle als Phil Coulson
2012 formierten sich Iron Man, Hulk, Thor, Captain America, Black Widow und Hawkeye nach Jahren des Wartens auf der großen Leinwand zu den (super-)heldenhaften «Avengers». Marvels Megaproduktion nahm weltweit mehr als eine Milliarde Dollar ein und machte Lust auf mehr – mit «Iron Man 3» startete bereits die zweite Phase des Marvel-Kinouniversums, die in den kommenden Monaten und Jahren noch weitere, teils enorm ausufernde Superheldeneinsätze umfasst. Doch damit nicht genug: Jetzt macht sich der zum Disney-Konzern gehörende Unterhaltungsriese auch noch auf, mit einer Realserie das Fernsehen zu erobern. Niemand geringeres als Joss Whedon erdachte das Serienkonzept zur ersten Serie, die im so genannten Marvel Cinematic Universe spielt. Dem «Buffy – Im Bann der Dämonen»-Schöpfer standen bei der Arbeit am «Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.»-Konzept zudem noch Jed Whedon und Maurissa Tancharoen zur Seite, doch Joss Whedons Name allein genügte, um beim nerdigen Publikum Vertrauen zu wecken. Immerhin erdachte er sich auch den gefeierten (wenngleich erfolglosen) Sci-Fi-Western «Firefly» und lieferte mit Marvels Superheldenstelldichein einen der vergnüglichsten Sommerblockbuster der vergangenen Jahre.
Selbstredend kann eine wöchentliche Networkserie nicht mit dem großen Spektakel der Marvel-Filme mithalten. Und angesichts dessen, dass deren zweite Phase noch mehr Pomp und immer weitreichendere Plots verspricht, wäre es wohl auch vermessen, würde sich «Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.» darin versuchen. Also kommt die Agentenserie stattdessen als Möglichkeit daher, die „kleinen“ Helden der Marvelwelt ins Rampenlicht zu rücken, genauer gesagt die Mitglieder der sich mit Superhelden, Superschurken und anormalen Vorkommnissen beschäftigenden Geheimorganisation S.H.I.E.L.D.. Die drei prominentesten S.H.I.E.L.D.-Angehörigen sind, zumindest im Filmuniversum, Nick Fury (Samuel L. Jackson), Maria Hill (Cobe Smulders) und Phil Coulson (Clark Gregg). Während ersterer im Piloten (aus Kostengründen?) nicht auftaucht, wurde letzterer im «Avengers»-Film noch für tot erklärt. Allerdings resultierte Coulsons Tod in die rasche Gründung einer mitgliederstarken „Coulson Lives!“-Bewegung im Netz, da Clark Greggs bodenständige, doch mit wunderbar treffendem, trockenen Humor durchsetzte Performance den S.H.I.E.L.D.-Agenten zu einem Fanfavoriten machte. Wer also wäre ein besserer Frontmann für eine Serie rund um die Geheimorganisation? Immerhin hat er nicht nur treue Fans, sein plötzliches Wiederauftauchen sorgt auch sofort für gesteigerte Neugier. „Wie wird Coulsons Dasein erklärt?“ war eine der großen Fragen zum Start der TV-Saison.
Und so begleiten die Zuschauer zu Beginn der Pilotfolge den fähigen Agenten Ward (Brett Dalton) ins Hauptquartier von S.H.I.E.L.D., wo ihn nach seiner erfolgreichen Mission im Ausland eine Beförderung erwartet. Endlich wird er auf Geheimhaltungsstufe 7 gehoben – und begegnet dort Agent Phil Coulson höchstpersönlich. Dieser gilt nur für Personen mit niederer Priorität als tot und erklärt den mysteriösen Umstand, dass er einen brutalen Angriff des Gottes Loki überlebt hat, mit seinem typischen Sinn für Humor. Der Serie selbst bringt der Dialog zwischen Ward und Coulson nicht nur eine sehr simple, selbstironische Erklärung für das große Rätsel, sondern obendrein auch einige großartige Pointen. Zudem wird auch die Tür für ein neues Mysterium geöffnet: Coulson behauptet, sich selbst nicht erinnern zu können,
wie er die Attacke überstehen konnte. Er weiß bloß,
dass es ihm gelang. Joss Whedon, der den Piloten inszenierte, lässt diese kleine Randnotiz lange nachhallen und macht so gewiss, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Womit nur wenige Minuten nach Beginn der Episode die Pilotfolge ganz effektiv Neugier auf die restliche Staffel wecken konnte.
Und dabei ist das zentrale Agententeam der Serie zu diesem Moment noch nicht zusammengetrommelt. Um einen Mann ausfindig zu machen, der über Superkräfte verfügt (J. August Richards), und zu überprüfen, ob er ein Held ist oder doch eine Bedrohung für die normale Bevölkerung, holen Ward und Coulson noch die desillusionierte Agentin Melinda May (Ming-Na Wen) ins Boot. Diese arbeitet zwar weiterhin mit Feuer und Flamme fürs Gute, weigert sich jedoch aufgrund geheimnisvoller Vorkommnisse partout, wieder an Feldeinsätzen teilzunehmen. Außerdem bemühen sich Ward und Coulson noch, die Hackerin Skye (Chloe Bennett) zu S.H.I.E.L.D. zu holen, die es sich ursprünglich zur Lebensaufgabe machte, sämtliche Agenten zu enttarnen. Zu guter Letzt gesellen sich noch die chaotischen Wissenschaftler Fitz und Simmons (Iain De Caestecker & Elizabeth Henstridge) dem Team dazu, was sich auf der Suche nach dem geheimnisvollen Mann als großer Glücksfall herausstellt, denn ohne biochemisches und technisches Know-how wären die Agenten völlig aufgeschmissen ...
Auch wenn sich die Pilotfolge von «Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.» klugerweise vom Versuch fernhält, mit einem TV-Budget Kinobombast zu liefern, so bietet Joss Whedon bei seiner Rückkehr auf die Mattscheibe eine actionreiche Fernsehstunde voller Spezialeffekte. Die Faustkämpfe von Agent Ward sind rasant, jedoch übersichtlich geschnitten und erinnern mit ihrer agilen Kampfchoreographie an die frühen Jahre von «Alias – Die Agentin», während gleich zu Beginn J. August Richards Figur (die sich als eine Randfigur der Marvel-Comicwelt herausstellt) ihre Kräfte dank eindrucksvoller Effekte unter Beweis stellen darf. Doch nicht nur in den Actionszenen ist das Tempo hoch, dank Joss Whedons markanter Schreibe geht die gesamte Premierenfolge zügig voran.
Sämtliche neue Figuren erhalten einen prägenden Einstieg und werden mit viel Wortwitz eingeführt, und auch wenn ihre archetypischen Positionen innerhalb des Teams schnell für Übersicht sorgen, deuten sowohl das Skript als auch die Performances der Darsteller genügend Ecken und Kanten an, so dass die Figuren nicht zu Stereotypen verkommen. So schafft es «Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.» scheinbar spielend, sein Publikum für weitere Folgen zu angeln – und wer sich im Marvel-Universum auskennt, dürfte an den zahlreichen, doch unaufdringlichen Referenzen auf die Comics und Filme große Freude haben. Ob nun vom Supersoldatenprogramm aus «Captain America» die Rede ist, Stark-Technologie verwendet wird oder sich ein großes Plotelement aus «Iron Man 3» in die Pilotfolge von «Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.» schmuggelt: Nie wird die Kenntnis anderer Marvel-Werke als grundlegend vorausgesetzt, doch stets arbeitet die Pilotfolge daran, das Gefühl eines großen, faszinierenden Serienuniversums aufrechtzuerhalten. Auf die Weiterführung weiterer Marvel-Aspekte in Serienform zu warten, dürfte sich gewiss zu einer der faszinierenden Facetten dieses Formats entwickeln.
Abschließend lässt sich festhalten, dass ABC und Marvel mit «Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.» einen Treffer gelandet haben. Sofern die Serie nach dem Piloten nicht völlig umkippt, sind noch einige unterhaltsame TV-Stunden mit dem charismatischen Agent Phil Coulson gewiss. Gut inszenierte Action, trockener Witz und gut harmonierende Darsteller sowie ein weit überdurchschnittlicher Look machen dieses Format zur großen Hoffnung für alle Comic-Fans und Freunde flotter, actionreicher Serien.