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You are Cancelled: «Alias – Die Agentin»

Fünf Staffeln lang verstrickte sich Jennifer Garner alias Sydney Bristow in einem Netz aus Lügen, ominösen Prophezeiungen und doppelmoralischen Agenteneinsätzen. Zwar ließen die Quoten des Formats aus der Feder von J. J. Abrams zu wünschen übrig, dennoch prägte es die moderne Fernsehlandschaft.

Seite 1 Wir schreiben das Jahr 2000. Für das US-Fernsehen bricht keine sonderlich stolze TV-Saison an: Der Sitcom-Boom endet, so dass sich nur noch bereits etablierte Genregrößen wie «King of Queens» und «Friends» mit Fug und Recht als Must-See-Prgramme bezeichnen können. ABC hängt an einem seidenen Faden namens «Wer wird Millionär?», James Camerons «Dark Angel» wird bei Fox trotz kostspieliger Episoden bloß zu einem Geheimtipp und neue Comedy- oder Drama-Serien fallen nahezu durchgehend auf die Nase. «Gilmore Girls» startet zwar seinen Achtungserfolg bei WB, doch als Zuschauermagnet erweist sich unter den neuen Formaten allein das Hochglanz-Procedural «CSI». Während also nur bereits bekannte Comedy-Serien Spaß bereiteten, ließ sich der Anspruch im actionreichen oder dramatischen Bereich mit der Lupe suchen. Komplexes Storytelling? Fehlanzeige! Dafür verteilte Chuck Norris als «Walker, Texas Ranger» ordentlich Arschtritte.

Dass Network-Serien heutzutage aufwändiger produziert sind, zumeist episodenübergreifende Handlungen aufweisen, actionreich daher kommen können und zudem im vergangenen Jahrzehnt den Weg für noch ambitioniertere Kabelserien ebneten, ist zu einem durchaus beachtliche nTeil einer Serie zu verdanken, die eine TV-Saison später an den Start ging. Im Fernsehjahr 2001/2002 wechselte J. J. Abrams, der Kopf hinter der Dramaserie «Felicity», ins Actionfach und bescherte dem kränkelnden Network ABC «Alias – Die Agentin». Gleichzeitig belebte er ein Konzept wieder, das im US-Fernsehen kurz zuvor noch brach lag: Das serielle Erzählen und das Spinnen einer eigenen, komplexen Mythologie. Der Cliffhanger kehrte in die Flimmerkiste zurück – und wollte sie bald darauf nicht mehr verlassen.

Ihre Premiere feierte Abrams' erste von vielen Action- und Mysteryserien am 30. September 2001, und auch wenn die erste Staffel im Schnitt nur 9,7 Millionen Zuschauer anlockte, waren die Quoten bei den Werberelevanten schon viel respektabler Vor allem aber erntete die Serie großes Kritikerlob und erarbeitete sich eine große, treue Fangemeinde, wodurch «Alias» zu einem popkulturellen Phänomen wurde. ABC zog wieder Aufmerksamkeit auf sich, zudem bekamen Senderchefs und Produzenten vorgeführt, dass Zuschauer längeren Handlungsfäden zu folgen gewillt sind. Mehr noch: Die «Alias»-Fans feierten online und auch in Radiosendungen die Mysterien der Serie, zeigten Freude daran, über den weiteren Verlauf zu spekulieren. Was seither zum alltäglichen Bestandteil der TV-Kultur wurde, war 2001 noch eine bemerkenswerte Rarität.

Das Herzstück der Serie war jedoch von Beginn an die charakterstarke Protagonistin Sydney Bristow, gespielt von Jennifer Garner. Sydney führt in der der Pilotfolge ein Doppelleben als harmlose, gutherzige Studentin und toughe Agentin für die Organisation SD-6, die ihres Wissens nach eine verdeckte Abteilung des CIA ist. Als ihr Verlobter im Auftrage ihres Vorgesetzten Arvin Sloane (Ron Rifkin) ermordet wird, um Sydneys Doppelleben weiterhin geheim zu halten, quittiert sie ihren Dienst. Als wandelndes Sicherheitsrisiko eingestuft, steht nun auch sie selbst auf der Abschussliste, woraufhin sie von ihrem entfremdeten Vater Jack (Victor Garber) beschützt und in ein dunkles Geheimnis eingeweiht wird: SD-6 ist in Wahrheit ein Verbrechersyndikat. Um das Vertrauen von SD-6 wiederzuerlangen und so wieder halbwegs sicher leben zu können, besorgt Sydney kurz danach ein von Sloane begehrtes Artefakt. Zugleich stellt sie sich aber der CIA und bietet an, als Doppelagentin die gefährliche Organisation SD-6 von innen heraus zu sabotieren.

So lebt die auf den Schultern dieser Entwicklungen stehende erste Staffel einerseits von der kinetischen Agentenaction vor exotischen Schauplätzen, andererseits vom facettenreichen Spiel Garners, die als sich verzweifelt durchbeißende Sydney Bristow nicht nur ein Alltagsleben aufrecht erhalten muss, sondern ihren SD-6-Kollegen gegenüber Loyalität zu heucheln hat und für die CIA Informationen erhascht oder zuweilen den Operationen von SD-6 möglichst unauffällig Steine in den Weg legt. Garner gibt der Serie mit ihrer glaubwürdigen Balance aus kämpferischer Agentin und zerrütteter Seele einen emotionalen Ankerpunkt, während die Autoren unter J. J. Abrams in Staffel eins die Fallhöhe in Sachen Action und Doppelmoral von Episode zu Episode intensivieren.

Damals fast schon revolutionär war auch der Mysterysubplot rund um den Erfinder, Philosophen und Propheten Milo Rambaldi, der nicht nur Objekte erschuf, die ihrer Zeit weit voraus waren, sondern auch eine Prophezeiung erstellte, die möglicherweise Sydney betrifft. Mit diesem Aspekt der Serie gingen die Autoren, zu denen unter anderem auch die späteren Blockbuster-Schreiberlinge Alex Kurtzman & Roberto Orci («Star Trek») zählten, ein Risiko ein, wie es im damaligen US-Fernsehen sonst nicht vorkam. Einige Zuschauer sahen im Rambaldi-Plot ein großes Plus von «Alias», anderen war er zu abgehoben. Auf jeden Fall verlieh er «Alias» aber Charakter und Eigenheiten – im mutlosen, vereinheitlichten Network-Fernsehen der frühen 2000er überaus beachtenswert.

Die zweite Staffel gab zwar auf durchschnittlich 9,0 Millionen Interessenten nach, dafür stieß mit Gaststar Lena Olin («Chocolat») eine talentierte Actrice zum Ensemble hinzu, die sich direkt in die Herzen der Fans spielte. Olin brachte die Rollen der Verführerin, Mentorin, Vertrauten und hinterhältigen Gegenspielerin unter einen Hut und sorgte so für viele der denkwürdigsten Dialogmomente und Plottwists der gesamten Serie. Zudem schockten die «Alias»-Macher am 26. Januar 2003 direkt im Anschluss an den Super Bowl während der Episode „Phase Eins“ mit einem der spektakulärsten Richtungswechsel, die es bis dahin im US-Fernsehen zu bestaunen gab. Von da an hatten die Autoren einen waghalsigen Balanceakt zu bewältigen: Auf der einen Seite rissen sie mit Wucht einige der Elemente des Formats ein, die Gelegenheitszuschauer davon abhielten, einen Überblick über den Plot zu erlangen. Auf der anderen Seite wollten sie «Alias» nicht zu sehr verwässern, weshalb sie nun rasanten Twists und immer komplexeren Geheimnissen Raum gewährten. Kurzum: Das Konzept wurde übersichtlicher, die Ausführung aber verschachtelter.
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22.09.2013 07:20 Uhr Kurz-URL: qmde.de/66284
Sidney Schering

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